Schwetzingen. Nach vier Wochen sowie 47 hochkarätigen Konzerten und Musiktheateraufführungen gingen am Samstagabend die Schwetzinger SWR Festspiele – deren 70-jähriges Bestehen unter dem Motto „Arkadien“ gefeiert wurde – mit einer musikalischen Lesung von Klaus Maria Brandauer und dem GrauSchumacher Piano-Duo erfolgreich ins Finale. Mehr als 12 000 Besucher besuchten die Veranstaltungen, was in einer Gesamtauslastung von fast 80 Prozent resultierte. Das war früher besser, ist aber der Zurückhaltung nach Corona geschuldet. Die künstlerische Leiterin Heike Hoffmann zieht im Exklusiv-Interview mit unserer Zeitung vom Sonntag eine positive Bilanz.
Uff, das war ja ein richtiger Kraftakt, die Jubiläumsfestspiele 2022 – mit neuem Team, Krankheiten und Verletzungen. Haben Sie und Ihr Team es einigermaßen überstanden?
Heike Hoffmann: Ja, wir sind alle rechtschaffen müde, aber sehr glücklich, dass alles so gut geklappt hat und wir nun auf künstlerisch hochklassige und pannenfreie Festspielwochen zurückblicken können. Es war schon eine besondere Herausforderung, der sich aber alle im Team mit Freude, großem Engagement und Durchhaltevermögen gestellt haben.
Uns hat überrascht, dass in Sachen Corona alles so gut gegangen ist.
Heike Hoffmann: Uns – ehrlich gesagt – auch. Es gab hinter den Kulissen etliches abzufangen und umzubesetzen, aber letztlich ist keine Veranstaltung aufgrund von Corona ausgefallen. Und ich denke, das Publikum hat sich wohlgefühlt, auch, nachdem die Maskenpflicht gefallen ist. Viele haben aus eigener Entscheidung in den voll besetzten Sälen weiterhin Masken getragen, aber der von vielen Menschen als Bevormundung empfundene Zwang war weg und die Stimmung wurde zunehmend gelassener. Das warme Wetter und der blühende Schlossgarten haben sicher auch dazu beigetragen, dass sich endlich wieder die so schmerzlich vermisste Festspielatmosphäre eingestellt hat.
Gibt’s was, was Sie ewig in Erinnerung behalten?
Heike Hoffmann: Wahrscheinlich die öffentliche Generalprobe der Orchesterakademie des SWR Symphonieorchesters, als zum geplanten Beginn das halbe Orchester und der Dirigent fehlten, weil sie im Stau auf der vollgesperrten Autobahn steckengeblieben waren. Ebenso übrigens wie der Bus mit dem aus Stuttgart anreisenden Publikum. Wir haben dann für die anwesenden Gäste eine kleine Einführung improvisiert, das Orchester hat die Mikrofonprobe einstweilen ohne Dirigenten begonnen, das Fernsehen die Kameraprobe für den Livestream auch. Die Nervosität war schon groß, aber am Ende hat dann alles bestens geklappt.
Vor allem szenisch gab es ja dieses Jahr jede Menge zu erleben.
Heike Hoffmann: Wir haben insgesamt fünf szenische Produktionen gestemmt, neben der Uraufführungsoper „Kapitän Nemos Bibliothek“ von Johannes Kalitzke endlich Guiseppe Gazzanigas Dramma giocoso „L’Isola d’Alcina“. Dann im pandemiebedingt dritten Anlauf „Force & Freedom“ mit Nico and the Navigators, das Melodram „Medea“ von Johann Georg Benda in der „Mannheimer Fassung“ und – nicht zu vergessen –„Beethovens Planeten“, eine szenische Produktion für unsere jüngsten Besucher. Alle Produktionen waren aus meiner Sicht künstlerisch gelungen und haben ein begeistertes Publikum gefunden. „Nemo“ ist übrigens im Juli bei den Bregenzer Festspielen nochmals zu erleben, die „Alcina“ ab Oktober im Oldenburgischen Staatstheater.
Bekommen Sie eigentlich nach den Veranstaltungen Zuschauerreaktionen? Was hat die Leute da 2022 am meisten bewegt?
Heike Hoffmann: Ja, die bekomme ich sogar recht häufig. Oft schon in der Pause oder dann nach dem Konzert. Auch E-Mails, sogar Blumen. Am meisten hat wohl in diesem Jahr alle bewegt, dass es endlich wieder möglich ist, Konzerte live zu erleben. Das unmittelbare Erleben der Künstler, die Spannung im Saal, das hat unserem Publikum und natürlich auch uns am meisten gefehlt. Ich habe mit großer Freude viele bekannte Gesichter wieder gesehen. Und die Begeisterung über das, was unsere Künstlerinnen und Künstler geboten haben, war überall spürbar. Gerade unkonventionelle Programmkonstellationen mit weniger bekannten Werken finden beim anspruchsvollen Schwetzinger Publikum lebhafte Resonanz.
Wie sind die Hörstationen zum Jubiläum und die Klanginstallation in der Moschee angekommen?
Heike Hoffmann: Sehr gut. Die Klanginstallation „Alla Turca“ von Christina Kubisch hat der spektakulären visuellen Erscheinung der Moschee eine akustische Dimension hinzugefügt, die uns den Ort ganz neu und anders erleben lässt. Und was den Audio-Parcours betrifft, so war es toll zu beobachten, wie die Parkbesucher stehengeblieben sind und aufmerksam gelauscht haben. Diese Hörstationen wollen wir übrigens im kommenden Jahr weiter nutzen. Ich habe Studierende der Mannheimer Kompositionsklasse des in Schwetzingen lebenden Komponisten Sidney Corbett eingeladen, dafür ein künstlerisches Projekt zu entwickeln und bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis. Ich finde es auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit wichtig, dass wir die Hörstationen mit anderen Inhalten weiterbespielen.
Wie ist es denn wirtschaftlich für 2022 ausgegangen?
Heike Hoffmann: Ganz genau kann ich das erst in einigen Wochen sagen, wenn alles abgerechnet ist, aber wir waren natürlich darauf eingestellt, dass wir – wie alle Veranstalter – infolge der Pandemie nicht mit vollen Ticketeinnahmen rechnen können. Gemessen an dem, was wir realistischerweise erwartet hatten, sind wir extrem zufrieden. Unterm Strich rechne ich nicht mit einem Defizit, denn wir hatten ein gewisses finanzielles Polster durch die in den vergangenen beiden Jahren ausgefallenen Opernproduktionen.
Über welchen Künstler haben Sie sich dieses Jahr besonders gefreut?
Heike Hoffmann: Über ausnahmslos jeden Künstler und jede Künstlerin, die in den vergangenen vier Wochen hier aufgetreten sind und uns mit ihrer Kunst beschenkt haben. Nach diesen zwei Jahren im Ausnahmezustand waren es für alle – ob auf der Bühne, hinter den Kulissen und im Publikum – ganz besonders kostbare Stunden. Jenseits der hohen künstlerischen Qualität, die wir in allen Veranstaltungen hatten, gab es auch etliche Sternstunden, die wohl jedem, der das Glück hatte, dabeisein zu können, lange im Gedächtnis bleiben werden: Für mich waren das vor allem die Abende mit Isabelle Faust und Alexander Melnikov, die sensationelle Julia Lezhneva, die Quartette Belcea, Ebène und Casals, Marina Galic als Medea, der Vater-Sohn-Liederabend mit Christoph und Julian Prégardien, aber auch „Force & Freedom“ und nicht zu vergessen den phänomenalen Klavierabend mit Martin Helmchen in der ersten Festspielwoche oder Bruno de Sà, der brasilianische Sänger mit der seltenen Gabe einer Sopranstimme. Und Klaus Maria Brandauer zusammen mit dem GrauSchumacher Piano-Duo ist ohnehin eine Klasse für sich. Ein schöner Abschluss. Wie schön, dass man alles nochmals auf SWR2 und in der Mediathek nachhören kann.
Nach den Festspielen ist vor den Festspielen. Was haben Sie für 2023 schon in trockenen Tüchern?
Heike Hoffmann: Das Programm steht natürlich, die letzten, etwas ruhigeren Tage haben wir schon genutzt, um die Vorbereitungen für die Veröffentlichung des Programms im Herbst zu treffen. Allzu viel möchte ich aber natürlich noch nicht verraten, vielleicht nur soviel: Wir bringen endlich die verschobene Uraufführung von Isabel Mundrys Oper „Im Dickicht“ heraus und arbeiten an einer spannenden Opernwiederentdeckung aus dem 18. Jahrhundert mit der Akademie für Alte Musik –erstmals in Kooperation mit dem Nationaltheater Mannheim. Das Rokokotheater wird ja vom kommenden Jahr an Interimsspielstätte des NTM wegen des großen Umbaus in Mannheim. Da lag es nahe, die Kräfte zu bündeln, und ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit.
Wie lange bleiben Sie uns als künstlerische Leiterin der Schwetzinger Festspiele noch erhalten?
Heike Hoffmann: Meine letzte Festspielausgabe ist wie geplant 2024, dann habe ich acht Programme in Schwetzingen gemacht und es ist aus meiner Sicht Zeit für eine neue Handschrift. Und ich selbst blicke dann auf mehr als 47 Jahre intensiver beruflicher Tätigkeit im Musikleben zurück und freue mich auf die Zeit und die Freiheit, die dann kommt.
Vom 28. April bis 28. Mai 2023 ist die nächste Saison geplant. Das Programm wird im November veröffentlicht, der Vorverkauf beginnt am 6. Dezember.
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