Kultur

Schwetzinger Festspiele 2022 haben die Vergänglichkeit im Blick

Die Krisenhaftigkeit unseres Lebens, die uns bewusst macht, wie vergänglich unser Sein ist, hat die Künstlerische Leiterin Heike Hoffmann zum Thema der Schwetzinger Festspiele gemacht.

Von 
Jürgen Gruler
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Pianistin Yuka Arihara, die aus Japan stammt und seit drei Jahren an der Musikhochschule Mannheim studiert, begeisterte mit ihrem Vortrag von Bachs Chaconne aus der d-Moll Partita für Violine solo, in der Transkription für Klavier von Ferruccio Busoni. Ein wunderbares Werk, fulminant vorgetragen. Die Mitglieder des Freundeskreises waren begeistert. © Gruler

Pandemie, Klimawandel, Krieg in Europa, Wohlstandsgefährdung durch explodierende Lebenshaltungskosten – was noch vor drei Jahren kaum denkbar war, hat die Menschen heute im Griff. Grund für Heike Hoffmann, das mit dem Begriff „Vanitas“ zum Titelthema der Schwetzinger Festspiele zu machen, die mit 48 Konzerten und szenischen Aufführungen den hiesigen Veranstaltungskalender den ganzen Mai über hochwertig füllen. Der Vorverkauf beginnt am Nikolaustag, 6. Dezember. Am Donnerstagabend stellte Hoffmann erstmals im Palais Hirsch das Programm dem Freundeskreis vor, der zur Finanzierung des Klassikmusikfestivals beiträgt.

„Wie wollen wir künftig leben? Ist es nicht Zeit Ballast abzuwerfen und umzusteuern? Darüber habe ich nachgedacht, als es an die Planung der Festspiele 2023 ging und ich war überrascht, wie viele Komponisten und Musiker sich mit dem Thema der Vergänglichkeit beschäftigt haben. Und die Künstler, die ich darauf angesprochen habe, zeigten sich begeistert von dieser Idee, sich mit Vanitas – der Vergänglichkeit – zu beschäftigen“, erzählt Hoffmann den Freunden der Festspiele. Ein schweres, beladenes Thema mit Sicherheit – und doch könne die Antwort nur die Hoffnung sein – und das „Carpe diem“ („Nutze den Tag“). Mit der Musik lasse sich den Problemen des Alltags die Freude des Miteinanders entgegensetzen.

Neu ist, dass am Anfang und am Ende der Festspielzeit eine Oper steht. Die neue heißt „Im Dickicht“ und ist eine wegen der Pandemie verschobene Uraufführung mit Musik von Isabel Mundry und einem Libretto von Händl Klaus in einer Koproduktion mit dem Staatstheater Mainz. Das Bühnenbild war fertig und die Komponistin hat die schwierige Zeit selbst in eine Krise gestürzt. Entstanden ist ein Stück mit Mord, Vergewaltigung, Zeugen und einem Gericht unter der Regie von David Hermann. Es spielt das SWR Symphonieorchester und es singt das SWR-Vokalensemble.

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Und kommt dann das Beste zum Schluss? Jedenfalls arbeitet das Nationaltheater Mannheim erstmals mit den SWR Festspielen zusammen und zeigt die Komische Oper „Zemira e Azor“, die in der Fassung mit Musik von Niccolò Jommelli und Ignaz Holzbauer 1776 in Mannheim Premiere feierte. Eine Art Zauberoper mit einer Handlung, die an „Die Schöne und das Biest“ erinnert. Heike Hoffmann verspricht für die Pfingsttage Vergnügen und ein wunderbares Bühnenbild von Nigel Lowery, der auch Regie führt. Übrigens spielt das wegen des Umbaus ausquartierte Nationaltheater die Oper auch nach den Festspielen noch im Rokokotheater, das kurze Zeit danach in Pigage-Theater umbenannt werden soll.

Masque ist ein Mix aus Schauspiel, Tanz, Ballett und Gesang, der im England des 17. Jahrhunderts sehr populär war. Bei „Cupid and Death“ übernachten die sich liebenden Götter Amor und Tod in einem Gasthaus. Der Kammerherr verwechselt ihre Bögen und es entsteht ein Chaos aus Hass und Eitelkeiten, das erst Merkur wieder zurechtrücken kann. Eine französische Produktion, die mit Sicherheit Laune macht. Und für die jüngsten Festspielbesucher gibt’s mit dem „Meeresgeflüster“ erstmals ein ökologisch-cinematisches Musiktheater.

Blick ins Konzertprogramm

Freuen können sich die Musikfreunde über das Konzertprogramm 2023. Prägend sind dabei die diesjährigen Residenzkünstler. Zum einen das bekannte Tetzlaff Quartett und der grandiose Cellist Christian Poltéra. Letzterer bringt auch „La Mara“ mit, das wohl berühmteste Cello der Welt. Ein Stradivarius, das im Juli 1963 von einem brennenden Schiff im Rio de la Plata versank, wie durch ein Wunder in Einzelteilen wieder ans Ufer geschwemmt und zu alter Schönheit restauriert werden konnte. Viele Jahre spielte Heinrich Schiff das Instrument und vermachte es schließlich seinem Lieblingsschüler Poltéra. Die Geschichte wird den Besuchern erlebbar gemacht. In einem anderen Konzert steht ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt: Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“, das 1940 im Kriegsgefangenenlager Görlitz entstand und dort auch uraufgeführt wurde. Gleich in drei Konzerten ist das Tetzlaff Quartett zu hören: in einer Streichquartett Matinee mit Werken von Haydn, Berg, Webern und Brahms. Mit Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ zusammen mit Sopranistin Sarah Maria Sun und verstärkt mit Barbara Buntrock an der Viola mit Werken von Mozart, Haydn und Felix Mendelssohn Bartholdys Streichquintett B-Dur. Eine Hommage an Lars Vogt, der eigentlich dabei sein sollte, aber im September verstorben ist.

Apropos Quartett: Quatuor Modigliani, Dover Quartet, das Budapester Takács Quartet, das Belcea Quartet, Quatuor Ébène, das Jerusalem Quartet und das Aris Quartett sind dieses Jahr in Schwetzingen. Letzteres bringt Sopranistin Christiane Karg mal wieder ins Schloss, die auch ein Werk singt, das Aribert Reimann 1997 speziell für die Schwetzinger Festspiele geschrieben hat, eine Kammerkantate mit dem Titel „Oder soll es Tod bedeuten“ aus Bearbeitungen Mandelsohnscher Lieder.

Das Festspielmotto „Vanitas“ wird auch in einem der Grenzgänge ausgeleuchtet, die wieder in der Orangerie oder im Kammermusiksaal locken. Mezzosopranistin Noa Frenkel bringt mit Martina Schucan am Violoncello und Florian Hölscher am Klavier Salvatore Sciarrinos gleichnamiges Werk auf die Bühne, ein 50-minütiges Stück voll innerer Dramatik. Empfohlen sei in dieser Reihe auch das Naghash Ensemble aus Armenien mit seinen „Songs of Exile“ und das „Concert des Parfums“, bei dem ein Dialog aus Düften und Klängen den Jagdsaal erfüllen soll – ja wirklich. Es wird in dieser Mainacht Parfüm versprüht.

Einen Bezug zur Kurpfalz gibt es zudem bei den „Tweets aus Versailles“ mit der Lautten Compagney Berlin, die Kammermusik aus der Zeit von Liselotte von der Pfalz mitbringt. Mezzosopranistin Coline Dutilleul singt und Franziska Troegner liest aus Liselotte Briefen deftige, intime und politische Episoden vor. Eine Abendmusik im Garten wird es am Apollotempel geben, dieses Mal aber nicht gratis. Studenten der Musikhochschule bespielen die Klangsäulen neu, die dieses Jahr Premiere hatten. Bei stabilen Ticketpreisen soll es erstmals ein Last-Minute-Ticket für zehn Euro geben, für Kurzentschlossene, wenn eine Veranstaltung nicht ausverkauft ist. Hoffmann hofft so auch auf jüngere Besucher, die der Preis schreckt.

Der Freundeskreis-Vorsitzende Stefan Dallinger und Stellvertreter Dr. René Pöltl hatten zuvor den Mitgliedern für ihre Treue gedankt und Heike Hoffmann für ihr tolles Programm, mit dem sie Lust mache auf Festspiele, die hoffentlich ganz ohne Corona-Einschränkungen über die Bühne gehen könnten. Danach gab’s noch eine muntere Plauderei bei Häppchen und einem Gläschen Wein und viel Lob für Pianistin Yuka Arihara.

Chefredaktion Jürgen Gruler ist Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung.

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