Kolumne #mahlzeit

Warum der Mann auf Konzertbühnen unter Sexismus leidet

Unser Kolumnist Stefan M. Dettlinger stößt auf, dass in den meisten Orchestern die Männer genaue Fracktragevorschriften haben, während Frauen sich vor allem an eines halten: Schwarz muss es sein. Das findet er sexistisch

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Im Grunde wissen es ja alle: Die Gleichstellung aller Geschlechter (ich habe da den Überblick verloren, wie viele es gibt) treibt mich echt um. Ich finde da viele Dinge, die sexistisch sind. In alle Richtungen. Und als Klassik-Fan stößt mir da echt was auf: In fast allen Orchestern müssen Männer exakten Kleiderordnungen aus dem Plusquamperfekt folgen, während Frauen und nicht binäre Personen die ohnehin laxen Vorschriften im Präsens lax missachten. Das steht auf irgendwelchen Zetteln, die seit Jahrhunderten in irgendwelchen stinkenden Schubladen vor sich hin modern und ganz offenbar den 1870er-, den Ersten und Zweiten Weltkrieg genauso verschlafen haben wie die 1968er-Revolution.

Der Mann also läuft auf den Weltbühnen immer noch brav im großen Gesellschaftsanzug und Schwarz-weiß auf – Frackrock, Frackhose, Frackweste, Frackhemd, Lackschuhe, Vatermörder, Kummerbund, Querbinder (auch Fliege genannt). Alles wird bisweilen gereinigt. Oder auch nicht.

Die Damen? Wenn man genau hinschaut: Obwohl es dort auch Vorgaben gibt – die tragen, was sie wollen. Hilfe! Anarchie! Innerhalb des Schwarzen scheint da stilistisch absolut alles kunterbunt. Im Sommer schulter- und, huch, kniefreifrei, im Winter Wolljäckchen, Hosen, Kleider, Röcke. Seide, Wolle, Baumwolle, Leinen, Leder, Synthetik. Sandalen, Sneaker, High Heels. Alles dabei. Neulich habe ich eine Geigerin, in ihrer Eigenschaft Konzertmeisterin, in einer Art Jogginghose gesehen. Hallo? Geht’s noch? Ein Konzert ist doch kein Work-out-Event!

Klar: Der große Gesellschaftsanzug der Herren sorgt für ein einheitliches Bild. Äußeres lenkt nicht vom Genie und Geschehen ab, das kleine, nichtige Individuum tritt vor dem genialen Werk des genialen Komponisten zurück und geht im großen Ganzen, dem Klangkörper, auf, zu dem bis zu 100 Musiker amalgamieren. Und die Musikerinnen? Sie amalgamieren nicht. Sie treten in persönlicher Kleidung daraus hervor und sagen: Ich bin ein Individuum!

Also ich finde, alle sollten das tragen dürfen, was sie wollen. Oder niemand. Das ist sonst Sexismus in Reinform. Wenn die Männer tragen dürften, was sie wollen und sich dann für Frackrock, Frackhose, Frackweste, Frackhemd, Lackschuhe, Vatermörder, Kummerbund und Querbinder entschieden, müsste man untersuchen: 1. Haben die so viel soziale Kompetenz, dass sie eine Gemeinschaft im Kleidungsgeiste werden? 2. Wollen sie sich gegenüber dem Publikum (und den Frauen oder anderen Geschlechtern und Gesinnungen) keinen unverdienten Vorteil durch ein sexy Outfit erheischen? Oder 3. Verfügen sie nicht über einen freien Willen? Als Mann, der ich, so weit ich weiß, bin, glaube ich allerdings, dass sie sich für Frackrock, Frackhose, Frackweste, Frackhemd, Lackschuhe, Vatermörder, Kummerbund und Querbinder entscheiden würden, weil sie zu faul sind darüber nachzudenken, was sie anziehen sollen und in der Zeit lieber ein Bier trinken gehen.

Die Frauen und anderen tun mir aber auch leid. Wegen all der Sorgen (Was soll ich denn heute nur wieder anziehen) kommen sie kaum noch zum Üben …

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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