Mannheim. Ich warte. Sitze. Und warte. Okay, es gehört nicht zu meinen liebsten Tätigkeiten, dazusitzen, zum Nichtstun verdammt und zu spüren, wie andere meine Zeit vergeuden. Genau das ist es doch: Wer dich warten lässt, vergeudet deine Zeit. Ich halte das für einen enormen Einschnitt in die Freiheitsrechte. Man kann das spießig finden. Ich finde das unverschämt.
Es ist ja so, dass der Zustand des Wartens, der ja immer ein Zustand prophylaktischer Habachtstellung ist, nicht so schlimm wäre, würde man den exakten Endpunkt des Zustands kennen. Was den aber angeht, weiß man meist nur, dass man nicht(s) weiß. So wäre es etwa nicht schlimm, 19 Minuten auf eine Tram der Linie – sagen wir – 2 zu warten, wenn man denn sicher wäre, dass die Tram der Linie – sagen wir – 2 nach 19 Minuten auch wirklich käme und dann das Warten ein Ende hätte. Doch das Warten ist bei der RNV (Reise Nicht Verlässlich) längst ein „Warten auf Godot“. Bis auf Weiteres. Ich glaube, durch ein Versehen hat da mal ein unterbelichteter Bürohengst die Unternehmensleitlinien mit denen der Deutschen Bahn verwechselt. Man wartet für unbestimmte Zeit auf etwas Unbestimmtes. Ab und an schaut ein hipper Hermes vorbei mit der Kunde: Die Tram kommt nicht mehr heute, ganz bestimmt aber morgen. Hmpf!
Ich könnte jetzt auch RNV durch ABC ersetzen, denn das steht für Alya, Bela, Caro. Die Drei lassen mich nämlich gerade sitzen. Ich esse allein, aber das (vegetarische) Essen allein macht mir den Zustand des Wartens nicht erträglicher, im Gegenteil: Ich frage mich immer, wie viel Essen am Ende des Wartens noch übrig bleibt – und wie viel von meiner Zeit, die von ABC, RNV oder eben der DB verschwendet wird.
Die mich kennen, wissen, dass in mir auch ein kleiner fieser Controller schlummert. Wann immer ich in einer Gruppe warte, rattern Zahlen durch meinen Kopf: Wenn ich mit 13 anderen 19 Minuten auf die Tram der Linie – sagen wir – 2 warte, dann warten wir gemeinsam 266 Minuten. An einer Haltestelle! Nehme ich nun noch die 30 Stationen bis zur Endhaltestelle hinzu und gehe davon aus, dass überall etwa zehn Leute neunzehn Minuten warten, dann komme ich auf 314 Menschen, die 19 Minuten ergo 5966 Minuten ergo rund 100 Stunden warten. Und das bei dem heutigen Fachkräftemangel. Die meisten (Möchtegern)Fahrgäste fahren ja nicht mit dem Partywagen zum Spaß durch die Gegend, nein: Die müssen dringend wohin!
Das Beispiel bezieht sich auf eine einzige Fahrt. Nimmt man alle Fahrten im öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie in Blechkisten der laut Statistischem Bundesamt 44,5 Millionen Erwerbstätigen zusammen, so ist man fix bei Millionen von Stunden, die täglich gewartet werden. Was das an Verlust von Produktivität bedeutet, muss ich den BWLern unter uns nicht erklären. Kein Wunder, dass sie die Viertagewoche einführen wollen. Einen Tag muss man zum Warten mit einplanen.
Ich finde, die Leute sollten einfach dort wohnen, wo sie arbeiten. Im Büro. Das wäre auch viel ökologischer. Apropos: O Gott, mein Meeting. Ich bin spät dran …
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