Kolumne #mahlzeit

Das geht von allein kaputt!

Hersteller und Designerinnen aus aller Welt tun alles, damit Produkte nach gewisser Zeit von allein kaputt gehen oder nicht mehr geliebt werden. Man nennt das Obsoleszenz - ein Unding, wie Kolumnist Stefan M. Dettlinger findet

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Ich habe mich, nachdem ich auf der Mannheimer Bundesgartenschau unter sehr vielen Mülltonnen begraben wurde und nicht mehr aus dem Staunen herauskam, entschieden, jetzt nur noch Kolumnen zu schreiben, die von selbst kaputtgehen, sich auflösen – also erst nach einer gewissen Zeit natürlich. Sie werden dadurch obsolet, wie Expertinnen sagen. Auch Experten sagen es. Vielleicht darf ich dann noch mehr und öfter schreiben. Das wäre prima.

Die Sache geht ganz einfach. Man muss nur eine Mini-App in die Kolumne implementieren, in die man Halbwertszeit und Herzstillstand einprogrammiert, dann sagt das Ding irgendwann: „Stop! Drop it!“. Wirf es einfach weg. Dann löscht sich der Text von allein. Ich habe den Auftrag zur Entwicklung einer solchen Halbwertszeit-App gerade an die IT gegeben. Die kennen sich aus.

Die Welt, so erfuhr ich in der Ausstellung unter den Mülltonnen, ist ohnehin voller Obsoleszenz. Die „in seiner Herstellungsweise, seinen Materialien oder Ähnlichem angelegte Alterung eines Produkts, das dadurch veraltet oder unbrauchbar wird“ (Duden), ist gang und gäbe. Der iMac kann nach zehn Jahren nicht mehr das aktuelle Betriebssystem laden und muss auf den Müll (oder ins Museum). Das Auto samt Elektronik verreckt ebenso nach zehn Jahren und wird verschrottet. Und Mobiltelefone mit ihren wertvollen und raren Innereien werden oft schon nach drei Jahren obsolet. Sie kommen auf afrikanische oder asiatische Müllhalden, wo sich Tausende Kinder dran vergiften. Das wollen die Hersteller so. Und die Kunden auch.

Auch die Deutsche Bahn hat längst die Obsoleszenz als Mittel ständiger Erneuerung entdeckt. Weichen und Signale, Oberleitungen und Unterführungen, Lokomotiven, ja, sogar die Lokomotivführer und das gesamte Zugpersonal sind so konstruiert, dass sie nach zehn Jahren kaputtgehen (während unsereins längst an der Bahn kaputtgegangen ist).

Und dann die Mode. Man nennt es psychologische Obsoleszenz, wenn wir, obwohl die alte noch gut ist, eine neue Jeans brauchen, weil der Schnitt der alten irgendwie nicht mehr ganz hip zu sein scheint, weil die Jugend längst Anderes trägt. Die Beine zwei Millimeter enger. Der Schritt tiefer. Der Bund höher. Bela kauft ständig neue Klamotten.

Die hoch angesehenen Designenden von Fashion sowie allerlei modischen, lifestyligen und industriellen Produkten haben es – in Verbindung mit den hoch angesehenen Werbe- und Marketingfachkräften – in minuziöser Creativity-Work geschafft, aus uns verschwenderische, verschuldete und ewig unzufriedene Kreaturen zu machen. Hey, (wo)men, congratulations! Damit sind die hippen Boys and Girls samt Auftraggeber, also Unternehmerinnen und Unternehmer, gleichzeitig für Giftmüllberge und Millionen Tonnen Emissionen verantwortlich. Aber wir – also du und ich und Alya und Bela und Caro – auch. Denn wir gehen den Typen immer wieder aufs Neue auf den Leim.

Sorry, diese Kolumne ist doch nicht selbstlöschend. Ich erhalte gerade Nachricht aus der IT: Geht nicht! Ach: Das gibt’s also doch!

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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