Kolumne #mahlzeit

Wo sind die Mitläufer, die in jedem System funktionieren?

Bela ist der perfekte Repräsentant eines perfekten Bürokraten. Alles funktioniert prima und nach Plan bei ihm. Aber wie würde er sich bei einem politischen Systemwechsel verhalten? Das fragt sich Kolumnist Stefan M. Dettlinger

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Manchmal sehe ich mir die Leute an. Ich sehe, wie sie so sind, wie sie aussehen, wie sie sich geben und wie sie aus ihrer Haut nicht heraus können. Sie sind dünn oder dick, jung oder alt, schön oder hässlich, total altmodisch oder total übertrieben einem hippen Outfit hinterherlaufend, von dem sie sich verjüngende und den Zellverfall retardierende Kräfte versprechen. Sie sind klug oder dumm oder halten sich für klug und sind doch dumm. Manche sind geistig beweglich, andere sturer als Esel.

Und wie ich sie so sehe, die Leute mit ihrem Äußeren und Inneren, stelle ich sie mir in anderen politischen Systemen vor, etwa im Putin-Russland. Ich kann nichts dagegen tun. Das sind ja alles überzeugte Demokraten. Aber ich frage mich dann aber, ob sie Demokraten sind, weil das halt der Mainstream und also einfach ist, oder einer tiefen politischen Überzeugung wegen, für die sie auch gegen den Strom schwimmen würden, was wehtun kann.

Bela zum Beispiel, der perfekte Repräsentant eines perfekten Bürokraten. Die Inkarnation des Aktenordners. Er trägt nur Gummisohle, ein Leisetreter, dem niemals (ich meine wirklich niemals) ein Hemdzipfel aus der Hose rutschen würde. Die Welt scheint in seinem Hirn in minuziös kategorisierten Excel-Tabellen eine Koexistenz zu führen. Ich bin sicher, er bewahrt seine Unterhosen fein säuberlich mit Datum versehen und farblich geordnet in Leitz-Ordnern auf und koordiniert sein Liebesleben in Planungstools – so in der Art: „Freitag, 13.10, 23-24 Uhr: Meeting und Beischlaf Eva. Endlich mal wieder (Einladung durch Eva abgelehnt).“

Ich stelle mir dann von dieser Kategorie Mensch und also auch von Bela vor, dass der reibungslose Verlauf bei ihr doch über allem anderen steht, also auch über der Moral. Ich stelle mir von dieser Kategorie Mensch und also auch von Bela vor, dass sie, egal in welchem System, immer bestens funktionieren würde. Und ich stelle mich von dieser Kategorie Mensch und also auch von Bela vor, wie sie mit total durchschnittlicher Leistung und Motivation, aber glatt und perfekt funktionierend, die Karriereleiter hochklettert und es dann eben doch zum Dingsbumsvorsitzenden bringt.

Vielleicht tue ich Bela unrecht (hoffentlich liest er das hier nicht, denn dann wäre wahrscheinlich endgültig Schluss mit unserer Freundschaft). Und vielleicht ist der deutsche Mainstream (eher öko, eher sozial, eher pazifistisch?) auch ein eher guter Mainstream, den man auch im Sinne einer Freidenkerei keinesfalls kategorisch ablehnen sollte. Ich weiß es nicht. Aber irgendwoher müssen doch bei Systemwechseln all die Leute kommen, die das neue System so schnurren lassen wie das alte. Dafür können doch nur die verantwortlich sein, die nie (oder nur hintenrum) das Maul aufmachen, wenn es mal darum geht, gegen Mehrheiten argumentieren oder kämpfen zu müssen. Eigentlich macht Bela schon den Mund auf – na ja: Wenn Alya, Caro und ich ihn zu Wort kommen lassen – und dann auch noch zufällig auf seiner Agenda steht: „Donnerstag, 12.12., Meeting, Gegen E-Autos wettern. Keine Einladungen versendet.“

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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