Mit guten Vorsätzen soll man ja vorsichtig sein. Die häufen sich nämlich an. Um ehrlich zu sein: Ich arbeite heute noch an den Vorsätzen von 1984. Die Liste war lang. An erster Stelle stand: Verbessere die Welt! Okay, ich war naiv, aber mit 18 darf man noch ein wenig naiv sein. Heute ist die Liste kürzer, weil ich weiß, dass mir zum Weltverbesserer die Mittel fehlen. Ich meine: Nicht mal der Papst hat Einfluss auf Piesepampel wie Putin, Trump oder Xi! Was soll da ich ausrichten!
So habe ich mir also angewöhnt, dort etwas verbessern zu wollen, wo mein Einfluss am größten ist: bei mir selbst. Durch irgendeine Technik, durch spirituelle Übungssysteme oder, wie Peter Sloterdijk sich mal auf 700 Seiten ausdrückte, „menschliche Vertikalspannung“ sollte es mir doch gelingen, ein besserer Mensch zu werden – und damit meine ich nicht nur den empathischen Bereich, sondern etwas, ja, Universelles (jetzt wollen mich sicher einige gleich wieder irgendwohin einweisen, stimmt’s?).
Also ich bin ja kein Philosoph oder so was, aber mir scheint, es geht um Tugend. Nur deren Verfolgung lässt mich doch über mich selbst hinauswachsen, spornt mich wie den Sportler zu Leistung an, macht mich zu mehr als bloßer Existenz. Das Eifern nach Tugend muss mich doch mit irgendeiner Form von Transzendenz verbinden und eine metaphysische Connection herstellen können zu der Sphäre jenseits des Sichtbaren.
Also ich bin ja kein Philosoph oder so was, aber mir scheint, es geht dabei auch um Askese, also Verzicht und Übung. Mein Hauptvorsatz lautet also: mehr Sein und weniger Haben und dadurch das tun, was planetar gesehen das Wichtigste ist: das Klima schützen. Denn je mehr Bedürfnisse die Mechanismen des Kapitalismus in unsere Köpfe säen, desto mehr davon müssen wir befriedigen – und also konsumieren: fossile Brennstoffe, Plastik, das aus fossilen Brennstoffen gemacht ist, seltene Rohstoffe, Luxusgüter. Die Liste ist lang und die Frage: Was davon brauchen wir wirklich, um Glück zu empfinden?
Also ich bin ja kein Philosoph oder so was, aber Glück, so scheint mir, fühlen wir doch dann, wenn wir so etwas wie Freiheit spüren? Was macht uns also frei? Ich komme jetzt nicht mit dem alten bärtigen Mann aus Trier (ich glaube, Karl Marx hieß er), nach dem uns jede Art von Eigentum unfrei macht. Aber nehmen wir etwa unser liebstes Teil, das smarte Phone. Scheinbar bietet es unendliche Freiheit. Dabei macht uns doch etwas, ohne das wir nicht mehr einkaufen, bezahlen, kommunizieren, fotografieren und ergo leben können, abhängig und unfrei. Es ist doch längst so, dass in unserem materiell übervollen Kapitalismus-Sein mit viel zu viel von allem die Kunst nicht darin besteht, Dinge anzuschaffen, also zu kaufen, sondern darin, der Kaufversuchung zu widerstehen. Ich will das Verzichten üben. Das ist einer meiner guten Vorsätze.
Also ich bin ja kein Philosoph oder so was. Trotzdem schwadroniere ich hier wild in der Gegend rum. Sorry, aber manche Dinge kann ich mir nicht oft genug vornehmen. Wo war doch gleich die Liste von 1984 noch?
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