Bela war auf einer Demo gegen rechts. Er sagt: „Es gibt so viele, die gegen rechts sind und bereit, dafür auf die Straße zu gehen und ,Nie wieder ist jetzt!’ zu skandieren – das war echt toll und macht mir Mut. Wir ändern etwas.“
Ehrlich gesagt: Ich halte Bela für einen Mitläufer. Punkt.
„Na ja“, sagt Caro, die vom Friseur kommt und mit den ungeordnet abstehenden Haarsträhnen aussieht wie ein Schrubber, mit dem gerade Kürbis-Ingwer-Suppe vom Boden gewischt wurde. „Was heißt da na ja?“, fragt Bela. Er lehnt sich in einem Akt jäher Angriffslust so weit über den Tisch, dass seine silberne Krawatte von der veganen Bolognese vor ihm kostet. „Fahr mal dein seidenes Phallus-Symbölchen ein, mein Lieber“, meint Caro, „du besudelst dich. Außerdem: Wir sagen jetzt alle mal schön: Om. Na los: Ommm …!“
Das sagt die Richtige, denke ich. Ich kenne keine, die ähnlich cholerisch ist. Okay, vielleicht der backpfeifende Pfarrer Braun meiner Jugend. Dagegen ist Bela ein Phlegmatiker. „Du denkst an die 1,4 Millionen, die demonstriert haben sollen? Laut Medienberichten? Nimm das als Zähler und mache in den Nenner 83,9 Millionen, dann sieht die Sache anders aus.“ Bela antwortet mit einem quäkigen „Hä?“, worauf Caro ihm erklärt, dass 1,4 Millionen gerade mal 1,7 Prozent der Bevölkerung sind. Sie sagt: „Verschwindend klein gegen die 22 Prozent, die laut Umfragen AfD wählen würden. Das sind, wenn man von den Wahlberechtigten auf alle schließt …“, Caro denkt nach und lässt ihre Augäpfel nach oben rechts wandern, „18,5 Millionen.“
„Seit wann kannst du rechnen?“, fragt Bela, worauf Caro nur die Augen rollt und dann davon beginnt, dass sie sich fragt, was die Demos erreichen werden und ob sie nicht die Radikalisierung am linken und rechten Rand weiter vorantrieben, wenn sich all das Establishment versammle und pauschal gegen rechts demonstriere, ja, „ob das nicht eigentlich reine Symbolik ist“.
„Was ist die Alternative“, fragt Bela, „nichts tun? Schweigen? Wir brauchen diese Stimmung, dieses WIR-sind-Deutschland-nicht-IHR-Gefühl.“ Caro rollt wieder die Augen und meint, dass wir vielleicht alle ahnen, dass sie eines sicher nicht ist: rechts, dass aber natürlich auch AfD-Wähler Teil Deutschlands seien, wenngleich ein trauriger: „Das lässt sich nicht leugnen!“ Bela sagt, es sei auch so, dass nicht alle, die angäben, rechts zu wählen, auch wirklich rechts dächten, und: „Fast 80 Prozent stehen ja zu unserer Demokratie und offenen Gesellschaft.“
„Leute“, sagt Caro da im bundespräsidialen Überlegenheitston, „ihr wisst schon, was schuld ist am Erstarken der AfD: Es ist vor allem anderen die Politik der vergangenen Jahrzehnte, die uns eine marode Infrastruktur hinterlassen hat. Warum trägst du überhaupt eine Krawatte, Bela. Du siehst aus wie’n Spießer.“ Bela ist mit Caros Charme mal wieder heillos überfordert. Er sagt: „Sogar Spießer demonstrieren. Alle sollen kommen, alle 78 Prozent der AfD-Gegner: 65,5 Millionen, Babys, Greise, Caros sind auch dabei!“ Vielleicht sind Männer, die heute Krawatte tragen, doch keine Mitläufer. Die tragen längst Vollbart und Hoodie.
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