Kolumne #mahlzeit

Sollen wir für die Klimarettung keine Kinder mehr zeugen?

Mehr als 50 Prozent der Jüngeren sieht Kinderkriegen kritisch - wegen des Klimas. Retten wir so die Welt? Nein, findet Kolumnist Stefan M. Dettlinger und plädiert dafür, statt Angst vor der Zukunft zu haben, sie zu verbessern

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Vielleicht sollte ich mehr aus dem Leben von Alya, Caro und Bela erzählen. In ihrem Schreiben an mich meinte eine Leserin neulich, eine grafische Darstellung der Beziehungen von Alya, Bela, Caro und mir wäre hilfreich. Dabei schwärmte die Leserin von Dostojewski, von dessen Mega-Romanen, dem „Idioten“, den „Dämonen“ und „Schuld und Sühne“, bei denen am Ende in manchen Ausgaben das gesamte Personal mit allen familiären, sozialen und politischen Verquickungen übersichtlich dargestellt worden sei.

Also das schmeichelt mir. Dass jemand an den großen Dostojewski denkt, wenn er den kleinen Detti liest – huch. Zum einen. Zum anderen aber spüre ich – schnüff – große Kritik. Dostojewskis Personal besteht aus bis zu 30 hochkomplexen Charakteren (ich habe nicht noch mal recherchiert). Wenn also jemand schon bei meinen 3 + Detti nicht durchblickt, so fällt das wohl oder übel auf den Autor zurück. Ich kenne den Typ.

Und deswegen erzähle ich nun von Alya (einssiebzig, braunes langes Haar) und ihren neuen Leiden als Alleinerziehende. Immer öfter, erzählte sie neulich, würde sie von jungen Leuten schräg angesehen. Statt ihre Tochter Elin im Kinderwagen tätscheln zu wollen, erntete sie kritische Blicke. Wenn sie dann frage, was los sei, bekäme sie Antworten wie: „Heute ein Kind in die Welt setzen. Die Arme wird leiden – und schadet dem Klima.“

Ich war sprachlos, als sie das erzählte. Man kann, dachte ich, dieser misanthropischen Ansicht vielleicht sein. Okay (so erklärt sich auch, dass 26,4 Prozent der 16- bis 24-Jährigen laut Appinio-Statistik angeben, des Klimas wegen keine Kinder haben zu wollen, weitere 24,5 Prozent wollen dies weniger als früher). Aber man kann das doch nicht einer glücklichen Mutter ins Gesicht sagen! Das. Ist. Asozial. Natürlich, sagte ich zu Alya, schaden zehn Milliarden fleischfressende Erdlinge der Welt mehr als die 8,152641543 Milliarden, die ich zuletzt gezählt hatte. Aber nach dieser Logik müsste man ja die Bevölkerung aktiv reduzieren, was ja nur durch abscheuliche Maßnahmen wie die von Wladimir dem III. in der Ukraine möglich wäre.

Außerdem – und das fiel mir leider erst ein, als Alya schon weg war – ignoriert die Baby-Stopp-Denke viele Aspekte, die das Leben hier unten erst lebenswert machen. Nein, ich spreche nicht von der Rente, die ja künftig auch Alya und mir jemand wie Elin wird bezahlen müssen. Ich spreche von der Begrifflichkeit Zukunft an sich und wofür sie steht: für Vision, Utopie, Aufbruch, Kreativität. Sie steht im immateriellen Sinn auch für das, was wir gegenwärtig nicht haben, aber haben wollen: Gerechtigkeit, Frieden, Vernunft, ein bewältigter Klimawandel. Ein Kind bedeutet: Wir stellen uns neue Fragen und uns infrage. Wo wären wir ohne Greta und die Fridays for Future? Wollen wir einen Planeten ohne menschliche Spuren? Es wäre wie vieles im Universum. Es wäre da, aber keiner, der es bewusst wahrnähme, dass es da ist. Die Frage ist also nicht, keine Kinder zu zeugen, um die Erde zu retten, sondern sie für neue Kinder lebenswert zu erhalten. Nur für Angsthasen ist das unerreichbar. Und wer will zu denen gehören?

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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