Kolumne #mahlzeit

Warum sich Bela als alter weißer Mann stigmatisiert fühlt

Ist unsere Freiheit aus dem Innn heraus in Gefahr? Kolumnist Stefan M. Dettlinger hört Bela dabei zu, wie er erklärt, warum seiner Meinung nach unsere Gesellschaft zersplittert, weil sie stets nach Verschiedenheit sucht

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Mannheim. Jetzt mal ganz ehrlich: Manchmal träume ich von meiner Kindheit, von dieser rosaroten Watteunbeschwertheit, wo du, von sanften Tagträumen eingelullt, blinzelnd in den Sonnenschein hineinleben konntest, mit Doktorspielen, dem schielenden Löwen Clarence aus „Daktari“ und zur Fasnacht natürlich mit Indianer und Cowboy. Ich stand voll auf Indianer, hatte Apachen so lieb wie Michael Endes Jim Knopf, ja, es gab Zeiten, da habe ich mich gefragt, warum nicht alle Menschen gleich sein können …“

„… Träumer …“, sagt Caro.

„… und heute muss ich meinen Neffen erzählen, dass sie, wenn sie weißen Rap und Reggae hören oder Karl May lesen, Gefahr laufen, von Mitgliedern irgendwelcher selbst ernannter Opferinteressengruppenvertretungen verdächtigt zu werden, Künstlerinnen oder Künstler, halt Kunstschaffende zu unterstützen, die kulturelle Aneignung betreiben. Ich finde das schrecklich, …“

„… unverbesserlicher alter weißer Mann …“

„… weil ich das Gefühl habe, dass ich dem latenten Vorwurf, Rassismus sei intrinsisch an die weiße Hautfarbe und also auch an mich gebunden, nicht entfliehen kann. Das macht mich verzweifelt. Und traurig. Das Ziel von Gleichheit und Gleichberechtigung, ja, auch das Ziel unseres Grundgesetzes, nach dem niemand wegen seines Geschlechts, der Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf – es scheint nicht mehr durchsetzungsfähig zu sein in einer Gesellschaft, die mehr darauf bedacht ist, nach Unterschieden zu suchen statt nach Gemeinsamkeiten …“

„… Schwachkopf mit Ohr …“

„… man weiß nie, wahrscheinlich wollen sie demnächst auch noch sprachlich alles verbieten, was Lobbygruppenvertreterinnen als verletzend empfinden könnten. Ja: Könnten! Ich befürchte da einen großangelegten Angriff auf unsere Freiheit, auf die Meinungsfreiheit und auf die Freiheit der Presse, der Kunst und überhaupt von allem freien Denken. Das ist die Diktatur vorauseilenden Gehorsams, eine Diktatur vorauseilender Überkorrektheit …“

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„… weinerlicher Idiot …“

„… ja, genau, ich fühle mich wie ein Idiot und – ja, stigmatisiert, real stigmatisiert als alter weißer, böser, hinterhältiger und gemeiner Typ, der ich, das werdet ihr doch bezeugen, nicht bin.“

Stille kehrt ein. Bela hat seinen Redeschwall endlich unterbrochen. Er atmet laut und schwer. Sein Gesprochenes kam quasi ohne Atmen aus ihm heraus. Caro blickt mich an. Ihre Augen: zwei Fragezeichen. „Meinst du all das wirklich, denkst du, es gibt mittlerweile einen Rassismus dir und anderen alten weißen Männern gegenüber?“, frage ich Bela – der nur mit den Schultern zuckt und leise meint: „Ich bin nicht alt.“ Bela wirkt zerknirscht. Er flüstert: „Was sollen wir denn nach außen verteidigen, in der Ukraine oder sonst wo, wenn wir die Freiheit hier, bei uns, nicht mehr achten?“ „Klingt interessant“, sage ich. „Und reaktionär“, meint Caro. Bela schluchzt. Ist das eine Träne, die da die Wange herunterläuft?

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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