Bela ist begeistert und sagt: „Das war ja toll gestern bei Karosh Taha in der Uni-Aula, fandet ihr nicht?“ Caro schaut zu Alya. Alya schaut zu mir. Ich sage: „Hm.“ Wir hatten tatsächlich alle vier das Buch von „Eine Stadt liest ein Buch“ gelesen und wollten die Autorin live erleben. Also Tatsache sei, meint Caro, dass „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ kein Buch für eine ganze Stadtgesellschaft sei, denn die „Krabbenwanderung“ sei selbst für sie und ihren – Caro macht Päuschen und sucht nach dem richtigen Wort – verwegenen und risikobereiten Geschmack zu speziell. „Wie sollen sich denn dann Hinz und Kunz, beispielsweise durchschnittliche „Mønnemerinne un Mønnemer“, mit dem Werk anfreunden?“
Bela sieht es anders. Das Buch sei doch eine gute Story, poetisch und einfach geschrieben. Er sei ja absolut kein Fan aktueller deutscher Literatur, habe es aber genossen, in eine Welt abzutauchen, die ihm so fremd sei. Es sei eine abenteuerliche Reise gewesen in eine kurdische Hochhauswelt, in der die Menschen und ihre Geschichte sich gegenseitig selbst gefangen hielten: „Ich jedenfalls sehe nach dem Buch vieles, was Migrantinnen angeht, anders. Mir waren die latenten Traumata so gar nicht bewusst.“
„Ja, das ist aber alles so trist und ernst. Wie die Autorin selbst. Total spaßfrei. Die geht zum Lachen bestimmt in den Keller, so wie sie sich präsentiert hat mit der fistelnden Depri-Stimme.“ Das sage ja die Richtige, meint jetzt Bela, der von Alya dafür scharf angesehen wird. „Ich glaube jedenfalls“, sagt Caro, um ihre Verlegenheit wegen Belas Attacke zu überspielen, „dass so ein Buch nur von Leuten gelesen wird, die sich explizit dafür interessieren. Bildungsnormalbürger:innen – ihr wisst: Das sind nicht unbedingt meine Lieblingsmenschen – die werden da ja genauso ausgeschlossen wie Ältere und Leute, die eher nicht lesen. Handwerker und Typen mit Migrationshintergrund.“
„Die lesen eh nicht“, sagt Alya.
Bela lässt daraufhin nur ein langes „Buh“ los. Ich muss sagen, die Diskussion gefällt mir, weil sie die erwarteten Positionen vollkommen verkehrt hat. Ich hätte gedacht, dass Luxus-Bela das Buch doof findet und Öko-Caro super. Auch dass Alya, die, wie man unschwer am Namen sehen kann, selbst Migrationshintergrund hat, so schlecht über Migranten spricht, verwundert mich.
Ich finde die „Krabbenwanderung“ ja irgendwie auch gut. Teils zumindest. Ich glaube auch, dass so ein Buch, das im migrantischen, nun ja, Unterschichtenmilieu spielt, ob das nun Kurdinnen oder Afghanen sind, egal, dass das ein Angebot ist für die deutsche Gesellschaft, sich mit Psychologien auseinanderzusetzen, die sonst verborgen bleiben. So könnte das zum Kitt werden, Verständigung zwischen Sphären.
„Ich fahr’ jetzt mal in den Jungbusch und die Neckarstadt, wo vielleicht Kurden leben“, sagt Bela, „ich packe das Buch ein und lese auf Plätzen das Buch laut vor. Ein Test: Wie finden die das selbst?“ Ich wusste gar nicht, dass Bela so verrückt ist. Aber mich würde die Meinung dort draußen natürlich auch brennend interessieren …
Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/leben_artikel,-ansichtssache-wie-bela-bei-kurden-aus-der-krabbenwanderung-vorlesen-will-_arid,2006539.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.demailto:mahlzeit@mamo.de