Kolumne #mahlzeit

Wie viel Fleisch sollten wir essen?

Einen handfesten Streit darüber, wie viel Fleisch man essen sollte, erlebt Kolumnist Stefan M. Dettlinger in seiner 188. Mahlzeit mit seinen Freundinnen und Freunden Alya, Bela und Caro - Verletzungen inklusive

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Hätte ich es bemerken, wissen und vermeiden müssen, was auf Bela und mich zukam, als Caro neulich orkanartig den Speisesaal betrat? Wie Thomas Manns „Zauberberg“-Russin Clawdia Chauchat stürmte sie herbei, schnell, schnaubend und polternd die Türe schlagend. Sie kam an den Tisch, warf sich auf einen Stuhl und sprach: „Sag’ mal, musst du eigentlich täglich kiloweise Fleisch fressen. Das ist eklig, verantwortungslos und geht mir tierisch auf die Eierstöcke.“ Selbst ich mit meiner trockenen Pesto-Pasta fühlte mich attackiert. Wie erst muss Bela, das Rindfleisch fressende Wesen, sich gefühlt haben? Aber Bela ist ein Fuchs. Deswegen sagte er erst mal nur: „Wen interessiert, was dir auf die Eierstöcke geht? Sag mal: Wie drückst du dich eigentlich aus? Eierstöcke …“

Aber auch Caro wäre nicht Caro, hätte sie nicht partout einen Konter parat. Während er, Bela, so Caro, den ganzen Tag seine Eier schaukele, kratze sie sich eben den lieben langen Tag an den Eierstöcken. „So!“ Natürlich warf ihr Bela noch ein „Das will ich sehen“ hinterher, und ich sagte: „Wollt ihr vielleicht mal sachlich werden? Ich dachte, es ginge hier um den Verzehr von Fleisch.“ Caro, immer noch mit dieser Wisch-Mopp-Frisur, hat, so denke ich im Nachhinein, vielleicht doch eine entfernte Ähnlichkeit mit Clawdia Chauchat. Sie ist eine (relativ) junge Frau mit (relativ) rötlichblondem Haar, (relativ) breiten Wangenknochen, (relativ) schmalen Augen und, nein: Derbe Hände hat Caro nicht. Der Vorteil Clawdia Chauchats ist ganz klar, dass sie eine literarische Figur ist, die jeder sich ausmalt, wie er will. Ich habe sie mir immer … ach, das tut hier wirklich nichts zur Sache.

Die Diskrepanz, die sich bei uns nun auftat, war in etwa so krass wie die zwischen Baerbock und Lindner oder zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Olaf Scholz. Caro sagte: „Wir brauchen dringend eine Tierwohlabgabe und teures Fleisch. Sehr teures Fleisch. Wie sonst sollten so fleischfressende Monster wie du, Bela, die durch ihr Konsumverhalten im Nebenberuf drastisch für einen noch schnelleren Weltuntergang, für mehr Kinderarbeit und noch mehr Ausbeutung des globalen Südens tätig sind – wie sollten solche Moralkakerlaken sonst kapieren, dass Fleisch-in-sich-Reinstopfen und SUV- oder Porsche-Fahren die Atmosphäre und die Welt kaputt machen.“

Bela schloss die Augen, atmete hörbar tief ein, schwieg. Ich kann nachvollziehen, dass er hier erst mal gar nichts mehr sagte – na ja, außer einem fast gestaltlosen leisen Zischen, das man mit Mühe als „grüne Wohlstandskrätze“ erkennen konnte. Von ihr aus, so Caro, die wohl gemerkt hatte, eine Grenze überschritten zu haben, von ihr aus müsse er ja nicht gleich Vegetarier werden, sich aber fragen, ob drei oder vier Mal Fleisch pro Woche nicht ausreichend sei. „Und das ist dann sozial“, fragte Bela, „wenn Normalverdiener sich dann kein Fleisch mehr leisten können, Frau Gerechtigkeit?“ In dem Moment kam Alya an den Tisch. Bela stand auf und, huch, küsste sie. Wir staunten. „Was glotzt ihr so?“, fragte Alya und sagte: „Und das mit dem Fleisch – das kriegen wir auch noch hin.“

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