Hansi Flick wirkt in diesen niederschmetternden Tagen für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wie der Trainer eines ambitionierten Bundesliga-Vereins, der unerwartet in den Abstiegskampf gerutscht ist. Ratlos, ein bisschen verzweifelt, ohne auch nur ansatzweise funktionierendes Konzept. Die Eigendynamik des Misserfolgs schlägt mit voller Härte zu. Kann der Kurpfälzer noch rechtzeitig vor der Heim-EM in einem Jahr die Trendwende schaffen oder braucht es einen neuen Impuls auf der Position des Bundestrainers? Das ist auch eine Frage der personellen Alternative.
Klar ist, dass die DFB-Elf aktuell ihre schwierigste Phase seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, durchläuft. Dass nach dem der Saison nachgeschalteten Länderspiel-Dreierpack gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien nur ein (überaus glückliches) Remis und zwei Niederlagen zu Buche stehen, ist höchst alarmierend – vor allem unter dem Gesamteindruck der vergangenen zwölf Monate, dass die DFB-Elf das Siegen verlernt zu haben scheint. Da hilft auch der Verweis auf die gewiss nicht verbotenen personellen und taktischen Experimente in Testspielen als Begründung nicht weiter. Der Karren steckt auf sämtlichen Ebenen zu tief im Schlamassel. Die Stimmung ist am Tiefpunkt.
Diese Mannschaft hat seit dem WM-Fiasko 2018 in Russland als Titelverteidiger komplett ihre Identität verloren. Einfachste Abläufe funktionieren nicht mehr, die Defensive ist ein Torso, von Struktur, Stabilität und einer Hierarchie ist nichts zu sehen. Flick hat es nicht geschafft, diesen schweren Niedergang zu stoppen. Er hat ihn im Gegenteil mit zum Teil fragwürdigen Entscheidungen selbst befördert.
Die Hypothek der Wüsten-WM
Beschweren dürfte sich der Bammentaler, der die stimmungszersetzende Hypothek des Waterloos bei der Wüsten-WM in Katar mit sich herumschleppt, über einen Rauswurf sicher nicht mehr. Auch wenn mildernd hinzugefügt werden muss, dass man absolute internationale Klasse oder Weltklasse im aktuellen Aufgebot mit der Lupe suchen muss.
Die Frage, die sich direkt anschließt, ist nur: Wer soll es denn sonst machen? Beim Angebot an potenziellen (und auch dazu befähigten) Nachfolgern wird es schnell sehr dünn, wenn man Julian Nagelsmann eher Ambitionen für ein Engagement bei einem europäischen Topclub unterstellt. Jürgen Klopp (FC Liverpool) und Stefan Kuntz (Türkei) sind nicht verfügbar, Gedanken an eine Reaktivierung von Trainerrentnern wie Jupp Heynckes oder Ottmar Hitzfeld verbieten sich, wenn man dem ramponierten Image nicht noch weiteren Schaden hinzufügen will.
Deshalb wird Flick auch eine wahrscheinlich letzte Chance im September bekommen, wenn es gegen Japan und Vizeweltmeister Frankreich geht. In diesen Partien spielt die deutsche Auswahl aber nicht nur um die Zukunft ihres Trainers, sondern auch darum, ob die Entfremdung der Fans vom Nationalteam im einst stolzen Fußballland Deutschland bis zum nächsten Sommer überhaupt noch einmal in ein bisschen Aufbruchsstimmung zu überführen sein könnte.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Krise bei der DFB-Elf: Flicks letzte Chance
Die Eigendynamik des Misserfolgs schlägt beim DFB-Team mit voller Härte zu. Kann Hansi Flick noch rechtzeitig vor der Heim-EM die Trendwende schaffen oder braucht es einen neuen Impuls auf der Position des Bundestrainers?