Als die Rechtspopulistin Marine Le Pen am Sonntag bei der Europawahl einen leider Gottes grandiosen Sieg feierte, war das auch ein persönliches Desaster für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er reagierte sofort, löste die Nationalversammlung auf und kündigte Neuwahlen an. Ob das besonders clever war? Darüber kann man natürlich streiten. Klar ist aber: Macron weiß, was für ihn, seine Partei und Frankreich auf dem Spiel steht. Deshalb setzt er alles auf eine Karte. Das Risiko ist hoch: Wenn es schief geht, wird Le Pen Premierministerin und damit alles schlimmer.
Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder war 2005 auch einmal in einer schwierigen Lage. Er zockte wie Macron und entschied sich für Neuwahlen. Schröder hatte damals Probleme, seine Hartz IV-Reformen in der eigenen SPD durchzubekommen, aber keine Lust darauf, sich ewig mit den Genossen herumzustreiten.
Wir wissen alle, wie dieses gewagte Spiel ausgegangen ist. Aber immerhin rettete Schröder damals seine SPD nach einer Aufholjagd in eine große Koalition mit der Union – die danach allerdings ewige Zeiten mit Angela Merkel die Kanzlerin stellte. Bis heute sind die Experten uneins darüber, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Schröder das Risiko vermieden und dann vielleicht von der großen Euphorie nach dem WM-Sommermärchen 2006 in Deutschland profitiert hätte.
Dass Bundeskanzler Olaf Scholz nicht zu den Spielern wie Macron oder Schröder gehört, weiß jeder. Das muss ein Kanzler auch nicht sein. Wer einen kühlen Kopf behält, trifft vielleicht bessere Entscheidungen. Das Problem liegt bei Scholz woanders: Er ändert sich einfach nicht, obwohl der Kanzler den Begriff „Zeitenwende“ geprägt hat. Dass Scholz nach der verlorenen Europawahl auf die Frage eines „Spiegel“-Reporters, ob er nicht zu der Klatsche Stellung nehmen wolle, mit einem typisch hanseatisch-arroganten „Nö“ antwortete, sagt alles. Nämlich über die Probleme, die seine SPD und Deutschland mit ihm haben. Noch immer weiß Scholz alles besser, hält die anderen für doof und erklärt den Leuten nichts.
Kein Wunder, dass deshalb die Unzufriedenheit mit dem Kanzler immer größer wird. Weniger als ein Drittel der Deutschen meint, dass er seinen Job gut erledigt. Ein Armutszeugnis. Auch die Imagewerte des Sozialdemokraten haben im Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen einen neuen Negativrekord erreicht. Scholz fällt in den Top Ten der zehn wichtigsten Politikerinnen und Politiker in der Beliebtheit auf den vorletzten Platz zurück. Hinter ihm rangiert nur noch AfD-Chefin Alice Weidel. Aber offensichtlich ficht das Scholz nicht an, er erweckt nicht den Eindruck, als würde das Scholzsche Selbstbewusstsein darunter leiden, dass so viele Menschen ihn und seine Arbeit so schlecht bewerten.
Mit seiner Beratungsresistenz reißt Scholz natürlich auch die SPD nach unten. Dass die Sozialdemokraten mehr als zehn Prozent ihrer Stimmen verlieren würden, wenn schon am Sonntag Bundestagswahl wäre, ist nicht nur dramatisch für die Kanzlerpartei. Die Ampel kommt ja zusammen nur noch auf ein Drittel der Stimmen.
Damit ist das Ziel, das Scholz 2021 als Geschäftsgrundlage ausgegeben hatte – zumindest Stand heute – in weite Ferne gerückt: Die Ampel ist ja angetreten, um bei der nächsten Bundestagswahl bestätigt zu werden. Eine wenn auch knappe Mehrheit der Deutschen wünscht sich inzwischen lieber Neuwahlen. Das Vertrauen in die Ampel ist dramatisch gesunken. Die Bürgerinnen und Bürger glauben aber, dass das Dreierbündnis bis zum bitteren Ende weitermachen wird. Nach dem Motto: Wenn wir jetzt aufgeben, werden wir von den Wählerinnen und Wählern abgestraft. Nur: Wieso sollte das im nächsten Jahr anders laufen?
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Warum reagiert Olaf Scholz nicht auf die Wahlschlappe?
Die Europopawahl ist für den Budeskanzler in die Hose gegangen. Aber Olaf Scholz reagiert einfach nicht auf die Pleite. Sein Ansehen in der Bevölkerung ist auch deshalb auf ein neues Rekordtief gefallen, meint Walter Serif