Zeitreise

Zu Gast im Altlußheimer "Schnuteputzer Friseurmuseum"

In Altlußheim hat Willi Dörr einen wahrhaftig beeindruckenden Ort für einen spannenden Trip durch über 100 Jahre Geschichte geschaffen. Er plant, sein „Schnuteputzers Friseurmuseum“ nach der langen Pandemiepause im Frühjahr wieder zu öffnen.

Von 
Katja Bauroth
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Die Frau von der Zeitung hat Willi Dörr Utensilien für sein Museum mitgebracht - der Sammler freut sich. © Bauroth

Altlußheim. Zeitreisen faszinieren Menschen seit Gedenken. Das muss aber kein Science Fiction bleiben. In Altlußheim hat Willi Dörr einen wahrhaftig beeindruckenden Ort für einen spannenden Trip durch über 100 Jahre Geschichte geschaffen. Über sein „Schnuteputzers Friseurmuseum“ hat diese Zeitung schon öfters berichtet, wie auch Fernseh- und Radioteams. 2020 feierten der Friseurmeister, einst zweimaliger Weltpokal- und Europapokalsieger Willi Dörr und die Mitglieder des Fördervereins Friseurmuseum 20-jähriges Bestehen. In den zurückliegenden beiden Jahren war es sehr ruhig um die Einrichtung im Bürgerhaus geworden – bedingt durch die Pandemie. „Gerade eine Führung hatten wir letztes Jahr“, erzählt Willi Dörr bei meinem Besuch dieser Tage, „und das war beim Straßenfest“.

Das soll sich nach Möglichkeit bald ändern: „Wir würden gern ab März wieder jeden zweiten Sonntag im Monat von 10 bis 12 Uhr öffnen und auch auf Anfrage Führungen anbieten“, sagt er voller Zuversicht. Eine Voraussetzung hierfür: Er bekommt einen weiteren Raum im Bürgerhaus, denn schon lange platzt das jetzige Ausstellungszimmer aus allen Nähten. Bislang bekommt er an den Öffnungstagen des Museums einen zusätzlichen Raum gestellt, muss dann immer die Haartrockner und andere Exponate umräumen. Das kostet Kraft und Zeit. Und im Keller lagern auch noch sehenswerte Stücke, die darauf warten, in den Blickpunkt gerückt zu werden. Der Förderverein und er stünden diesbezüglich im engen Austausch mit der Verwaltung und Bürgermeister Uwe Grempels, der, wie seine Vorgänger, stolz auf das besondere Museum ist und es unterstützt, wo es nur geht. Durch Umstrukturierungen im Bürgerhaus könnte sich da bald was tun, hofft er.

"Schnuteputzer Friseurmuseum" in Altlußheim: Erinnerungen an Verstorbene

Willi Dörr ist nach wie vor sehr umtriebig, wenn es um sein „Baby“ geht. Gemeinsam mit seiner Frau Lioba hat der 78-Jährige sogar extra für mich die Exponate im Museumsraum aus dem Dornröschenschlaf geholt – sprich: die Laken und Tücher, die sonst alle Ausstellungsstücke vor Staub schützen, entfernt. Der Raum ist prall gefüllt, ich weiß gar nicht, worüber ich zuerst staunen soll. Die Augen bleiben an einer Art 3-D-Bildern mit sehr filigranen Motiven hängen. „Das sind Haare“, erklärt Willi Dörr die blumenähnlichen Gebilde und seine Augen leuchten dabei. Anfang des 19. Jahrhundert wurde mit solchen Haarbildern an liebe Menschen erinnert, die verstorben sind. Bei einigen stehen sogar Fotos dabei, etwa von einem Kleinkind, dessen goldblonde Löckchen zu winzigen Blüten mit Perlen geformt wurden. Mich wundert, dass alles so gut erhalten ist. Der Experte erklärt, dass Haar – trocken gelagert – nicht kaputt geht: „Haar ist wie Horn.“

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Nicht nur die Bilder fallen auf, auch Schmuck aus Haaren. Es gäbe nur noch zwei Frauen in Europa, die diese hauchfeinen Unikate wie Armbänder, Ohrringe und Ketten – sogar Eheringe – in mühevoller Handarbeit herstellen: eine Schweizerin und eine Finnin. „Die Finnin wollten wir besuchen – dann kam Corona“, berichtet Willi Dörr von drei Jahre alten Plänen. Um die 100 Stunden sitzen die Frauen an solchen Stücken, manchmal sogar länger – ein unvorstellbar fingerfertiges Handwerk, eines, das wohl ausstirbt. Heutzutage kann man sich zwar auch das Haar von Verstorbenen zum Beispiel in Kettenanhänger und Armbänder verarbeiten lassen, bei Weitem aber nicht in dieser grazilen und aufwändigen Art und Weise.

"Schnuteputzer Friseurmuseum" in Altlußheim: Der Drehstuhl aus der Kindheit

„Schnuteputzers Friseurmuseum“ vereint die Welt der Haararbeiten auf nur wenigen Quadratmetern. Darunter sind Raritäten wie eine Perücke mit der Rokoko-Damenfrisur „La Frégate“ (mit einem Schiff obendrauf) und ein echter portugiesischer Hochzeitskamm. Dann gibt es Utensilien, bei denen ich mich frage, ob diese wirklich im Friseurhandwerk Anwendung fanden (oder auch in Folterstuben) wie eine Haartrocknerhaube für Locken, die durch ihre tentakelähnlichen Schläuche mit Metallklammern an den Enden wie ein Gerät für Gehirnwäsche wirkt. Dann sind da Dinge, die mich an die eigene Kindheit erinnern, etwa der Holzstuhl mit halbrunder Lehne, den meine Friseurin nach oben drehte, um mir einen Kurzhaarschnitt zu verpassen. Oder die Metalllockenwickler, die meine Oma hatte. Und da wären noch die gelben, blauen und lachsfarbenen Plastikstäbchen mit Gummi, die für mein Kaltwellendebakel Anfang der 1990er Jahre verantwortlich waren – so ist das mit der Mode . . .

Willi Dörr zeigt eine echte Rarität: ein Kosmetikkasten aus dem Jahr 1900. Der wird gut verschlossen aufbewahrt. © Bauroth

"Schnuteputzer Friseurmuseum" in Altlußheim: Persönliche Rasiernäpfchen

Viele seltene und wertvolle Sammlerstücke hat Willi Dörr im ersten privat-öffentlichen Friseurmuseum in Baden-Württemberg zusammengetragen – um die 3000 Exponate sind es wohl. Der älteste Gegenstand ist aus dem Jahr 1813, die neuesten Frisierköpfe hat Enkeltochter Sabrina beigesteuert, die Welt- und Vizeweltmeisterin ist. Von Dauerwellapparaten über Gegenstände aus dem Friseurbedarf wie Onduliereisen, Rasiermesser und Föhne einschließlich Pflegeprodukten, die man auch heute noch in der Drogerie findet, bis hin zu kompletten Saloneinrichtungen (von 1860 bis 2008) mit den für die Zeit entsprechenden modischen Besonderheiten, aber auch Alltagsgegenständen wie Bügeleisen, Kaffeemaschinen und Radios gibt es Unmengen zu sehen.

Altlußheim

Altlußheim: Zu Besuch in "Schuteputzers Friseurmuseum" bei Willi Dörr

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In einem Glasschrank fallen weiße Porzellannäpfe mit schwarzen Nummern auf. Als Männer sich zur Bartpflege alle drei Tage zum Friseur begaben, hatte jeder sein eigenes Töpfchen mit Rasierpinsel und bevorzugter Pflege vor Ort, erklärt Willi Dörr, selbst begeisterter Bartträger, der sich darüber freut, dass wieder mehr junge Männer zum Gesichtshaar stehen.

Rasierseifen und Shampoos wurden schon anno dazumal selbst hergestellt und mit bevorzugten Duftnoten wie Kokos, Lavendel oder Olivenöl verfeinert. In den Schränken lagern neben Fachbüchern und Zeitschriften noch einige wertvolle Raritäten, die er nicht jedem zeigt, zum Beispiel ein Kosmetikkasten mit edlen Döschen und Manikürbesteck von 1900. Das hat er gestiftet bekommen.

Ein Blick in die 1970er und 1980er Jahre: Die Frisuren waren spannend und es ging mit der Kosmetik richtig los. © Bauroth

Ein gutes Stichwort: Denn ich bin auch nicht mit leeren Händen gekommen. Ein Reisenecessaire in einem braunen Ledermäppchen, Bürsten, Plastikdosen mit silbernen Deckeln sowie ein Rasierset für unterwegs sollten aus Opas Nachlass ein neues Zuhause bekommen. Willi Dörr ist sichtlich froh, dass ich die Sachen nicht wegwerfe, sondern zu ihm bringe, auch wenn er weitaus schönere Necessaires dieser Art in seinen Vitrinen zeigt. Er ordnet die Utensilien in die 1950/60er Jahre ein. „Und hierfür finden wir bestimmt was im Keller“, kommentiert er einen Deckel, bei dem die dazugehörige Schachtel fehlt.

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„Schnuteputzers Friseurmuseum“ erzählt wunderbar die Geschichte eines der ältesten Berufe überhaupt. Und einer, der zum Bedauern von Willi Dörr große Nachwuchssorgen hat. Dabei vereint dieser Job doch so viel: Kreativität, Fingerfertigkeit, Mode, Chemie und Glücksmomente, wenn etwa der Kunde sich über seine schicke Frisur oder den frisch gestutzten Bart freut. Besser geht es doch eigentlich nicht. Und da der Mensch ein eitles Wesen ist, dürfte die Zeitreise in Sachen Friseurhandwerk weitergehen. Wer weiß, was es in dem Altlußheimer Kleinod bald noch alles Neues zu entdecken gibt.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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