Energiepolitik

Auch nach 20 Jahren beben in Brühl bei der Geothermie die Gegner

Die Bürgerinitiative Geothermie Brühl/Ketsch kritisiert nach wie vor die Antworten auf Begleichung möglicher Schäden durch die gewerbliche Erdwärmenutzung.

Von 
Ralf Strauch
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Brühl. Auf eine 20-jährige Geschichte im Irgendwo zwischen Ablehnung und Zustimmung kann das Brühler Geothermieprojekt inzwischen zurückschauen. 2005 starteten voller Euphorie die Arbeiten im sogenannten Untersuchungsfeld, also dem Bereich, in dem der damalige Projektentwickler Geoenergy das Recht zur Nutzung der Erdwärme zugesprochen bekommen hatte. Die seismische Erkundung des Untergrundes deutete schon früh darauf hin, dass Thermalwasser in ausreichender Menge zu erwarten sei.

Anhand dieser Daten wurde schließlich eine geeignete Fläche für das Vorhaben gesucht. Dieses Areal verpachtete die Gemeinde Brühl an Geoenergy. Die erste Bohrung erreichte im Februar 2013 nach fast einjähriger Bohrzeit den Zielhorizont. Auch das zweite Bohrloch für den Wasserkreislauf wurde ein Stück weit in die Erde getrieben. Doch seit Frühjahr 2013 ruhen die Arbeiten. Die Gerichte arbeiteten jedoch auf Hochtouren weiter.

„Verfolgt man die Berichterstattung rund um die Planungen zur Tiefengeothermie einschließlich der Stellungnahmen zu Gefahren und Risiken und beobachtet das tatsächliche Geschehen, gewinnt man schnell den Eindruck, es handelt sich um zwei völlig getrennte Themen“, meldet sich die Bürgerinitiative (BI) Geothermie Brühl/Ketsch im Jubiläumsjahr erneut zu Wort.

Bürgerinitiative sieht „völlig unrealistische“ Prognosen

Laut Pressemitteilung der BI würden die Befürworter völlig unrealistische Fördermengen prognostizieren, die angeblich im seismisch aktiven Oberrheingraben gefördert werden könnten. Sie könnten in der Region „nachhaltige und angeblich CO2-freie Energie fördern, die gefahrenfrei sei und dem Endverbraucher kostengünstig rund um die Uhr zur Verfügung stünde“, fasst BI-Vorsitzender Thomas Gaisbauer zusammen. „Auf der anderen Seite holt uns dann aber stets die traurige Realität ein“, setzt er dem entgegen, „wir verfolgen das Thema Tiefengeothermie nunmehr seit Jahren und warnen regelmäßig, dass sich seither nichts im Positiven für die Bürger verändert hat. Schäden werden nach wie vor bagatellisiert und der Hinweis der sogenannten Beweislastumkehr ist nichts anderes, als heiße Luft.“

Die seismischen Untersuchungen in Plankstadt haben laut der dortigen Gemeindeverwaltung zu Schäden von rund 1,08 Millionen Euro an gemeindeeigenen Wirtschaftswegen geführt. © Klaus Venus

Die im Januar 2023 vom derzeitigen Rechteinhaber Geohardt neuerlich durchgeführten seismischen Untersuchungen in Plankstadt hätten laut der dortigen Gemeindeverwaltung bereits zu Schäden von rund 1,08 Millionen Euro an gemeindeeigenen Wirtschaftswegen geführt – die Haftpflichtversicherung des Verursachers habe lediglich einen pauschalen Vergleichsbetrag von 110.000 Euro angeboten. Nun erhebe die Kommune Klage gegen die Firma Geohardt.

„Lächerlichen Pauschalzahlung bei Schäden“

„Die Geschädigten lediglich mit einer lächerlichen Pauschalzahlung abzuspeisen, scheint offensichtlich das übliche Vorgehen bei durch Tiefengeothermie verursachten Schäden zu sein“, meint Gaisbauer dazu. „Wir erleben das an sämtlichen Standorten mit den unterschiedlichen Betreiberfirmen.“

Die Schadensregulierung nach dem Zeitwert, also dem aktuellen Wert eines Gegenstands zum Zeitpunkt des Schadensfalls, statt des Neuwerts, scheine bei den Firmen der Tiefengeothermie Usus zu sein. „Wir haben daher bereits im Oktober 2021 die Einladung der Firma ,Geohardt‘ angenommen, um mit ihnen unter anderem auch über solche inakzeptablen Praktiken innerhalb der Schadensabwicklung zu sprechen und haben darauf hingewiesen, dass uns entsprechende Unterlagen auch anderer Standorte dazu vorliegen“, so der BI-Vorsitzende.

Die Vertreter des Unternehmens Geohardt hätten bei diesem Termin jedoch mehrfach versichert, sie würden sich niemals so verhalten und gegebenenfalls selbst in die Bresche springen, sollte die Versicherung einmal nicht bezahlen, erinnert sich Gaisbauer an das Gespräch.

Im April 2014 organisiert die Bürgerinitiative gegen die Tiefe Geothermie in Brühl eine große Demonstaration. © Ralf Strauch

Im darauffolgenden Jahr fand das Bürger-Dialogforum mit ausgewählten Zufallsbürgern statt, in dem den Menschen die Ängste genommen werden und auch alle Kritikpunkte mit einfließen sollten. Dabei seien insbesondere die bisherigen Aussagen der Bürgerinitiative unter die Lupe genommen worden, um diese zu entkräften.

„Auf die Frage, ob Anwohner ihren Versicherungsschutz wegen Geothermie ändern müssten, kam vom Experten ein klares Nein. Seiner Meinung nach hafte der Verursacher, also das Unternehmen. Und die Versicherung des Unternehmens sei für vom Bergbau verursachte Schäden zuständig“, so Gaisbauer. Es sei auch bestätigt worden, dass nach den Standardklauseln privater Gebäudeversicherungen „Bergschäden“ von der Regulierung ausgeschlossen seien und Erdbebenschäden nach den Gebäudeversicherungsverträgen nur gedeckt seien, wenn es sich um „natürliche Erdbeben“ handele.

Geothermie: Begriff der „Bergschadensvermutung“

Weiter wurde mitgeteilt, dass die Bergbehörde als Bedingung für die Zulassung der beantragten Tätigkeiten eines Unternehmens die Bestätigung des dafür geltenden Versicherungsvertrags über die Deckung etwaig verursachter Bergschäden fordere. „Es kam zur Sprache, dass das Bewertungsrisiko für mehr oder weniger große Schäden und deren Anzahl eintreten zu müssen, bei dem Versicherer liegt.“ Für den Fall, dass der Gesamtschaden die vereinbarte Deckungssumme der Versicherung übersteigt, müsse das Unternehmen für den übersteigenden Teil eintreten, fasst der BI-Sprecher Rainer Hüngerle die damaligen Aussagen aus seiner Sicht zusammen.

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Auf die Frage nach der Beweispflicht sei der Begriff der „Bergschadensvermutung“ genannt worden und dass diese angeblich einen erheblichen Vorteil für den Geschädigten bei der Beweisführung bringen solle, erklärt Hüngerle weiter. Anhand eines Beispiels sei verdeutlicht worden, dass die Bergschadensvermutung in einem behördlich festgelegten Einwirkungsbereich gelte, also um ein Gebiet an der Oberfläche, in dem es durch bergbauliche Maßnahmen wie die Geothermie theoretisch zu Bergschäden kommen könne.

Brühler Bürgerinitiative Geothermie bezweifelt Aussagen

„Zur Frage einer vertraglichen Vereinbarung einer Beweislastumkehr und ob diese an Magnitudewerte gekoppelt sei, wurde zunächst betont, dass dies eine Versicherungsvertragsangelegenheit sei und nicht Bergrecht“, fassen die beiden BI-Sprecher zusammen. „Auf die konkrete Frage, ob Schäden nur nach dem Zeitwert erstattet würden, wie die BI in der Vergangenheit immer wieder behauptet habe, kam vom Experten die Antwort: Für die Deckung von Bergschäden beispielsweise an Gebäuden gilt auch nach dem deutschen Bundesberggesetz die Naturalrestitution.“

Das würde bedeuten, dass der Zustand wieder herzustellen ist, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. „Aus langjähriger Erfahrung wissen wir, dass gerade Politiker ein solcher Satz glauben lässt, die Schäden würden auf jeden Fall komplett erstattet, schließlich hat der Geschädigte keinen Einfluss auf die Höhe der Reparaturkosten“, so Gaisbauer und Hüngerle.

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„Wenn man all die vorgenannten Punkte berücksichtigt, muss man zu dem Schluss kommen, die Betroffenen seien im Schadensfall vollumfänglich abgesichert und die Reparatur- beziehungsweise Sanierungskosten würden zu 100 Prozent vom Versicherer übernommen“, lautet das Fazit der Bürgerinitiative, hinter das sie aber ein dickes Fragezeichen setzen..

Ängste der Bürger vor der Tiefengeothermie angeführt

Während der Bohrphase bestünde nach Meinung der Befürworter der Geothermie nach der Erfahrung und fachkundiger Beurteilung keine Gefährdung durch ausgelöste Erdbeben. Erst ab der Zulassung der Vorhabensschritte „Test“ und für die weiteren Schritte sei die Bergschadensversicherung Bedingung, habe man der BI gegenüber erklärt. „Wurden alle Beteiligten darüber im Vorfeld ausdrücklich informiert? Wir möchten hier an die Katastrophe von Staufen aufgrund von Bohrarbeiten erinnern.“

„Die Ängste der Bürger vor der Tiefengeothermie und sicherlich auch die Vielzahl der gemeldeten Schäden, die bereits bei den seismischen Messungen auftraten, und nicht etwa bei den Bohrungen oder in der Betriebsphase, sind wohl auch bis zu einigen Politikern vorgedrungen, denn im September 2024 hat sich der Umweltausschuss zur öffentlichen Anhörung zum Thema ,Tiefe Geothermie in Baden-Württemberg‘ getroffen“, sagt Gaisbauer.

Das Areal der in Brühl einst geplanten Geothermieanlage während der Bohrphase. © Tobias Schwerdt

Dazu sei auch ein in Schwetzingen wohnhafter Professor der Uni Mannheim als Experte zu Fragen aus dem Versicherungsrecht geladen gewesen. Dieser Experte „riet deutlich davon ab, in dem Zusammenhang von Landesbürgschaften Gebrauch zu machen. Man müsse eine Gleichbehandlung mit anderen Fällen wahren, andernfalls sei dies rechtsphilosophisch fragwürdig und könne zudem zu einem ‚Samariterdilemma führen‘.“ Dieser Begriff beschreibt nach Meinung von Ökonomen, dass sich Menschen durch wohltätige Unterstützungen nicht genug anstrengen, um sich aus ihrer Notsituation selbst zu befreien. „Hier wird also die Situation durch Geothermie geschädigter Menschen verglichen mit ,Wohlfahrtsleistungen‘ für Hilfsbedürftige“, kritisiert die BI.

„Bürger sind nicht nachvollziehbaren Entscheidungen ausgeliefert“

Und weiter heißt es seitens der BI aus Brühl: „Wir wissen nicht, was diesen Experten zu einem solchen Vergleich bewegt. Möglicherweise geht er aber davon aus, dass nach allem, was die Regierung im seismisch aktiven Oberrheingraben plant, es zu erheblichen Schäden kommen kann. Vielleicht ist ihm auch bekannt, dass aufgrund der Untergrundverhältnisse immer wieder die gleichen Gebäude beschädigt werden, was zu einem Fass ohne Boden ausufern könnte. Das Wesentliche übersieht er dabei aber: Kein Betroffener hat es selbst in der Hand, sich künftig vor erneuten Schäden zu schützen. Denn die Bürger sind den häufig nicht nachvollziehbaren Entscheidungen von Politikern hilflos ausgeliefert.“

Noch ist nicht klar, ob das zweite der beiden „Brühler Löcher“ für eine eventuelle Nutzung weiter in die Tiefe gebohrt wird. © picture alliance / dpa

Schließlich nenne der Experte dann noch die Möglichkeit für die Bürger, sich zusätzlich gegen „unbenannte Schäden“ zu versichern. „Er vergisst dabei nur die winzige Kleinigkeit, dass jeder Versicherer die Möglichkeit hat, im Schadensfall nach der Leistungsgewährung den Versicherungsvertrag zu kündigen oder wenigstens den Passus der unbenannten Schäden für künftige Fälle auszuschließen.“

„Suche nach geeigneten Standorten läuft weiter“

Und wie lautet die Empfehlung von Gausbauer und Hüngerle: „Wir raten daher dringend allen Geschädigten, sich direkt an diesen Versicherungsexperten zu wenden, um zu erfahren, wie sie jetzt vollumfänglich zu ihrem Recht kommen. Wie wirkt jetzt die Beweislastumkehr oder die Bergausfallkasse, damit niemand auf seinem Schaden sitzen bleibt?“

Auf die Frage unserer Zeitung, ob die beiden „Brühler Löcher“ künftig von Geohardt als bergrechtlichem Rechteeinhaber genutzt würden, bekamen wir vor wenigen Tagen von der Unternehmenskommunikation die Antwort: „Danke für Ihre Anfrage. Leider gibt es noch nichts Neues. Aktuell läuft noch immer die Suche nach geeigneten Standorten. Sobald es neue Informationen gibt, melden wir uns.“

Redaktion

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