Im Interview

Görler-Museum: 100 Jahre Radio in Deutschland und die Bedeutung des Brühler Unternehmens

Vor 100 Jahren war die Geburtsstunde des Radions in Deutschland. Klaus Triebskorn vom Heimatverein lässt die 100 Jahre seit der ersten ausgestrahlten Sendung im Görler-Museum Revue passieren.

Von 
Ralf Strauch
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Radio-Baugruppen der Firma Görler aus der Anfangszeit des Rundfunks gehören zur Dauerausstellung des Museums in der Neugasse. © Triebskorn

Brühl. Die erste Sendung des „Unterhaltungsrundfunks“ ging 1923 vom Berliner Vox-Haus aus auf Welle 400 in den Äther. Das Entscheidende bei dieser Sendung vor einem Jahrhundert war, dass die Techniker nicht nur Sprache, sondern auch Musik übertragen haben. Damals haben sie dafür einfach die Telefonsprechkapsel vor den Hörer eines Grammophons gehalten und die Melodie so in die Welt gesendet. Geschätzt wird, dass die erste öffentliche Radiosendung etwa 150 Menschen gehört haben.

Diese umwälzende Mediensensation gilt heute als die Geburtsstunde des Rundfunks in Deutschland. Seitdem war die Erfolgsgeschichte des Radios nicht mehr aufzuhalten. Auch 100 Jahre später ist das Radio nicht aus der Medienwelt wegzudenken – sei es als Informationsquelle, Kulturproduzent oder musikalischer Tagesbegleiter. Es stand immer im Zeichen politischer, gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen und hat dabei immer wieder seine Wandlungsfähigkeit und Relevanz unter Beweis stellen können.

Auch ein Brühler Unternehmen hat wichtige Kapitel dieser Geschichte mitgeschrieben: Die Transformatoren-Fabrik Julius Karl Görler KG fertigte von 1962 bis 1975 in der Gemeinde Transformatoren, Verstärker und Receiver. An diese Zeit erinnert das Görler-Mueum des Heimatvereins in der Neugasse. Wir sprachen darüber mit dem zweiten Vorsitzenden des Vereins, Klaus Triebskorn.

Klaus Triebskorn © triebskorn

100 Jahre Radio in Deutschland – was bedeutete das für die Menschen?

Klaus Triebskorn: Diese technische Innovation bedeutete für die Gesellschaft einen gewaltigen Umbruch – vielleicht vergleichbar wie einst die Entwicklung des Buchdrucks oder in unserer Zeit die Einführung des Internets. Den Menschen wurden mit dem Radio ganz neue Welten eröffnet. So sorgte das Radio für eine richtige Aufbruchstimmung. Eine Welt ohne Radio ist kaum vorstellbar. Seit seinen Anfängen nutzen die Menschen dieses erste elektronische Massenmedium der Welt, um sich zu informieren und zu amüsieren. Aber Deutschland hinkte vor 100 Jahren hinterher, weil sich um die jeweiligen Kompetenzen gestritten wurde. Als hier die erste Sendung lief, war man beispielsweise in Amerika schon viel weiter.

War das Radio denn von Anfang an ein Massenmedium?

Triebskorn: Nein. Die serienmäßigen Komplettradios waren damals einfach zu teuer. Deshalb wurden die Empfangsgeräte von den Menschen zumeist noch selbst gebastelt. Und genau damit ist Görler groß geworden. Der 24-jährige Unternehmer sah mit der Einführung des Rundfunks für sich die Chance, an dieser großen Aufbruchstimmung teilzuhaben. Mit der Produktion von Radioteilen für den Bastler startete er 1923 in Berlin sein Unternehmen und wurde in den 1930er Jahren zum bedeutenden Hersteller für Radioteile. Zudem lieferte Görler neben den Bauteilen auch die notwendigen Pläne, um die Radios funktionstüchtig zu bauen. Damit wird nicht nur der 100. Geburtstag des Radios gefeiert, sondern auch das Jubiläum von Görler-Technik.

Das Unternehmen hat also einen großen Anteil an der Verbreitung des Radios?

Triebskorn: Auf jeden Fall. Insbesondere die Entwicklung des Ferrocart-Materials zusammen mit Hans Vogt setzte in der Radiotechnik Maßstäbe. Dabei handelt es sich um gemahlenes Eisen, das wieder zu einem festen Werkstoff verklebt wurde. Dadurch konnten die notwendigen Filter kleiner und leistungsstärker werden. So wurde von Görler und Vogt Industriegeschichte geschrieben. Und das Unternehmen blieb immer am Puls der Zeit, was ihm großen Erfolg brachte. In den 1960er und 1970er Jahren produzierte Görler Millionenstückzahlen – damals waren beispielsweise in 70 Prozent der US-amerikanischen Radios Teile von Görler verbaut. Und auch in Deutschland war er Marktführer – Görler-Produkte waren in fast allen Fabrikaten vertreten.

Tonbandgeräte im Mittelpunkt der Sonderschau



Eine Ausstellung der besonderen Art bietet der Verein für Heimat- und Brauchtumspflege am Sonntag, 18. Juni, im Erdgeschoss des Görler-Museums. Anhand von 40 Objekten ist in Ausschnitten die technische Entwicklung und Vielfalt der Tonspeicherung und Wiedergabe zu besichtigen.

Dabei handelt es sich meist um besondere, teilweise kuriose Geräte mit unterschiedlichen Speichermedien und Bandaufnahmeformaten, wie etwa das Supraport-Drahttongerät der Firma Schaub von 1951, bei dem der Ton auf einem Stahldraht gespeichert wird.

Das älteste Ausstellungsstück ist das Teficord von 1937, das jüngste und mit 65 Kilogramm Gewicht schwerste Gerät die Studio-Bandmaschine M15 von Telefunken aus den 1970er Jahren.

Mobile batteriebetriebene Geräte sind ebenso ausgestellt sowie das Aufsatz-Bandgerät „Toni“ von RFT von 1953, das von Plattenspielern angetrieben werden konnte. Hersteller wie Uher, Revox, Telefunken, Schaub, RFT, Philips, Grundig, Tonfunk, Saba, Rufa, ASC, Löwe-Opta, Braun und Tefi zeugen in der Ausstellung von der langen Geschichte der Tonbandgeräte.

Die Sonderausstellung zur geschichtlichen Entwicklung der Tonbandgeräte findet am Sonntag, 18. Juni, von 15 bis 18 Uhr im Erdgeschoss des Görler-Museums in der Neugasse stattDer Eintritt ins Görler-Museum des Vereins für Heimat- und Brauchtumspflege ist – wie immer – frei. kt

Ist diese Bedeutung des Unternehmens den Brühler entsprechend bekannt?

Triebskorn: Leider nein, denn es war ja nur mit Bauteilen in den Radios vertreten, weshalb Görler am Markt nicht wirklich wahrgenommen wurde. Erst Mitte der 1960er Jahre wurden Komplettgeräte gefertigt. Dabei war Brühl ein wichtiger Standort des Unternehmens, das in seinen Werken zu der Zeit insgesamt 350 Mitarbeiter beschäftigt. Neben den Werken in Berlin und dem thüringischen Meuselwitz entstanden Produktionsstätten in Mannheim-Rheinau und eben ab 1962 in Brühl. Zu Beginn der 1960er Jahre betrieb Görler auch eine Außenstelle in der Hauptstraße in Altlußheim. 1975 endete allerdings die Ära Görler mit der Schließung des Hauptsitzes in Brühl.

Was können die Besucher des Görler-Museums in der Neugasse erleben?

Triebskorn: Das Museum zeigt Beispiele und Produkte aus der Anfangszeit des Rundfunks, die Julius Karl Görler wesentlich mit Bauteilen beeinflusste. Wir zeigen im Grunde das gesamte Portfolio in den ehemaligen Heimatstuben in der Neugasse. Die Produktion in Brühl ging bis hin zu kompletten Stereoanlagen, die ab 1966 für andere Radiohersteller, aber auch unter eigenem Namen produziert wurden. Umfangreiche Werbeunterlagen, Baupläne, Görler-Fachzeitschriften, unzählige Fotos und Geschichten von ehemaligen Mitarbeitern ergänzen die Ausstellung des Heimatvereins. Dadurch wird neben der Technik auch der gesellschaftlichen und familiären Geschichte Rechnung getragen. Wir vermitteln also ein recht umfassendes Bild des Unternehmens, das individuell auf die Interessen der jeweiligen Besucher abgestimmt werden kann.

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Wird beim politischen Aspekt der Unternehmensgeschichte auch darauf hingewiesen, dass Görler unter dem Nazi- und dann unter dem DDR-Regime mit Zwangsarbeitern seine Produkte fertigte?

Triebskorn: Ja, auch das gehört natürlich zur Unternehmensgeschichte. Allerdings berichten mir immer wieder Zeitzeugen, dass in der Zeit des Nationalsozialismus die Zwangsarbeiter gut behandelt worden seien. Görlers Ehefrau war – wie es damals hieß – Halbjüdin. Da wusste die Familie, was es heißt, vom NS-Regime drangsaliert zu werden. Eine Rückabwicklung des Meusewitzer Werkes nach dem Aus der DDR wurde seinerzeit von der Tochter des Unternehmensgründers übrigens abgelehnt.

Seit wann widmet sich der Heimatverein der Geschichte Görlers?

Triebskorn: Wir tragen seit 2010 die Exponate zusammen. Viele Informationen bekommen wir auch immer wieder von den Besuchern, die teilweise Verwandte haben, die bei Görler gearbeitet hatten. Aber auch mit der Tochter Görlers haben wir einen guten Kontakt. So erfahren wir viel auch vom menschlichen Miteinander bei Görler.

Redaktion

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