Im Interview - Geschäftsführerin Birgit Rechlin über das Corona-Jahr beim Hockenheimer Marketing-Verein / Sie wünscht sich „Perspektive 2025“ für die Innenstadt

Birgit Rechlin vom HMV über das Corona-Jahr

Von 
Matthias Mühleisen
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Hockenheim. Sie ist bereits seit eineinviertel Jahren im Amt, doch Normalität in ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Hockenheimer Marketing-Vereins (HMV) hat Birgit Rechlin noch nicht erlebt. Kaum hatte sie sich mit der Stadt, ihren Gewerbetreibenden und Bürgern vertraut gemacht, legte die Corona-Pandemie alles lahm, was der HMV für das Gemeinwesen leistet. Statt die Brauchtumsveranstaltungen mit Kollegin Sarah Nieder zu organisieren, schrieb Birgit Rechlin Absagen. Doch sie entwickelte auch neue Aktivitäten und Formate, die die Feste und Begegnungen nicht ersetzen konnten, doch zumindest dafür sorgten, dass das öffentliche Leben nicht völlig brachliegt – vom Autokino über geschmückte Tannenbäume in der Innenstadt bis zum virtuellen Fasnachtszug. Im Interview berichtet sie, was im Hintergrund geschah, welche Erfahrungen sie gesammelt hat und wohin sie den HMV und seine Aktivitäten entwickeln möchte.

Gäbe es Corona nicht, steckten Sie jetzt mitten in den Vorbereitungen für den Sommertagszug am 28. März und den Hockenheimer Mai. Der Zug ist abgesagt, wie lautet Ihre Prognose fürs Straßenfest?

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Birgit Rechlin: Ich denke, wir werden den Hockenheimer Mai absagen müssen. An den beiden Tagen kommen jedes Mal mehrere Tausend Menschen zusammen – in Corona-Zeiten undenkbar. Den Ort müssten wir aufgrund der Baustelle in der Oberen Hauptstraße sowieso wechseln. Wenn wir einen anderen Festbereich mit Zäunen abstecken, kostet das immens viel Geld. Käme es dann zu langen Warteschlangen, würde das dem guten Namen des Hockenheimer Mai schaden. Dann sage ich das Fest lieber ganz ab, halte es von dem Makel frei und beschränke mich auf kleinere Veranstaltungen.

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An was denken Sie, wenn Sie von kleineren Veranstaltungen sprechen?

Rechlin: Unseren Spargelsamstag am Samstag, 8. Mai, möchten wir auf jeden Fall durchführen. Wir planen ihn zunächst in der gewohnten Form und können immer weiter abspecken – im schlimmsten Fall haben wir nur noch einen Spargelmarkt, bei dem die Spargel- und Erdbeerbauern ihre Waren wie auf einem Wochenmarkt anbieten. Das wäre zwar die schlechteste Variante, aber zumindest haben wir für einen kleinen Lichtblick für die Erzeuger und die beteiligten Vereine gesorgt. Natürlich hätten wir Mehrkosten für die ganzen Hygienevorkehrungen.

Eine der ersten großen HMV-Aktionen unter Corona war ja das Autokino. Ist da an eine Wiederholung gedacht?

Rechlin: Nach der aktuellen Verordnung sind Autokinos wie Kinos aktuell noch geschlossen. Da fehlt mir echt die Perspektive von der Politik. Ein Autokino wäre eine sichere Angelegenheit – die Leute sitzen zu zweit im geschlossenen Auto – was soll da passieren? Die Frage ist, was wird mit der Ausgangssperre? Um 21 Uhr sind die Filme längst nicht fertig. Ich müsste jetzt die Verträge unterschreiben und hätte eine hohe Konventionalstrafe zu zahlen, wenn es nicht stattfinden könnte. Die Kosten sind schon sehr hoch, um zumindest auf Null zu kommen, müssten wir schon sieben, acht Tage öffnen. Dazu käme die Frage: Gibt es überhaupt attraktive Filme? Wir sind da hin- und hergerissen. Dafür wissen wir sicher, dass es für Ostern eine schöne Aktion gibt.

Verraten Sie schon Näheres?

Rechlin: Es wird zum ersten Mal Osterhasen geben, die man buchen kann. Wir arbeiten dafür mit der Lokalen Agenda zusammen. Familien mit Vorschulkindern können sich bewerben und einen unserer vier Osterhasen samstags nach Hause holen. Der bringt den Kindern – mit zehn Löffeln Abstand – ein kleines Geschenk an die Haustür. Globus hat uns dafür Fairtrade-Produkte gesponsert. Dazu haben wir die Erlaubnis von der Stadt bekommen, dass wir mit Freiwilligen die Blumenkübel in der Karlsruher Straße verschönern dürfen – in Anlehnung an die gelungene Aktion zu Weihnachten mit den Tannenbäumen. Es gibt über 50 Kübel in der Straße, die zum Beispiel mit ausgeblasenen Eiern und bunten Stecken und Bändern dekoriert werden können. Wir schreiben dazu auch die Schulen und Kindergärten an. Zusätzlich wird der Hosenladen von Brigitte Netto zum Hasenladen mit einer Ausstellung von Exponaten aus dem ersten deutschen Hasenmuseum Reilingen von Prof. Josef Walch im Schaufenster.

Die geschmückten Weihnachtsbäume haben viel „Pflege“ gebraucht – sie mussten oft wieder aufgerichtet werden . . .

Rechlin: Ich habe aus der Aktion viel gelernt. Es war ein Experiment, die Beteiligung war toll, wir hatten nur schönes Feedback. Die Bäume wurden über die Stadt bestellt, leider kamen sie in viel zu kleinen Töpfen, die kippten einfach um. Bei 95 Prozent der am Boden liegenden Bäume steckte kein Vandalismus dahinter. Die vom Bauhof nachgerüsteten Töpfe waren auch nicht viel stabiler. Etliche Baumpaten waren kreativ, haben sie an Laternen gebunden oder mit Betonsteinen beschwert. Leider hat Förster Gunter Glasbrenner festgestellt, dass es keine Chance gibt, dass die Bäume auf dem Boden im Wald anwachsen – sie haben zu wenig Wurzelanteil und müssten permanent gegossen werden. Das tat mir sehr leid. Der HMV hat sich entschlossen, die Tannen in die Biokompostanlage zu geben und stattdessen 125 Laubbaum-Setzlinge zu spenden.

Sie kommen bei Ihrer Arbeit mit vielen Einzelhändlern zusammen. Wie erleben Sie die Stimmung bei denen?

Rechlin: Das kommt natürlich darauf an. Frage ich in den Reisebüros, ist die Antwort klar. Der Lebensmittelhandel läuft dagegen blendend. Problematisch ist es für die, die ihre Sortimente nicht komplett anbieten dürfen. Ob die Möglichkeit Click & Meet, also Geschäfte nach Anmeldung besuchen, tatsächlich stark nachgefragt wird, halte ich für fraglich – und der Aufwand für den Handel ist hoch.

Ihr erstes großes Projekt in Hockenheim war die Einführung der Rennstadtkarte. Wie hat sie sich entwickelt?

Rechlin: Das Thema liegt mir sehr am Herzen. Zu Ostern bekommt die Karte Zuwachs, es gibt zwei neue Geldwerte: 15 Euro in Orange und 25 Euro in Pink. Viele Unternehmen haben uns darauf angesprochen, dass die Ergänzung zu den bisherigen 10- und 44-Euro-Ausführungen willkommen wäre. Dazu wird es einen schönen Osterflyer geben, der zum Verschenken der Wertkarten reizen soll. Ich hoffe, dass wir die Zahl der 50 Akzeptanzstellen noch steigern können – das hat Corona natürlich auch erschwert. Trotzdem haben wir um die 80 000 Euro Umsatz gemacht – Tendenz steigend. Leider fehlen mit dem Aquadrom und dem Stadthallen-Kartenvorverkauf gleich zwei Verkaufsstellen.

Wie hat sich die Mitgliederzahl des HMV entwickelt?

Rechlin: Wir haben um die 150 Mitglieder, und ich habe in der Corona-Zeit über zehn Gewerbetreibende neu akquiriert. Die würden sich gerne stärker einbringen bei den Bemühungen, die Innenstadt attraktiver zu machen.

Was schwebt Ihnen da vor?

Rechlin: Wir brauchen Anreize, die Innenstadt zu besuchen. Das schaffen die Einzelhändler nicht alleine. Wer in eine Stadt fährt, will ja nicht nur einkaufen, sondern auch etwas erleben, etwas anschauen und danach einen Kaffee trinken. Der Platz um die Zehntscheune wäre dafür attraktiv, den könnte man mit Gastronomie aufwerten, eine feste kleine Bühne aufbauen und es gäbe auch Interessenten, im Anwesen der „Kanne“ etwas anzubieten. Ich fände es in dieser Hinsicht sinnvoll, einen Teil der Karlsruher Straße für den Verkehr zu sperren. Sie ist zu schade für einen „Drive in“. Mir fehlt aber in Hockenheim die „Perspektive 2025“ – wo will die Stadt hin? Das müsste der HMV wissen, wenn er die Stadt vermarkten soll.

Neben den Brauchtumsveranstaltungen steht das Marketing für die Stadt ja im Namen des HMV. Was planen Sie in dieser Hinsicht?

Rechlin: Die Historienführungen hatten sich vor der Pandemie gut entwickelt, wir hatten 100 Anmeldungen. Das möchte ich gerne wieder aufgreifen. Hockenheim hat durchaus etwas zu bieten. Warum nicht ein Paket schnüren, bei dem Besucher nach dem Besuch des Rings mit ihrem Bus zum Mittagessen ins „Rondeau“ kommen? Dazu eine kleine Stadtführung, bei der es Entdeckungen zu machen gibt. Wir haben zum Beispiel in der Kapelle des Altenheims St. Elisabeth eine mittelalterliche Madonna, die Kunsthistoriker wie mich begeistert, dazu gibt es das HÖP. Es gilt, Kooperationen zu entwickeln. Mir fehlen bislang die Synergien, jeder macht für sich tolle Sachen, aber nur miteinander kann man es schaffen, die Stadt attraktiver zu machen.

In welche Richtung könnte das gehen?

Rechlin: Die Besonderheiten könnten noch besser herausgestellt werden – modern statt historisch. Wir sind eine Rennstadt schlechthin, aber in der gesamten Innenstadt sieht man nichts, was darauf hindeutet, zumindest kein Rennauto. Es gibt das erste Tabakmuseum in Deutschland, das könnte man so gut vermarkten, wir haben das HÖP, das megagut ist – hier gibt es noch so viel auszubauen.

Was haben Sie kurzfristig noch in Planung?

Rechlin: Wir hatten für vergangenen September einen französischen Markt auf dem Zehntscheunenplatz geplant. Den haben wir für das Wochenende ab 10. September umgeplant. Er soll jetzt im Gartenschaupark stattfinden, der 30 Jahre alt wird. Der Förderverein ist auch ein neues Mitglied bei uns und wird uns gemeinsam mit dem Freundeskreis Hockenheim-Commercy beim Markt bei der Seebühne unterstützen. Dort hatten wir die tolle Abschlussfeier der Theodor-Heuss-Realschule durch das Übertragungsequipment unterstützt.

Wie groß sind die Chancen, dass die Hockenheimer Nacht der Musik eine Neuauflage 2021 erlebt?

Rechlin: Wir haben kommende Woche ein Gespräch mit der Stadthalle und Hugo Fuchs. Es stellt sich die Frage, ob wir nicht auch darüber nachdenken sollen, den Termin vom Oktober in den September vorzuverlegen und die Konzerte nach draußen zu verlegen, das könnte unter Hygienegesichtspunkten vorteilhaft sein.

Bei Ihrer Amtseinführung haben Sie gesagt, Sie wollen auch die Jugendlichen mit ins Boot nehmen, die ja die Kunden von morgen seien. Was haben Sie sich dazu vorgenommen?

Rechlin: Wir möchten die Aktionen des Jugendgemeinderats aktiv unterstützen, insbesondere für die Skateranlage, über die ich mich sehr gefreut habe, dass sie trotz der stattlichen Summe realisiert wird. Für deren „Drumherum“ wird sicher noch einiges mehr als die reinen Baukosten benötigt werden. Wir vermitteln dazu gerne Sponsoren, die sich bei der Ausstattung einbringen und dafür verewigen können.

Redaktion Redakteur im Bereich Hockenheim und Umland sowie Speyer

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