Hockenheim. Für den Reilinger Robert Marquardt und den Brühler Rudi Bamberger ist es ein Ehrensache, jeden Monat zwei oder mehr Stunden ihrer Zeit zur Verfügung zu stellen und dem Landtagsabgeordneten Andreas Sturm bei einer für sie ganz wichtigen Sache zu helfen – bei der Schwerbehindertensprechstunde in dessen Hockenheimer Büro, gleich gegenüber dem Rathaus.
Im Viertelstundentakt finden sich Bürgerinnen und Bürger hier ein. Und allen ist an diesem Nachmittag eins gemeinsam: Man sieht ihnen eine Behinderung nicht an. Wer schwerbehindert ist, sitzt nicht automatisch im Rollstuhl, ihm fehlt auch nicht unbedingt ein Körperteil – so wie sich das der unbedarfte Mensch vielleicht denkt. Behinderungen können vielschichtig auftreten – die Psyche, das Gehör, das Sehen, Krebsleiden, Diabetes, Unfallfolgen, ein Burnout, die Folgen einer Corona-Erkrankung.
Hockenheimer berater stehen auch über die Sprechstunde hinaus zur Verfügung
Robert Marquardt schätzt, dass er in seiner beruflichen Tätigkeit zwischen 1980 und 2006 gut 10 000 Menschen dabei geholfen hat, zu ihrem Recht zu kommen. Andreas Sturm hat ihn reaktiviert. Er ist dafür zuständig, beim Ausfüllen der Anträge zu helfen und steht auch über die Sprechstunde hinaus den Bürgern, die vor Ort waren, mit Rat zur Verfügung. Und Rudi Bamberger steckt ja als Behindertenbeauftragter der Gemeinde Brühl und als Rollifahrer eh im Stoff und kennt sich damit aus, was die Kommunen tun müssten, um Teilhabe zu ermöglichen.
Er sagt: „Manchmal gibt es bei Betroffenen auch Vorstellungen, die nicht zu verwirklichen sind. Da nehmen sie dann den Rat von jemanden, der selbst im Rollstuhl sitzt, eher an als von einem ,Fußgänger’.“ Aber an diesem Tag gehen die Besucher der Sprechstunde alle mit einem Dankeschön und Zuversicht aus dem Büro. Das mag zum einen am von Mama Sturm gebackenen leckeren Käsekuchen liegen, zum anderen sicherlich auch am Gespräch, bei dem nächste Schritte vereinbart wurden.
So zum Beispiel bei der Absicht, einen Verschlechterungsantrag einer Hockenheimer Rentnerin zu stellen. Wenn das gelingt, dann könnte die Verschlechterung zu einer Verbesserung des Lebenssituation für die Frau werden. Sie leidet schwer an Depressionen, hat einen Wirbelsäulenschaden, lebt unter ständigem Schwindel. Derzeit ist ihr eine Schwerbehinderung von 40 Prozent attestiert – entscheidende Vorteile und einen entsprechenden Ausweis bekommt sie aber erst ab 50 Prozent.
Fünf Prozent können bei einem Antrag schon entscheidend sein
Das Versorgungsamt hat einen Verschlechterungsantrag schon mal abgelehnt, danach war sie in Reha, nun will sie einen neuen Antrag stellen. Marquardt rät ihr, bei der Sachbearbeiterin im Versorgungsamt die Einzelanteile der Behinderung abzufragen. Nur dann könne man entscheiden, wo man ansetzen muss und wo es dann auch medizinische Befunde chronischer Krankheiten brauche, um eine Höherstufung zu erreichen. Fünf Prozent mehr würden in ihrem Fall schon genügen, „denn es gibt keine 45 Prozent Behinderung, die würde dann auf 50 Prozent aufgerundet“. Das hat unter Umständen schon Auswirkungen auf Steuer, Kuranträge und etwaiges Pflegegeld.
Rudi Bamberger spricht von teils „mittelalterlichen Strukturen beim Versorgungsamt“. Die Bearbeitung eines Antrags auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises könne sechs bis zwölf Monate dauern. Der Gesetzgeber müsse da einschreiten. Bei der Bewilligung von Kuren habe er auch die Behörden unter Druck gesetzt, da müsse binnen sechs Wochen entschieden werden.
Für die zweite Sprechstundenbesucherin war kürzlich der Besuch einer Veranstaltung in der Stadthalle ein Schlüsselerlebnis. Sie hat schon die dritte Hüftoperation hinter sich und nach einem Treppensturz hat sie größte Probleme beim Treppensteigen. Als sie auf das Behinderten-WC wollte, habe ihr eine andere Nutzerin den Zugang verweigert, weil sie keinen Behindertenausweis vorzeigen konnte. Robert Marquart fragt nach der Pflegestufe und rät zu einer Höherstufung von der Stufe zwei in die Stufe drei oder vier.
Schwerbehindertenausweis erweitert die Möglichkeiten im öffentlichen Bereich
Er fragt weitere Leiden ab: Diabetes, Nierenleiden, Gesichtsfeldeinschränkungen, Schwerhörigkeit – das alles kann sich zu einer höheren Schwerbehinderung aufsummieren. Sie solle den Hausarzt und die Fachärzte um Bescheinigungen bitten, die chronische und dauerhafte Krankheiten dokumentieren, dann werde man gemeinsam den Antrag stellen. „Viele Schwerbehinderte wissen nicht, dass sie mit dem Ausweis bei ihrer Kommune im Bürgerbüro einen WC-Schlüssel bekommen können, mit dem dann Behinderten-WC-Anlagen geöffnet werden können. Gerade behinderte Menschen sind darauf angewiesen, dass sie saubere WCs vorfinden, weil sie sich ja überall abstützen müssen, weil es oft schnell gehen muss, weil sie nicht lange einhalten können und da ist Sauberkeit essenziell“, sagt er.
Um die Möglichkeit einer früheren Verrentung wegen seiner Schwerbehinderung geht es dem nächsten Besucher. Er ist jetzt 60 und hat eine Schwerbehinderung von 30 Prozent wegen den Folgen eines schweren Burnouts. Sein Stresslevel sei gering und er arbeite im Eventmanagement. Seit einer Corona-Erkrankung fühle er sich nur noch schlapp. Er habe eine Kur beantragt.
Die Berater wollen ihm jetzt noch nicht den Kopf voll machen und verschiedene Kombimodelle auf dem Weg zu einer Verrentung aufzeigen. Er soll erst mal in Kur gehen und sich dort seine Probleme bescheinigen lassen. Hält sein Zustand länger als ein halbes Jahr an, müsse von einer chronischen Belastung ausgegangen werden. Erst eine Rentenberatung könne dann Klarheit über seine individuelle Situation bringen und danach solle er auf den Arbeitgeber zugehen und sehen, was der anbieten könne, raten die drei Männer am Tisch. Er könne dann gerne wieder bei der Beratung vorbeischauen. Ähnlich liegt der Fall einer zu 80 Prozent schwerhörigen Frau. Auch sie muss ihre Rentensituation klären, erst dann machen weitere Schritte Sinn. Robert Marquardt liefert ihr gleich die Telefonnummer des Beraters mit.
So funktioniert der Rundumservice im Büro von Andreas Sturm. Ach ja: Was ich unbedingt noch schreiben müsse, sei, dass es hier nicht um Parteiarbeit gehe. „Die CDU hat damit nix zu tun“ – da sind sich alle einig. Und sonst würden sie auch nicht mitmachen – hier geht es darum, den Menschen zu helfen, sich Zeit zu nehmen, anders wie das leider manchmal bei offiziellen Beratungsstellen, die es durchaus auch in größerer Zahl gibt, sei.