Hockenheim. Jede Woche, spätestens alle 14 Tage ein anderer Wohnort und eine andere Schule und doch neben der Familie das Wichtigste immer mit dabei – der Lebensstil von Gina Sperlich und Alfred Krämer sowie ihren drei Kindern ist alles andere als gewöhnlich. Mit dem „Neinhorn“ gastieren sie in dieser Woche erneut in Hockenheim und geben Einblicke in das Leben als Schausteller, das von Wohnsituation bis hin zu Müll- und Abwasserentsorgung jede Menge Besonderheiten bereithält.
Drei Zimmer, Küche und Bad gibt es auch bei Alfred Krämer und Gina Sperlich, ein gemeinsames Dach über dem Kopf dagegen nicht. Mama, Papa und der jüngste Spross bewohnen einen umgebauten Sattelauflieger, der eine typische Wohnküche samt Spülmaschine und Herd, Badezimmer inklusive Wanne, Waschmaschine und Trockner und ein Schlafzimmer beherbergt.
Eine fünf Meter lange Wand kann zudem eineinhalb Meter nach außen verschoben werden, sodass noch mehr Wohnfläche zur Verfügung steht. Der typische Campingwohnwagen dient bei der fünfköpfigen Familie dagegen als Kinderzimmer gleich nebenan. Seit vergangenem Jahr gibt es davon zwei, sind die zwölfjährige Tochter Ashley und ihr ein Jahr älterer Bruder Louis doch inzwischen in einem Alter, in dem das Teilen eines Zimmers oder eben Wohnwagens nicht mehr angesagt ist.
Das Leben im Wohnwagen: Entsorgung kann viel Arbeit machen
Doch nicht nur die mobile Wohnweise der Schaustellerfamilie unterscheidet sich vom Gros der übrigen Bevölkerung. Denn während für Normalbürger die Müllabholung recht unaufwendig funktioniert, belädt Alfred Krämer in der Regel samstags den Transporter mit all dem Müll, der durch die Familie selbst und die Vorstellungen anfällt, um ihn beim Wertstoffhof vor Ort abzugeben.
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Auch Abwasser findet bei der Schaustellerfamilie nicht automatisch den Weg in die Kanalisation: Ist kein Abwasserkanal zum Ableiten vorhanden, muss Schmutzwasser in Tanks gesammelt und abgepumpt werden.
Zwölf Monate mit auf Achse sind auch Gina Sperlichs Eltern und ihre 86 Jahre alte Oma. Auch sie bewohnen jeweils einen Wohnwagen und mit Alfred Krämers Schwiegereltern stehen zwei weitere Fahrer zur Verfügung, die bei den wöchentlichen bis 14-tägigen Standortwechseln im Einsatz sind. Mit jeweils zwei Touren gelingt es den damit insgesamt vier Fahrern, ihr Hab und Gut samt Bewohnern von einem zum nächsten Ort zu befördern.
Wie lange es dauert, bis das Zelt am neuen Standort steht, hängt vor allem vom Platz ab. Bei leichter Befestigung der Erdnägel ist es nach fünf Stunden geschafft, bei sehr hartem Boden dagegen ist so viel Zeit schon mindestens notwendig, um nur die Erdnägel mit dem 35 Kilogramm schweren Elektroschlaghammer einzubringen. Meist ist der Montag daher für sämtliche Aufbauarbeiten reserviert. Abgebaut dagegen ist wesentlich schneller: Nach zweieinhalb Stunden hat die Schaustellerfamilie das Zelt abgebaut und ordentlich verpackt.
Schaustellerleben mit der Familie: Onlineunterricht ist Pflicht
Bei den Aufführungen sind von der Kernfamilie meist alle mit im Zelt dabei: Gina Sperlich, Alfred Krämer und Sohn Louis hinter der Bühne und Tochter Ashley sowie Sohn James (drei Jahre) im Zuschauerraum. Dabei beginnt der Tag für Ashley und Louis wie für alle Gleichaltrigen auch werktags in der Regel mit der Schule. Beide sind an der Schule für Kinder beruflich Reisender angemeldet.
Verpflichtend ist die Teilnahme am Onlineunterricht, auf den freiwilligen Besuch an den Stützpunktschulen legen dagegen die Kinder selbst Wert: „Sie müssen nicht, sie wollen in die Schule’“, verrät Papa Alfred. Und so gibt es tatsächlich in jeder Stadt Freunde und Sohn Louis ist dank Onlineverabredungen und -spielewelt mit vielen von ihnen vernetzt. „Im Zeitalter der Technologie ist das In- Kontakt-bleiben gar nicht mehr so schwierig“, freut sich Alfred Krämer, dass selbst Kontakte aus der Grundschule Bestand haben. Hinzu kommen viele Kinder dank großer Familie, die sich regelmäßig trifft. Beim Besuch in Hockenheim im vergangenen Jahr waren so immerhin zehn Kinder versammelt.
Das Leben auf Achse: Kinder haben ihre festen Aufgaben
In Hessen ist für den dreijährigen James sogar der Besuch eines Kindergartens möglich, zwei- bis dreimal in der Woche kommt an den Vormittagen ein Mobil vorbei und auch der Unterricht für die großen wäre über ein Lernmobil möglich, wenn sie nicht den Besuch der Schule vor Ort vorziehen würden.
Doch auch die Mithilfe beim Zeltaufbau und dem Packen von Werbesendungen steht für die Kinder regelmäßig auf dem Plan. Generell kann bei der Schaustellerfamilie insbesondere unter den Erwachsenen jeder alles. Sogar eine Aufführung ohne Alfred Krämer sei inzwischen denkbar, habe sich doch Sohn Louis, der seit vergangenem Jahr selbst als Darsteller agiert, seither sehr gesteigert, wie Kollegen immer wieder bestätigen. Inzwischen habe er alle Rollen des Papas drauf.
Dennoch bleibt dieser realistisch: „Momentan ist das seine große Leidenschaft. Wenn er in ein paar Jahren sagt, er will studieren, darf er das gerne machen.“ Erwartungen an die Übernahme des elterlichen Betriebs sei weder Alfred Krämer als junger Mann ausgesetzt gewesen noch habe er die an die eigenen Kinder. „Circus ist schön, aber am Ende waren es zu viele Familien für ein Geschäft“, berichtet der Familienvater, wie er vom Clown zum Puppendarsteller wurde, indem er in den Familienbetrieb seiner Partnerin einstieg und dafür der Circuswelt den Rücken kehrte.
Zusammengerechnet sind es im Schnitt deutlich mehr als 40 Stunden, die für Alfred Krämer in der Woche zusammenkommen und doch möchte er sein Schaustellerdasein nicht missen: „Das ist nicht unser Beruf, es ist für uns eine Berufung“, beteuert er.
Dabei kennt Krämer durchaus geregelte Arbeitszeiten, doch er ist sicher: „Das ist nicht meine Welt“. Als Schausteller sei sein Leben von Tag zu Tag anders und er könne selbst auswählen, ob er erst das Auto repariere oder sich um die Werbung kümmere: „Ich bin nicht gezwungen, meinen Job zu machen, wie er mir vorgegeben wird“.
Schaustellerleben in Hockenheim beleuchtet: Opa möchte mal wieder mit
Dass er auch den geregelten Job von morgens bis abends kennt, hat Krämer Corona und der Notwendigkeit einer anderen Einnahmequelle zu verdanken. Vor einem Supermarkt bot er mit einen Verkaufswagen zu festen Öffnungszeiten samt Vor- und Nachbereitung Backwaren an. Das Schaustellerleben liege ihm da deutlich mehr, auch seine eigenen Großeltern samt 93 Jahre altem Opa seien ebenfalls bis zum letzten Jahr auf Reisen gewesen und der Opa habe erst kürzlich gebeten, ihn mal wieder mitzunehmen.
Auch dass Krämer keine Angestellten bezahlen muss, kommt der Familie zugute. „An erster Stelle steht der Mensch selbst“, beteuert Krämer, dass keine Aufführungen stattfinden, wenn es einem Menschen nicht gut gehe. Dann werde eben eine Auszeit genommen, was ohne Angestellte auch jederzeit möglich sei.
Ein Familienurlaub stehe dennoch schon lange auf dem Plan der Familie, umgesetzt wurde er bisher nicht. Denn obwohl sie vermeintlich viel herumkommen, bleibe oft keine Zeit, die Aufenthaltsorte selbst kennenzulernen. Sowohl zum Kaffeebesuch mit seiner Frau Gina in Heidelberg als auch zu einer Besichtigung des Hockenheimrings mit den Kindern sei es im vergangenen Jahr nicht gekommen.
Mit dem Auf- und Abbau vor Ort und den Aufführungen ist es für Gina Sperlich und Alfred Krämer arbeitstechnisch nämlich noch lange nicht getan, vor allem die Werbung nimmt viel Zeit in Anspruch. Und so macht sich Krämer regelmäßig mit seinem 63 Jahre alten Schwiegervater Manfred auf den Weg, um Werbeschilder und Plakate anzubringen und wieder zu entfernen, manches Mal auch in einer Nachtaktion.
Flyer und Plakate unterstützen Schausteller: Werbung ist wichtig
Zudem werden Flyer und Plakate an Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen versendet. Für eine große Stadt wie Mannheim kommen da gerne 400 bis 500 Adressen zusammen, die kontaktiert werden wollen. „Mein Schwiegervater möchte sich gerne einbringen und darf das natürlich auch“, ist Alfred Krämer dankbar für die Unterstützung, die er auch bei der Suche nach Standplätzen bekommt. Denn während er selbst die vergangenen 20 Jahre vor allem in den neuen Bundesländern unterwegs war, kennt Manfred Sperlich noch viele Standplätze von früher, die kontaktiert werden wollen.
Nicht leicht gestalte sich dabei der Kontakt zu den Ämtern, berichtet Alfred Krämer von Verträgen, mit denen sich der Betrieb weit im Voraus binden würde, während der Familie selbst schon des Öfteren Städte kurzfristig absprangen, ohne Entschädigungen zu zahlen, obwohl die Werbung bereits angelaufen sei.
Dass sich der Neubau des Kindergartens auf dem Reiterplatz verzögert, ist für Alfred Krämer und seine Familie ein Glücksfall, kann die Truppe so in diesem Jahr auf jeden Fall noch einmal auf dem Platz hinter der Feuerwehr gastieren und lädt in dieser Woche von Donnerstag bis Samstag zu insgesamt vier Vorstellungen des „Neinhorns“ ein.
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