Ketsch. Mit 28 Jahren Berufserfahrung und elf Jahren als Kita-Leiterin hat Nimonh Kaiser-Patthavong einen guten Überblick über die Gefühlslage ihrer Kollegen. Und was sie derzeit in vielen Gesprächen immer wieder zu hören bekommt, ist eine große Unzufriedenheit mit den Rahmenbedingungen sowie eine Überlastung, die viele langsam ausbrenne.
„Was in den letzten Jahren und Jahrzehnten verloren gegangen ist, ist die persönliche Freiheit der Erzieher, Themen und Probleme selbstverantwortlich zu lösen. Stattdessen kommen durch das Land immer mehr bürokratische Pflichten dazu: Wir müssen heute jeden einzelnen Schritt dokumentieren und uns an starre Vorgaben halten. Das ist im Kern sicherlich gut gemeint, aber es bindet eben ungleich viele Kräfte, die dann bei der eigentlichen Arbeit mit den Kindern fehlen. Das ist gerade in diesem sozialen Beruf, bei dem die persönliche Motivation der Mitarbeiter so wichtig ist, verheerend“, sagt Nimonh Kaiser-Patthavong.
Nimonh Kaiser-Patthavong: Bürokratischer Kraken schadet Kitas – auch in Ketsch
Was ursprünglich verbindliche Standards sicherstellen und letztlich dem Wohl der Kinder dienen sollte, hat sich in den Kitas und Kindergärten des Landes inzwischen zu einem bürokratischen Kraken entwickelt. Die unzähligen Verwaltungsvorgänge, die quasi jeden Schritt begleiten, sind derart komplex geworden, dass viele Erzieher ausbrennen. „Man darf nicht vergessen, dass die Corona-Jahre eine ganz erhebliche Belastung für uns waren“, sagt Nimonh Kaiser-Patthavong. Nicht zuletzt gesundheitlich, denn inzwischen holen nicht nur die Kinder die ausgelassenen Erkältungen der Pandemiezeit nach, sondern auch die Erzieher. Zwei Schilder an der Eingangstür der Villa Sonnenschein weisen aktuell darauf hin: „Wir haben Scharlach“ und „Wir haben Corona“, ist darauf zu lesen. Eine Situation, die derzeit an den meisten Kindereinrichtungen im Land herrscht. Und wenn dann auch nur einzelne Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen, wird es schnell eng mit dem Personalschlüssel.
„Wir sind zum Glück sehr gut aufgestellt“, sagt Nimonh Kaiser-Patthavong mit Blick auf ihre 21 Kollegen, die gemeinsam eine Betreuungszeit von 7 bis 17 Uhr in der Villa Sonnenschein ermöglichen. Die kommunale Einrichtung bildet seit ihrer Eröffnung vor elf Jahren kontinuierlich aus. Zusammen mit einem guten Betriebsklima können dadurch viele „Eigengewächse“ gehalten werden, Personalmangel oder zu geringe Betreuungsquoten gibt es daher aktuell nicht. „Aber es wäre natürlich trotzdem schön, wenn wir durch das Land mehr Unterstützung erhalten würden und am Ende mehr als nur den Mindestpersonalschlüssel erfüllen könnten. Dann könnten Ausfälle einfacher ausgeglichen werden“, so die Kita-Leiterin.
Ketscher Kita-Leiterin: Zahl der Erzieher ist nicht gesunken
Vom Schlagwort „Fachkräftemangel“ hält Nimonh Kaiser-Patthavong indes nicht viel. Denn die Zahl der Erzieher sei in den vergangenen Jahren nicht etwa gesunken - Abwanderungen gebe es zumindest nach ihrer Erfahrung meist nur zu anderen Einrichtungen oder aus privaten Gründen. „Dass jemand die Branche komplett wechselt, habe ich persönlich bislang kaum erlebt. Aber vielleicht ist das künftig die Konsequenz, wenn die Rahmenbedingungen immer schwieriger werden“, sagt Nimonh Kaiser-Patthavong.
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Der Grund für den Mangel an Erziehern sind aus ihrer Sicht die massiv erhöhte Zahl an Einrichtungen in den vergangenen rund zehn Jahren sowie die deutlich verlängerten Betreuungszeiten. Das beste Beispiel ist die Villa Sonnenschein selbst: Bei ihrer Eröffnung 2012 war sie die erste Krippe in Ketsch, hatte also erstmals ein Betreuungsangebot für Unter-Dreijährige. Heute ist das in allen Gemeinden der Region Standard. Die Zahl der betreuten Kinder stieg also deutlich, gleichzeitig benötigen die Jüngsten natürlich einen engeren Personalschlüssel.
Damit einher ging auch eine Verschiebung bei der früheren strikten Trennung zwischen Erziehern, die mit mittlerer Reife oder Abi eine höhere Ausbildung absolvieren, und den Pflegern, die als Voraussetzung den Hauptschulabschluss benötigen. „Inzwischen machen beide Gruppen aber de facto die gleiche Arbeit, werden jedoch weiterhin unterschiedlich bezahlt. Das wäre ein wichtiger Punkt, um bei der Vergütung etwas zu verbessern“, fordert Nimonh Kaiser-Patthavong.
Natürlich seien auch ansonsten Gehaltssteigerungen ein Mittel, um den Erzieherberuf attraktiver zu machen, sagt die Leiterin der Villa Sonnenschein. Die wichtigsten Veränderungen würden das Land aber gar nicht viel kosten, ist sie überzeugt. „Es muss uns durch Bürokratieabbau wieder besser ermöglicht werden, dass wir die Kinder und Familien noch stärker begleiten und unterstützen können. Denn das ist doch der Kern unserer Arbeit, die wir aus voller Überzeugung und sehr gerne machen - wenn man uns nur die Möglichkeit dazu lässt.“
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