Ketsch. „Ich sehe den Film ‚The Zone of Interest’ heute zum dritten Mal und ich kann vorab sagen: Das ist kein Film für Anfänger. Schauen Sie aufmerksam zu, achten Sie auf Details und lassen Sie sich ein auf die Herangehensweise, wie Regisseur Jonathan Glazer dieses furchtbare Thema in der Geschichte sehr außergewöhnlich beleuchtet“, empfiehlt Karen Strobel vom Marchivum Mannheim vor Filmbeginn.
Strobel und der Enkel von Sophie Stippel, die in dem 2023 veröffentlichten Spielfilm in einer Nebenrolle von Stephanie Petrowitz dargestellt wird, wurden an diesem Abend vom Team des Central Kinos eingeladen, um nach dem Film das Gesehene mit den Zuschauern einzuordnen.
Kein Platz blieb an diesem Montagabend im Ketscher Kino leer, denn das Interesse an dem Film, der bei der jüngsten Oscarverleihung als bester internationaler Film und für den besten Ton prämiert wurde, und der Gesprächsrunde mit den geladenen Experten war groß.
Publikum in Ketsch schlüpft in die Beobachterrolle
Als „verstörend“ wurde indes die Wirkung des Filmes von den Zuschauern beschrieben, als Moderatorin Doris Steinbeißer nach dem Abspann fragte, was der Film beim Publikum ausgelöst habe. Inhaltlich bietet der Film dem Zuschauer die Möglichkeit, eine völlig neue Perspektive einzunehmen – weg von der Opfer-, oder Täterwahrnehmung des perfiden NS Regimes – und stattdessen in eine Beobachterrolle zu schlüpfen.
Im Mittelpunkt der Handlung steht dabei die Familie von Rudolf Höß, der damalige Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Er hat sich direkt an der Lagermauer auf einem angrenzenden Grundstück mit seiner Frau Hedwig und deren fünf Kinder scheinbar deren Traum von einem idyllischen Familienleben mit Garten, Sonntagspicknick und Planschbecken für die Kinder verwirklicht, während hinter den Mauern das Grauen im Konzentrationslager seinen Lauf nimmt.
Im Film sind lediglich Geräusche von der anderen Mauerseite zu vernehmen, was im Lager vor sich geht, wird nicht gezeigt.
„Es geht darum zu zeigen, wie die Menschen lebten, die am Regime beteiligt waren, was ein absolut perfides Leben war. Wie konnte ein Mensch direkt neben Auschwitz leben?“, fragt Doris Steinbeißer in die Runde.
Auch, dass der Film in Farbe und mit bester Ton und Bildqualität gedreht wurde, unterscheide sich von anderen Spielfilmen über die NS-Zeit, was für den Zuschauer eine ungewohnte Erfahrung sei.
Familiengeschichte in Ketsch erzählt
Doch wie nah kommt dieser Film an die Realität? Dies können Karen Strobel und Gerald Sander für die Kinobesucher etwas besser einordnen. „Bei diesem Film handelt es sich nicht um eine Dokumentation, sondern um einen Spielfilm. Allerdings kann ich sagen, durch die Erzählungen meiner Oma Sophie Stippel, die als Gefangene in Auschwitz inhaftiert war und bei Rudolf Höß in dessen Villa tagsüber als Köchin und Kindermädchen arbeiten musste und abends wieder ins Lager gebracht wurde, kommt der Film schon sehr nahe an die Realität, gerade was die Ausstattung der Villa und des Gartens mit Gewächshaus betrifft“, berichtet Gerald Sander, der in Weinheim lebt.
Seine Großmutter und der NS-Täter Rudolf Höß kannten sich aus Mannheim. Dort wuchs Höß auf – ebenso wie Sophie Stippel. Beide trafen dann in der Todesfabrik Auschwitz auf gegensätzlichen Seiten wieder aufeinander. Dass nun 2023 durch den Regisseur Jonathan Glazer indirekt die Geschichte seiner Großmutter wieder auflebt, hat Sander überrascht: „Ich schrieb daraufhin eine Mail an die Agentur der Schauspielerin Sandra Hüller, die im Film die Darstellerin von Hedwig Höß ist, mit der Frage, ob die Geschichte meiner Oma bekannt sei. Daraufhin kam eine Mail zurück und es wurde mir bestätigt, dass auch diese Geschichte in der Recherche und Vorbereitung zum Film und der Schauspieler eine Rolle spielte, was zeigt, wie intensiv recherchiert wurde.“
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