Oftersheim/Weinböhla. Um die Partnerschaft zwischen Oftersheim und dem sächsischen Weinböhla zu verstehen, muss man in die kommunale Zusammenarbeit der 1960er und 1970er schauen – findet zumindest Siegwald Kehder. Und der Oftersheimer Altbürgermeister muss es wissen, denn er war schließlich maßgeblich an der Entstehung der Partnerschaft beteiligt und hat 1991 auch die entsprechende Urkunde unterzeichnet.
Doch aus Oftersheimer – und letztlich auch aus deutsch-deutscher – Sicht beginnt die Historie der Verknüpfung von Kommunen in Ost- und Westdeutschland eben noch früher als erst mit dem Schließen der Übereinkunft. „Ab den 1960ern gab es Städtepartnerschaften in Deutschland vor allem mit Kommunen in Frankreich“, erklärt Kehder im Gespräch mit dieser Zeitung. „Es galt, die zahlreichen Konflikte, die es zwischen den beiden Ländern gegeben hatte, durch freundschaftliche Beziehungen beizulegen – vor allem auch in der Kurpfalz.“
Oftersheim finanzierte in den 1970er Jahren Fahrten für Jugendfreizeiten
1974 wählte Oftersheim Siegwald Kehder als Nachfolger von Karl Frei zum Bürgermeister. „Zu dieser Zeit haben die Kirchen, die Feuerwehr, das Deutsche Rote Kreuz oder die Vereine Jugendfreizeiten veranstaltet – oft auch ins Ausland. Wir haben dann eine Richtlinie gestaltet, nach der Oftersheim solche Fahrten außerhalb von Deutschland finanziell gefördert hat. Die Jugendlichen haben so Europa kennengelernt – nicht nur ein einzelnes Land, sondern viele“, erinnert sich Kehder.
Doch ob des politischen Verhältnisses zwischen BRD und DDR spielte Letztere bei solchen Überlegungen noch keine Rolle – zumindest aus der westdeutschen Sicht. Wie Kehder sich erinnert, gab es aus Weixdorf bei Dresden in den 1960ern Briefe an die Gemeinde Oftersheim, um sich nach einer Partnerschaft zu erkundigen, was laut Kehder allerdings verworfen wurde. „Die Bedingungen waren für Oftersheim nicht richtig.“ 1993 wurde Weixdorf dann im Übrigen Partnergemeinde von Brühl.
Oskar Lafontaine als Vorreiter für die Partnerschaft mit sächsischem Weinböhla
Bewegung in das deutsch-deutsche Verhältnis kam 1987 als Oskar Lafontaine als damaliger Oberbürgermeister Saarbrückens eine Städtepartnerschaft mit Cottbus erwirkte, wie Kehder sich erinnert. Er als damaliger Bürgermeister hatte großes Interesse daran, so etwas auch für Oftersheim zu erwirken und fragte bei der ständigen Vertretung der DDR in der BRD an.
Doch 1987 hieß es von dort noch, dass es zur „Pflege solcher Kontakte im breiteren Rahmen keine Möglichkeiten“ gebe.
Der nächste Paradigmenwechsel folgte mit dem Fall der Berliner Mauer. „Ich habe damals sofort meinen guten Bekannten Karl Witter, der als Geschäftsmann schon lange auch in der DDR tätig war, gefragt, ob er bei seiner nächsten Reise nach Ostdeutschland nach einer geeigneten Partnergemeinde Ausschau halten könnte“, blickt Siegwald Kehder zurück.
Seine Anforderungen waren spezifisch – etwa 10 000 Einwohner sollte die Partnerkommune haben und von Landwirtschaft und Gartenbau geprägt sein, ansonsten eine Wohngemeinde – „keine Industrie- oder Schulstadt“, so der Altbürgermeister. In Weinböhla wurde Witter fündig.
Gegenseitiges Verständnis fördern
Bedingt durch die Pandemie lagen Partnerschaften zwischen Gemeinden wohl überall brach. Gegenseitige Besuche der Bürgermeister und Gemeinderäte konnten nicht stattfinden, Jugendfreizeiten sind entfallen, Aufenthalte von Delegationen bei beliebten Festen sind – wie auch die Feierlichkeiten selbst – waren zudem Fehlanzeige.
Der Oftersheimer Bürgermeister Pascal Seidel erlebte dieses Jahr seinen ersten Besuch in Weinböhla nach seinem Amtsantritt. Im Kurzinterview spricht er über die Zukunft der Partnerschaft und ihre Bedeutung.
Was ist dieses Jahr schon in Sachen Oftersheim-Weinböhla passiert?
Pascal Seidel: Dieses Jahr beziehungsweise die Zeit nach meinem Amtsantritt am 1. November 2022 wurde bislang dazu genutzt, den Ausflug des Gemeinderates nach Weinböhla gemeinsam mit meinem Amtskollegen Siegfried Zenker und der zuständigen Kollegen Jens Volpp für Oftersheim und Tina Freytag für Weinböhla vorzubereiten. Dabei geht es vor allem um die Koordinierung der Begegnungen zwischen den Gemeinderäten und die Festlegung des Programms für die drei Tage. Der Ausflug findet im Juni statt.
Was ist für die Zukunft bereits geplant?
Seidel: Für das Jahr 2024 ist ein Gegenbesuch der Gemeinderäte aus Weinböhla geplant. Zudem könnte ich mir vorstellen, dass künftig – neben den schon bestehenden Verbindungen im Bereich der Kirchengemeinden, Musikvereine und Freiwilligen Feuerwehr – auch im Bereich Sport regelmäßige Austausche stattfinden. Weinböhla hat sowohl einen Handballverein (HSV Weinböhla), der in der Sachsenliga aktiv ist, als auch einen Fußballverein (TuS Weinböhla) mit einer stark ausgeprägten Jugendarbeit.
Ihren „Antrittsbesuch“ in Weinböhla hatten Sie dieses Jahr. Welchen Stellenwert und welches Potenzial hat die Partnerschaft in Ihren Augen?
Seidel: Der Antrittsbesuch im März dieses Jahres hat absolut Lust auf mehr gemacht. Städtepartnerschaften, egal ob im Inland oder Ausland, haben immer einen hohen Stellenwert – so auch unsere Partnerschaft mit Weinböhla. Bei der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde am 13. April 1991 wurden als Ziele unter anderem ausgegeben, „die Begegnungen zwischen Einwohnern beider Gemeinden und das gegenseitige Verständnis zu fördern“. Dies sollte auch weiterhin unsere Richtschnur sein, denn gerade diese Begegnungen gab es seit 2019 nicht mehr. lh
Schon am 18. Dezember 1989 kam es zum ersten Gespräch zwischen dem Oftersheimer Rathauschef und dem damaligen SED-Bürgermeister Günter Hornemann. „Von seiner Seite gab es auch großes Interesse“, erinnert sich Kehder. Mit Begleitung kam Hornemann also nach Oftersheim. „Menschlich haben wir uns verstanden trotz sonstiger Unterschiede.“ Und so lud Hornemann Kehder nach Weinböhla ein. Aus anderen Strängen der sich neu bildenden Beziehungen zwischen Ost- und Westeuropa ergab es sich 1990, dass Kehder mit drei Gemeinderäten ins polnische Zgorzelec eingeladen wurde, das an das sächsische Görlitz grenzt. Auf der Rückfahrt dieser Reise jedoch kam es zum ersten Besuch in der zukünftigen Partnergemeinde.
Ein erstes Abtasten zwischen Oftersheim und Weinböhla
Kehder hatte darauf bestanden, sich nicht nur mit der dortigen SED-Riege zu treffen, sondern an einem runden Tisch teilzunehmen „mit den Kirchen und verschiedenen Schichten der Bevölkerung“, wie er es heute formuliert. „Damals sind dann wirklich Meinungen aufeinandergeprallt, obwohl wir dabei waren. Es gab Vorwürfe an ehemalige Bürgermeister und es begann merklich die Aufarbeitung einer fürchterlichen Geschichte.“
An die Gäste aus dem Westen gab es derweil zahlreiche Fragen – vor allem zu den Themen Arbeitssuche und Arbeitslosigkeit – die der Bürgermeister und die Gemeinderäte nach bestem Gewissen beantworteten.
Sehr viel konkreter wurde das Knüpfen der Kontakte schließlich, als im Juli 1990 Reinhart Franke zum Bürgermeister von Weinböhla gewählt wurde. Im November des gleichen Jahres reiste Siegwald Kehder erneut nach Sachsen – diesmal mit dem gesamten Gemeinderat. „Die Unterbringung war schwierig, Hotels gab es nicht“, sagt er. Dass es zur Partnerschaft und somit auch zur Unterstützung seitens Oftersheim für Weinböhla kommen würde, war da schon beschlossene Sache, auch wenn noch nichts unterzeichnet war.
„Die Amtsleiter sind dann öfter in die jeweils andere Gemeinde gefahren“, berichtet Siegwald Kehder über die Jahre 1990 und 1991. „Weinböhla gelang der Anschluss an westdeutsche Verhältnisse und der Aufbau neuer Infrastruktur sehr schnell, sicher auch dank unserer Unterstützung.“ Allerdings macht der Altbürgermeister in diesem Zusammenhang keinen gönnerhaften oder überheblichen Eindruck: „Wir wollten helfen. Aber das erklärte Ziel der Partnerschaft war, voneinander lernen zu können – in beide Richtungen. Die Entwicklung in Weinböhla in diesen Jahren war hervorragend. Da konnten auch wir uns noch Nachahmenswertes abschauen.“
Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde zwischen Oftersheim und Weinböhla 1991
Im April 1991 war der Zeitpunkt gekommen: Reinhart Franke und der Gemeinderat von Weinböhla machten ihren offiziellen Gegenbesuch in Oftersheim, ließen sich die Gemeinde und das Heimatmuseum zeigen und am Samstag, 13. April, unterzeichneten die beiden Bürgermeister schließlich im Rose-Saal die Partnerschaftsurkunde.
Bei Besuchen in den Folgejahren – bis 1998 war Siegwald Kehder Bürgermeister, doch auch danach war er mehrfach in Weinböhla – konnten sich die Oftersheimer davon überzeugen, dass ihr „Geld gut angelegt war“, findet Kehder heute. Die Unterstützung war jedoch nie nur finanzieller Natur. „Wir haben auch schnellstmöglich Material hingeschickt, als es darum ging, das Altersheim zu sanieren und wollten auch sonst mit Rat und Tat zur Seite stehen.“
Oftersheim und Weinböhla - eine glückliche und persönliche Verbindung
Über die mittlerweile bereits mehr als 30 Jahre gemeinsame Historie ist die Partnerschaft gewachsen und gediehen – trotz der erzwungenen Unterbrechung nach 2019 durch die Corona-Pandemie. „Ich bin froh, dass es immer noch regelmäßige Besuche gibt“, sagt Siegwald Kehder – nicht ohne Stolz, aber auch tatsächlich merklich glücklich über die Verbindung der Gemeinden. Er selbst findet: „Mittlerweile ist mir das zu viel nochmals hinzufahren, auch wenn ich immer noch eingeladen werde.“ Ganz abgerissen ist der Kontakt für ihn aber nicht – mit seinem damaligen Amtskollegen Reinhart Franke steht er noch in Briefkontakt. „Wir haben uns erst an Weihnachten geschrieben“, erzählt Kehder und lächelt.
Und so besteht die Verbindung zwischen den Männern, die den Grundstein legten, immer noch. Und die Verbindung zwischen den Gemeinden ist ebenfalls nicht abgerissen. Wie sie weitergeht, wird die Zukunft zeigen.
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