Historie

Gab es „Organisierte Kriminalität“ in Plankstadt?

Gemeindearchivar Ulrich Kobelke begibt sich im Plankstadter Archiv auf die Spuren von Jugendbanden, Mutproben und Abenteuer.

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Ulrich Kobelke
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Das Bild zeigt die Ortsmitte in Plankstadt ungefähr um das Jahr 1936. Damals hieß der Platz noch Adolf-Hitler-Platz. © Gemeindearchiv

Plankstadt. Wenn man ein wenig in der Vergangenheit recherchiert, so wie eben ein Archivar das tut, dann fallen einem viele Dinge ein, die man auch noch persönlich in Kindheit und Jugend erlebt hat. Und wenn man dann heute in allen Medien so viel über „organisierte Kriminalität“, also das Bandenwesen hört, dann ist man vielleicht geneigt, Vergleiche zu ziehen zwischen den bekannten Dorf-Banden von früher und den heutigen. Das ist natürlich Unsinn, denn die Banden, über die ich hier schreibe, haben mit Kriminalität gar nichts zu tun, sondern gehören in den Bereich „jugendlicher Leichtsinn“.

So war das Plänkschder „Bandenwesen“

Ich spreche von den Plänkschder Banden wie zum Beispiel der „Rächer-Bande“ oder der „Goldhofer-Bande“ – benannt nach ihren Anführern. Der „Rächer“ war Gunther Treiber, der Sohn von Dr. Gottlieb Treiber aus der Bismarckstraße und der Name Goldhofer dürfte jedem alten Plänkschder noch bekannt sein, denn der Arzt Dr. Josef Goldhofer war ein sehr beliebter Hausarzt „alter Art“ in der Gemeinde.

Dessen Sohn Werner war also auch Anführer einer „Bande“ und in einem kürzlichen Telefonat mit ihm, dem renommierten ehemaligen Mainzer Gynäkologen, ließen wir die alten Erinnerungen an unsere Kindheit wieder aufleben. Und zu diesen Erinnerungen gehören eben auch die damaligen Banden, die teils gegeneinander agierten, teils aber auch geschlossen gegen Schwetzinger Banden oder Banden aus dem Plänkschder Unterdorf „kämpften“, beispielsweise aus der Hilda-Straße oder auch aus der Eisenbahnersiedlung – deren Namen und Anführer mir aber nicht mehr geläufig sind.

Ein früheres Mitglied der Hildastraßen-Bande sagte mir: „Wann mer kumme sinn, war Platz!“ Das sagt alles! Die Hildastraßen-Bande hatte den Vorteil, dass dort einige kinderreiche Familien wohnten, die allein schon zahlenmäßig die Bandenbildung erleichterte.

Machtkämpfe zwischen Jugendlichen in Plankstadt

Natürlich waren das auch Machtkämpfe, wo die Stärkeren sind und vor wem die anderen Angst hatten – aber eigentlich alles in kindlicher Harmlosigkeit. Und wenn es dann mal wirklich zu körperlichen Auseinandersetzungen kam, dann galt die eiserne Regel „Wer auf dem Boden liegt und um Gnade fleht, auf den wird nicht auch noch eingetreten“ – und der Kopf galt sowieso als Tabu-Zone. Von größeren Verletzungen – mit Ausnahme von „Bletzen“ oder „Koppelöchern“ ist mir da nichts mehr bekannt.

Zu den Aktionen der „Banden“ gehörte übrigens auch, dass dabei oft Filminhalte nachgespielt wurden, die man Sonntagnachmittag im Plänkschder Kino, den Rosengarten-Lichtspielen, gesehen hatte.

Mutproben für die Bandenaufnahme

Mitglieder einer Bande hatten oft auch „Mutproben“ abzulegen, bevor sie vom Bandenchef als Mitglied anerkannt und aufgenommen wurden. Wer sie nicht bestand oder gar ablehnte, wurde eben nicht aufgenommen und wer wollte schon Außenseiter oder gar „Hoseschisser“ sein und nicht dazugehören?

Plankstädter Buben aus dem Waldpfad bei der Planung weiterer Aktionen. © Gemeindearchiv

Natürlich konnte auch mal ausnahmsweise das Verspeisen eines Regenwurmes zu den Mutproben gehören und es ist nicht bekannt, dass dabei Vergiftungserscheinungen aufgetreten sind. Zu den ganz einfachen Mutproben gehörte es, ausgewählte Erwachsene zu ärgern, ob es sich dabei um „Schellendrücken“ oder „Gartentor-Aushängen“ handelte oder ob man dem Opfer einige Kilo Honig über eine Zeitungsanzeige bestellte – alles war möglich. Auch aus einem Garten etwas „stibitzen“, gehörte zu den Untaten.

Gefährlich allerdings konnte es werden, wenn es um größere körperliche Mutproben handelte. So musste man einmal bei der Aufnahmeprüfung einen Baum erklettern und dann oben auf einen Nachbarbaum wechseln – eine echte Herausforderung und bestimmt nicht ganz ungefährlich

Das überörtliche Bandenwesen außerhalb von Plankstadt

Wenn es um überörtliche Banden-Auseinandersetzungen ging, waren es meist die Banden aus der Schwetzinger Nordstadt, aus dem Bereich „Moabit“, mit denen es sich zu messen galt. Als „Kriegsschauplatz“ und „Demarkationslinie“ eignete sich vorzüglich die ehemalige Bahnlinie Speyer - Schwetzingen – Heidelberg und hier war es besonders das Zeitze Loch oder das Dolle-Loch, wo sich die Banden trafen und sich gegenüberstanden. An Munition herrschte kein Mangel, denn die Schrotten der Gleisanlage waren in ausreichendem Maße vorhanden.

Den Beginn der „Fehde“ hatten die Anführer untereinander abgesprochen – was damals noch von Angesicht zu Angesicht geschehen musste, denn Handys oder andere technische oder elektronische Hilfsmittel gab es noch nicht. Zum angegebenen Zeitpunkt begann man sich also gegenseitig mit Schrotten zu bewerfen, wobei es hier darauf ankam, strategisch geeignete Wurfpositionen zu finden, dass man den Gegner auch mal treffen konnte. Je günstiger die Position, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines „Koppelochs“ beim Gegner. Wenn man genug hatte und die Angriffslust verraucht war, zog man sich zurück. Sieger war eben der, der am längsten durchhielt – und der nächste Kampf mit Revanche-Möglichkeit lag ja auch nicht in allzu weiter Ferne.

Freizeitgestaltung der Jugendbanden in Plankstadt

Oft zogen die Banden auch nur gemeinsam durch die Umgebung des Ortes wie beispielsweise hinaus zu den Bellen auf Eppelheimer Gemarkung, wo man sich mit allerlei Getier wie Fröschen und Eidechsen beschäftigen und auch mal ein Lagerfeuer entfachen konnte oder in den nahegelegenen Grenzhöfer Wald, der sich für Geländespiele hervorragend eignete. Auch dort gab es Bahngleise, allerdings war es dort wegen des dortigen stärkeren Zugverkehrs auch weit gefährlicher.

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In der Nähe der Kaserne konnte man auch „wertvolle Funde“ machen, wie zum Beispiel Munitionshülsen und Ausrüstungsgegenstände, denn die US-Soldaten nutzten den Wald auch für ihre Übungen. Dies galt auch für den Oftersheimer Wald bei den ehemaligen NS -Panzer-Schießständen und dem Waldgebiet bis Walldorf entlang der B 291.

Die alte Schützenhütte am Grenzhöfer Chaussele konnte auch gut in die Abenteuerspiele einbezogen werden. Allerdings endete dieser Spaß in den 60er Jahren, als Halbwüchsige mit Hilfe von Schwarzpulver eine Wand der Hütte wegsprengten – darauf wurde die ohnehin nicht mehr genutzte Hütte durch die Gemeinde ganz abgebrochen.

„Kickerles“ oder „Hickels“ gehörten zu den Spielen

Unterm Strich können wir sagen, das Wort „Langeweile“ gehörte damals nicht zu unserem aktiven Wortschatz in den Ferien. Und auch organisierte Ferienfreizeit-Programme seitens der Kommune brauchte man nicht und es gab so etwas auch nicht. Wir dachten uns einfach etwas aus und setzten das dann mit unseren Freunden in die Tat um. Im Ort wurde „Klickerles“ oder „Hickels“ gespielt und Spiele wie „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann“ (heutzutage undenkbar und geächtet) oder „Kaiser, wieviel Schritte schenkst Du mir“ waren an der Tagesordnung und die Stunden vergingen dabei wie im Flug.

Oft bastelten sich die Buben aus Astgabeln Schleudern und versuchten damit, bestimmte Ziele abzuschießen – beispielsweise Tulpen in fremden Gärten. Natürlich musste man sich nach so einem „Angriff“ schnellstmöglich verdünnisieren, um nicht dabei erwischt zu werden.

In der Erntezeit wartete man auf abgeerntete Getreidefelder, denn die Stoppelfelder brauchte man zum Starten der selbstgebastelten Drachen. Zur Vorfreude aufs Drachensteigen gehörte schon das Basteln der Drachen aus Drachenpapier und „Drachelettlin“, die man für ein paar Pfennige bei den Schreinern kaufte – oder auch schon mal „fer umme“ bekam. Kunstvoll wurden die Drachen gefertigt, Papier, kleine Nägel, Schnur und besonders „Mehlbapp“ wurden dazu benötigt. Große Sorgfalt wurde auf den „Drachenschwanz“ verwendet, denn der Schwanz war mitentscheidend, wie gut der Drachen später in der Luft stand. So entstanden manchmal kleine Kunstwerke. Nicht nur, dass es industriell gefertigte Drachen gar nicht gab, es wäre auch niemand in den Sinn gekommen, so etwas zu benutzen – denn dann wären die Drachenkünste der Buben untereinander gar nicht vergleichbar gewesen.

Zum Abendessen geht es pünktlich nach Hause

Es muss natürlich auch dazu gesagt werden, dass es damals ganz andere Zeiten waren. Vielleicht gab es auch mehr Vertrauen untereinander. Im Dorf und darum herum waren Fremde Mangelware und von den Kindern und Jugendlichen war sehr oft einer der Beteiligten den Erwachsenen persönlich bekannt. In diesen Fällen war natürlich Vorsicht geboten, denn wer wollte schon, dass unser Aufenthaltsort und unsere Spiele schon daheim bekannt gemacht waren, bevor wir abends nach Hause kamen.

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Entscheidend war für die Eltern: Wenn die Abendglocke vom Kirchturm ertönte, hatte man daheim auf der Matte zu stehen. Und offensichtlich vertrauten die Eltern ihren Kindern auch mehr als heute, denn die heute oft stattfindende beinahe lückenlose Überwachung der Kinder darf auch mal hinterfragt werden.

Nicht mal das früher so beliebte „Hitzefrei“ in den Schulen gibt es noch wegen der schwierigen Betreuung der Kinder. Was war das früher für ein Geschrei im Schaulhaus, wenn das Glockenzeichen zum „Hitzefrei“ ertönte. Heute muss ein Teil der Kinder, deren Betreuung daheim nicht garantiert ist (und das sind wohl die meisten), in der Schule unter Aufsicht verbleiben und wird irgendwie beschäftigt – als ob das etwas mit „Hitzefrei“ zu tun hätte! Ich verkenne aber auch nicht, dass die Situation für Schule und Elternhaus heute eine ungleich schwierigere ist als vor 70 Jahren.

Kaum Parallelen zur heutigen Zeit in Plankstadt

Hier zeigen sich auch kaum Parallelen zur heutigen Zeit. Immer wieder wurde in den vergangenen Monaten die 2021 neu erstellte Holzhütte am Hüttenweg bei den Schaufeldern zur 1250-Jahrfeier verunreinigt und teilweise zerstört, ebenso erging es dem noch gar nicht fertiggestellten Jugend-Treffpunkt beim alten Trafohäuschen neben dem Häckselplatz.

Nachdem der Bauhof immer wieder zum Einsatz kommen musste und die Zerstörungen beseitigte – und zusätzlich nahezu jeden Morgen mehrere Mülltonnen mit Flaschen und Glasscherben entfernen musste, zog die Gemeinde die Konsequenzen: Die Schutzhütte am Hüttenweg wurde ganz entfernt, der weitere Ausbau am Trafohäuschen erst mal auf Eis gelegt.

Einerseits wollte die Gemeinde den Jugendlichen entgegenkommen und ihnen Treffpunkte anbieten, wo sie sich unbeaufsichtigt treffen können,; andererseits zeigen die Zerstörungen und Verunreinigungen, dass oft zu viele Chaoten dabei sind, die das Engagement der Gemeinde in keiner Weise zu würdigen wissen. Auch der Jugendbeirat zeigte sich enttäuscht und musste eingestehen, dass auch sein Einfluss hier eher gering war. Schade!

Freier Autor

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