Historie

Plankstadter Gemeindearchivar über die Geschichte der Fastenzeit

Der neuzeitliche Verzichttrend mag sogar zunehmen, doch der eigentliche Sinn des Fastens zwischen Aschermittwoch und Karsamstag ist nahezu völlig verloren gegangen - findet Ulrich Kobelke.

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Ulrich Kobelke
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Eine Scheibe Brot neben einem Glas Wasser. Am Aschermittwoch beginnt die 40-tägige christliche Fastenzeit, die bis zum Karsamstag anhalten wird. © dpa

Plankstadt. Fastenzeit – die Tage zwischen Aschermittwoch und Karsamstag – fast jedem ist der Begriff geläufig und tatsächlich haben sich nicht wenige Menschen für diese Zeit vorgenommen, etwas abzunehmen, etwas weniger zu trinken, nicht zu rauchen – und was es sonst noch an Verzichtübungen geben mag, die dem körperlichen Wohlergehen dienlich sein könnten. „Sieben-Wochen-ohne“ ruft es uns aus vielen Gazetten entgegen. Und doch ist über all dem neuzeitlichen Verzichttrend der eigentliche Sinn des christlichen Fastens nahezu völlig verloren gegangen.

In früheren Zeiten gab es in den christlich geprägten Ländern die sogenannten ‚geschlossenen Zeiten’, in denen das gesellschaftliche Leben gewissen Beschränkungen unterworfen war. Diese Beschränkungen konnten allgemeiner Natur, also für alle gültig, oder aber auch je nach persönlicher oder familiärer Einstellung und religiöser Bindung mehr den Einzelnen oder die Familie betreffen. Zu den allgemeinen Einschränkungen zählte beispielsweise das Verbot aller Tanzveranstaltungen in der Fasten- und Adventszeit. Familien- oder Vereinsfeste wurden auf die anderen Zeiten verschoben.

„Für alles gibt es eine Zeit“

Nun war es nicht so, dass das gesamte öffentliche Leben beeinträchtigt war oder gar zum Erliegen kam, wie man es beispielsweise in den islamischen Ländern aus dem Fastenmonat Ramadan kennt, aber es war doch für jeden spürbar, dass es unterschiedliche Zeiten im Jahresablauf gab, die von den Menschen auch spür- und sichtbar mit unterschiedlichen Intentionen gelebt und erlebt wurden – getreu der alttestamentlichen Weisheit aus dem Buch Kohelet: „Für alles im Leben gibt es eine Zeit, eine Zeit des Lachens und eine Zeit des Weinens, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für das Weinen . . .“

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Hier ist in den letzten Jahrzehnten eine gewaltige Änderung eingetreten: Den Kindern in der Schule ist im Religionsunterricht der Begriff der Fastenzeit nur noch sehr schwer zu vermitteln, da sie ihn aus dem Familienkreis gar nicht mehr kennen; das Wort „Verzicht“ wurde in unserer Zeit mit ihren hedonistischen, egoistischen oder individuellen Ausprägungen bei vielen nahezu zum Fremdwort.

Allerdings können wir keine Koch-, Frauen- oder Familienzeitschrift aufschlagen, ohne dass uns sensationelle und neue Fasten- und Schlankheitskuren oder erfolgversprechende Diäten um die Ohren gehauen werden. Dabei wird uns suggeriert, dass nur der sozusagen „up-to-date“ ist, der sich davon zum Mitmachen überzeugen lässt. Es geht um Schönheit, Fitness und Wellness, aber mit dem Fasten im ursprünglichen Sinn hat das alles nichts zu tun.

Aber auch von der Medizin und der Meditationsbewegung ist das Fasten neu entdeckt worden, ohne dass sich die Kirche an dieser Wiederentdeckung beteiligt hätte.

Dafür gibt es in der Entwicklung des christlichen Fastens zwei Gründe: Einmal ist es die Trennung von Leib und Seele, wodurch das Fasten von den Verantwortlichen der Kirche zu einer rein geistigen Haltung wurde. Man verstand darunter die innere Freiheit den Dingen dieser Welt gegenüber, geistige Umkehr und Erneuerung. Deshalb schaute man fast verächtlich auf das körperliche Fasten herab und bemerkte nicht, dass damit auch der Geist des Fastens verschwand.

Zum Zweiten aber ist es auch der Legalismus, der das Fasten verschwinden ließ: Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (von 1962 bis 1965) gab es eine wahre Fülle von Fastengeboten, ohne dass es gelang, deren Sinn verständlich zu machen. Die Fülle von Geboten zog eine Fülle von Dispensen nach sich – das Verständnis blieb allerdings dabei auf der Strecke.

Nun hat die Kirche das Fasten nicht erfunden, sondern sie hat das Gedankengut und die Praxis aus dem Judentum und die Anschauungen zum Fasten aus der antiken grie-chisch-römischen Welt übernommen und weiterentwickelt. Fasten gab und gibt es in allen Kulturen – wir brauchen uns bloß an den großen hinduistischen Asketen Mahatma Ghandi oder an die Mönche in den buddhistischen Klöstern erinnern.

40 als wichtige symbolische Zahl

Die 40-tägige Zeit des Fastens finden wir in der Bibel an mehreren Stellen; so nicht nur nach der Taufe Jesu im Jordan, sondern auch die Zeit, die Moses beim Empfang der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai verbrachte, die Zeit der Wanderung des Propheten Elias durch die Wüste oder die 40 Jahre, die das Volk Israel in der Wüste verbrachte. Die Zahl 40 ist also in der Bibel eine wichtige symbolische Zahl.

Fasten im religiösen Sinne hat niemals den Sinn einer Diät. Immer ist es eingebettet in die Beziehung zu Gott oder dem, was in anderen Religions- und Kulturkreisen dafür steht. Es geht nie um das eigene Ich; es geht nie um eine besondere Leistung im Sinne eines „Events“. In allen Religionen wurde und wird aus den unterschiedlichsten Gründen gefastet: Es gibt das Fasten als Opferersatz, als Vorbereitung auf kultische Handlungen, als Ausdruck der Trauer, als Erweiterung des Bewusstseins zur Gewinnung von mehr Klarheit und Einsicht und schließlich als prophetisches Fasten, welches eine Offenheit für Visionen und Offenbarungen schaffen soll.

Nie zum Selbstzweck

Der Benediktiner Anselm Grün weist auf das enge Zusammenwirken von Leib und Seele beim Fasten hin und erläutert auch die Gründe für den Rückzug der Kirchen aus dem Bereich des Fastens im oben angeführten Sinne. Echtes christliches Fasten hat immer etwas mit Solidarität zu tun, nie fastet der Christ zum Selbstzweck, sozusagen für sich persönlich. Für die Christen sind Fasttage Tage, an denen man wacher als sonst auf Gott hin lebt, an denen man sich zum Abschluss des Fastens zum gemeinsamen Gebet versammelte. Das Fasten verbindet die Christen zur Gemeinschaft.

Noch eine lokale Besonderheit, die nahezu vergessen ist: In die Fastenzeit fällt meist auch der 26. März – in Plankstadt der Tag der Ewigen Anbetung in der Katholischen Pfarrgemeinde St. Nikolaus. Es ist eine alte Tradition der Erzdiözese Freiburg, nach der an jedem Tag im Jahr eine andere Pfarrgemeinde mit besonderen ununterbrochenen Gebetsstunden Gott die Ehre geben möchte.

Auch hier mussten im Laufe der Jahre und des Zeit- und Denkwandels nicht nur Abstriche gemacht werden. Heute ist diese religiöse Tradition praktisch aus dem Bewusstsein der meisten Menschen verschwunden. Und in der kirchlichen Praxis ist dieser religiöse Brauch bis vielleicht noch auf eine halbe Stunde vor Beginn eines Gottesdienstes geschrumpft – falls zufällig überhaupt einer stattfindet. Es fragt sich auch, inwieweit solche überlieferten Formen in Zukunft überhaupt noch eine Rolle spielen können, wenn durch die geplante Neustrukturierung der Erzdiözese Freiburg aus derzeit 1000 Pfarreien in 224 Seelsorgeeinheiten dann 36 Großpfarreien werden sollen!

Vom Fasten selbst erwartete man zu allen Zeiten immer zunächst eine Heilung an Leib und Seele. Ob bei einfachen Naturreligionen, ob in anderen Kultur- und Religionskreisen, ob bei den griechischen Philosophenschulen der Antike, ob bei den Kirchenvätern oder im alten Mönchtum: Die Intentionen zum Fasten ähneln sich meist oder sind gar gleich.

Das Fasten hat immer eine heilende Wirkung sowohl auf den Körper als auch in der Folge davon auf den Geist. Der mit Nahrung vollgestopfte Körper kann nicht offen sein für die Wirkungen des Geistes; er ist in sich gefangen und verschließt sich den anderen.

Im christlichen Sinne soll das Fasten auch immer der Nächstenliebe dienen: Das, was der Christ durch sein Fasten bei sich einspart, kommt anderen, Bedürftigeren, zugute. So sind die Menschen aufgerufen, die für das eigene Leben angemessene Form des Fastens zu entdecken. Das kann ein anderer Umgang mit der täglichen Nahrung, mit dem Bedarf an Alkohol oder Zigaretten sein, die Überprüfung des eigenen Konsum- und Kaufverhaltens, aber auch der gezielte Verzicht auf Reizüberflutung, zum Beispiel durch das Fernsehen.

Ohne seinen eigentlichen Sinn ist Fasten dann, wenn die Bereitschaft fehlt, das übrige Leben, das Verhalten im Alltag und im Beruf, den Umgang mit anderen Menschen in die Neuausrichtung auf Gott hin zu orientieren. Somit ist gerade die österliche Fastenzeit in besonderem Maße eine einzigartige Gelegenheit, sich auf die Suche nach Gestaltungsmöglichkeit eines verantwortungsbewussten Lebens zu begeben.

Freier Autor

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