Plankstadt.. Schwungvoll sind die Wörter mit Tinte auf das Papier gesetzt, die Buchstaben selbst etwas nach rechts geneigt. Auf den ersten Blick ist die Handschrift aus Schnörkel, Punkten und Strichen nur schwer zu lesen. Nur so viel: Die Herkunft des Dokuments ist kein Rätsel. Es muss sich um eine Eintragung in ein Kirchenregister in deutscher Sprache handeln.
Dr. Sabine Bock aus Plankstadt beugt sich über die Kopie des Dokumentes, legt ihren Finger unter das erste Wort und liest der Reihe nach vor: „Im Jahr Christi Eintausenachthundertfünfundvierzig, den sechsundzwanzigsten November, Nachmittags ein Uhr wurde Johann Peter Münk Ortsbürger zu Hochstetten von seiner Ehefrau Eva Marie, geborene Roß, das zweite Kind, ein Sohn, der zweite Sohn geboren und den 30. November getauft, wobei es den Namen Johann Christian erhielt.“
Das Schriftstück, auf dem die Taufdaten eines Jungens festgehalten wurde, ist ein Stück Familiengeschichte - und zwar von Sabine Bock selbst. Dass sie die Schrift lesen kann, ist ebenfalls kein Zufall. Zwar ist der Eintrag auf Deutsch verfasst, wurde aber früher nicht in der heutigen lateinischen Schrift auf das Papier gebracht, sondern in „altdeutscher Schrift“. Zwei bekannte Arten davon sind „Kurrent“ und „Sütterlin“.
In der Volksschule lernen Kinder eine neue Schreibschrift
Erstere galt im 18. und 19. Jahrhundert als Verkehrschrift. Die Sütterlinschrift dagegen etablierte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Der Name Sütterlin geht auf den Pädagogen Ludwig Sütterlin zurück“, sagt sie. Ursprünglich sollte die vereinfachte Schrift dazu dienen, den Kindern in der Volkshochschule das Erlernen der Schreibschrift einfacher zu machen.
Noch heute tauchen in Privathaushalten oder Archiven Dokumente auf, die in der Kurrent- oder Sütterlinschrift verfasst sind. Ob Funde auf dem Dachboden, im Bücherschrank der Eltern und Großeltern oder in alten Archiven - Zeugnisse von alten handschriftlichen Notizen gibt es überall. Über Umwege ist Sabine Bock selbst Expertin im Entziffern der altdeutschen Schreibschrift geworden. Anlässlich des 23. Januars, auch als Tag der Handschrift bekannt, gibt sie einen Einblick in ihre Arbeit und wie sie Übersetzerin altdeutscher Schriften wurde.
Im Zuge ihrer Promotion im Fach Kunstgeschichte beschäftigte sie sich mit der Architektur der Universität Heidelberg und deren Geschichte. Bei der Recherche im Generallandesarchiv in Karlsruhe stieß sie immer wieder auf ältere, von Hand geschriebene Dokumente, die in altdeutscher Schrift verfasst sind. Es waren hauptsächlich Bauakten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Schrift stellte zu Beginn eine Herausforderung dar. „Ich erinnere mich noch, wie wir mit Kopfschmerzen nach Hause gefahren sind,“, sagt sie. Mit Übung und Tricks gelang es ihr, die Dokumente zu entschlüsseln. Ab und an übersetzt Sabine Bock auch Dokumente für Anwaltskanzleien. „Gerade wenn es um das Erbe oder den Nachlass einer verstorbenen Person geht“, erklärt sie.
Wer ist der Vater, wer ist die Mutter?
Sind keine Familienangehörigen zu ermitteln, müsse der Anwalt auf der Suche nach Erben in die Vergangenheit zurückgehen, um in amtlichen Dokumenten etwaige Angehörige in der entfernteren Verwandtschaft zu finden, damit ein Erbe für den Nachlass ermittelt werden kann. Dabei könne es vorkommen, dass die die Kanzleien bei der Recherche auf Dokumente stoßen, die in „Kurrent“ oder „Sütterlin“ verfasst sind. Hier kommt Sabine Bock ins Spiel. Sie übersetzt die Dokumente für die Kanzlei. Dabei sind Schriftstücke, die für einen offiziellen Anlass verfasst wurden, einfacher zu entziffern, als es bei privaten Aufschrieben der Fall ist.
Je nach Dokument gebe es bei einem amtlichen Schreiben feste Vorgaben, wie ein Text formuliert ist oder sogar eine Vorlage der Behörde, wo nur noch die individuellen Daten der Personen ergänzt werden müsse, erklärt Sabine Bock. Ist ein handgeschriebenes Wort mal nicht zu deuten, könne es sich aus dem Kontext erschlossen werden. „Manchmal geht es um eine Heiratsurkunde, oder eine Taufe“, sagt sie. Dabei sei das Vokabular immer ähnlich. Zu bestimmten Zeiten sind feststehende Begriffe aus dem Latein auch keine Seltenheit.
Ihre Übersetzungsdienste bietet Sabine Bock auch für Privatpersonen an. Übersetzt hat sie bereits zahlreiche Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg oder die Memoiren eines Mannes, der sie in den 1970er Jahren verfasst haben muss. „Das ist wie ein Fenster in die Vergangenheit“, sagt sie. Von einem Klienten erhielt sie rund 50 Seiten, beidseitig mit Tinte beschrieben, voller Erinnerungen.
Mann hält seine Lebensgeschichte auf 50 Seiten fest
Plötzlich sitzt sie mit dem Mann am Küchentisch, erlebt durch die Memoiren, wie die Familie damals gelebt haben muss. Einmal sei sie in den 50 Seiten auf das Wort „Wasserbank“ gestoßen. „Nicht unbedingt etwas, von dem man weiß, was es ist“, sagt sie. Nach vielen Recherchen und weiteren Hinweisen in den Memoiren sei sie dann hinter die Bedeutung des Wortes gekommen.
Bei der „Wasserbank“ habe es sich um eine gewöhnliche Bank im Hausflur handeln müssen, auf der die Familie Eimer, gefüllt mit Wasser, gelagert hat. „Es gab im Haus kein fließendes Wasser“, sagt sie. Die Familie habe ihren Vorrat aus einem Brunnen nahe des Hauses geschöpft - und der Bequemlichkeit wegen einiges davon griffbereit im Wohnbereich gelagert.
Während sie die Seiten auf einem Bildschirm liest, tippt sie auf einem zweiten die Übersetzung als Word-Dokument in den Computer ein. Aus Zeitgründen, wie sie bedauert. Sabine Bock schätzt es sehr, wenn Heutzututage noch Briefe und Dokumente per Hand geschrieben werden. Gerne würde sie die Übersetzung der Briefe ebenfalls handschriftlich festhalten. „Jede Handschrift hat etwas Individuelles“, findet sie.
Wenn sie einen persönlichen Brief versenden möchte, greift sie immer noch gerne zu Stift und Papier. Sie hofft, dass die Handschrift auch in der modernen Zeit erhalten bleibt.
Weitere Informationen gibt es auf der Website von Dr. Sabine Bock.
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