Schwetzingen / Brühl / Oftersheim. Es scheint alles ruhig. Säße man auf einem Kreuzfahrtschiff, wäre man wohl tiefenentspannt. Doch der Schein trügt. So wirklich auf dem Radar hat den Sturm zwar noch niemand, aber er wird kommen. Und zwar, so die beiden Apothekerinnen Katharina Weidner von der Perkeo-Apotheke in Brühl und Sandra Kolb von der Kurpfalz-Apotheke in Oftersheim, mit Wucht. Bislang verlief das Apothekensterben erstaunlicherweise weitestgehend im gesellschaftlichen Abseits. Vor zehn Jahren leisteten noch über 20 600 Apotheken in Deutschland ihren Dienst. Diese Zahl ist mittlerweile auf noch knapp 17 900 gesunken. Damit verzeichnet das Land im europäischen Vergleich ein Rekordtief. Auf 100 000 Einwohner kommen in Europa im Mittel 32 Apotheken. „Bei uns sind es noch 22.“
Für die beiden genannten Apothekerinnen und auch ihren Kollegen Dr. Jürgen Sommer von der Nord-Apotheke in Schwetzingen ist es nicht mehr weit, bis das Apothekensterben existenziell gefährliche Konsequenzen haben wird. Nur leider habe das weder die Politik, noch die Gesellschaft als Ganzes wirklich auf dem Radar. Weswegen die Apotheker an diesem Mittwoch, 14. Juni, zu einem drastischen Mittel greifen. Einen Tag lang bleiben die Apotheken – mit Ausnahme der Notapotheken – im ganzen Land geschlossen. „Wir wollen damit aufrütteln und auf die Gefahren hinweisen, die den Menschen drohen“, verdeutlichen die Gesprächspartner der Redaktion.
Dreh und Angelpunkt des Problems ist das Geld. Nun könnte man sagen, das ist klagen auf hohem Niveau. Galt doch immer, der Boden für Apotheker ist ein goldener. Doch diese Zeiten gehören in Teilen der Vergangenheit an. Seit der letzten Reform vor knapp 20 Jahren erhalten Apotheken zum einen eine Art Pauschale in Höhe von 8,35 Euro pro Packung. Und zum anderen erhalten sie drei Prozent des Warenwerts. Bei einem Medikament mit einem Warenwert von 5000 Euro, so Weidner, bleiben der Apotheke ganz am Ende so rund 130 Euro als Gewinn. Es sind Sätze, die seit 2013 übrigens nicht mehr angepasst wurden, obwohl die Kosten gestiegen sind. Der Branchenverband spricht von einer seit Jahren bestehenden Unterfinanzierung.
Apothekensterben: Existenzbedrohende Konsequenzen für die Medikamentenversorgung
Natürlich gebe es Unterschiede. Einer großen Apotheke in einem Arztzentrum gehe es gut. Doch die vielen kleinen und mittleren Apotheken blieben zunehmend auf der Strecke. Auch weil die Krankenkassen sich in den Augen der drei Gesprächspartner zunehmend zu Gegenspieler entwickelt haben. Über 80 Prozent ihres Umsatzes machen Apotheken in Deutschland mit Kassenrezepten. Die Folge ist ein Kassenabschlag, eine Art Großkundenrabatt. Dieser stieg zum 1. Februar von 1,77 auf 2 Euro pro Rezept. Dazu kämen dann noch die überbordende Bürokratie und der Medikamentenmangel, der in den Augen Weidners, Kolbs und Sommers ebenfalls auch politische Ursachen habe. Dass man sich, um Kosten zu sparen, von weniger Anbietern, vor allem aus Indien und China, abhängig gemacht habe, sei nur ein Teil einer niederschmetternden Geschichte.
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Der andere sei, dass man auch Importeure und die verbliebenen europäischen Anbieter aus Kostengründen aus dem deutschen Markt dränge. Das Fiebersaftproblem war denn auch vor allem ein deutsches Problem. Die Firmen belieferten erst die Länder, die gut bezahlten. Deutschland gehöre da nicht dazu. So ein wenig ist Weidner in diesem Kontext immer noch erschüttert, dass es ihr gelang Fiebersaft aus der Ukraine zu bekommen, „einem Land im Krieg“.
Geldprobleme und Unterfinanzierung: Der Kampf der Apotheken ums Überleben
Problematisch ist für Weidner und Kolb auch der Trend zu Online-Apotheken. Klar funktionieren die, wenn man ein Medikament braucht und die Zeit nicht drängt. Aber abends, im Notfall, seien es die analogen Apotheken, die den Unterschied machten. Nur vom Notdienst könne eine Apotheke aber nicht leben. Und über den Fachkräftemangel, so Weidner, „haben wir noch gar nicht gesprochen“. Dabei schlage nicht nur der demografische Wandel zu. Schlimmer ist, so Sommer, dass der Beruf des Apothekers nicht mehr wirklich attraktiv ist.
Es läge vieles im Argen und es wird Zeit, dass die Öffentlichkeit endlich davon Notiz nimmt. Dezidiert erklärten die drei, dass sich die Aktion nicht gegen die Menschen richtet. Im Gegenteil. „Wir wollen aufrütteln, um das Schlimmste für die Zukunft zu verhindern“.
Alarmstufe Rot: Aktion der Apothekerinnen und Apotheker schüttelt auf und warnt vor drohenden Gefahren
Und diese Schlimmste könne durchaus dramatische Konsequenzen haben, wie Eltern eines hoch fiebernden Kindes, die keine Hilfe finden. Entweder, weil es gar keine Notapotheke mehr gibt oder die Apotheke einfach kein fiebersenkendes Mittel hat. „Wir sind an einem Punkt, wo wir nicht weiterwissen.“
Das Einzige, was für die zwei Apothekerinnen und den Apotheker klar ist: Der derzeitige Weg mit jährlich rund 500 Apotheken, die dichtmachen, führt in eine Situation, in der in Deutschland die flächendeckende und verlässliche Medikamentenversorgung nicht mehr gewährleistet werden könne. Auch wenn es in der Breite noch nicht spürbar ist, das Apothekensystem ist in schwerer See und Teile des Systems drohen, so Weidner, unterzugehen. Und genau das gehört endlich auf den gesellschaftlichen Debattentisch.
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