Schwetzingen. Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und Felix Mendelssohn Bartholdy bildeten die Klammer eines Konzerts, in dessen Mittelpunkt die Uraufführung eines Auftragswerkes für das Schwetzinger Mozartfest stand. Künstlerischer Leiter und Klarinettist Nikolaus Friedrich und das Amaryllis Quartett brachten das Stück „Nuances“ von Aigerim Seilova erstmals zu Gehör, in dem die kasachische Komponistin das Phänomen der Klangwerdung von Musik erkundet.
Im Beisein der Komponistin entfalten die Streicher Passagen des weichen, suggestiven Wohlklangs, in den sich die Bassklarinette einschmiegt. Ihren Rang als Soloinstrument beansprucht sie allenfalls gelegentlich, etwa mit gellenden Tönen, die sich als Protest gegen eine drohende Unentrinnbarkeit zu äußern scheinen - womöglich gegen ein harmonisches Korsett, das in „Nuances“ gleichsam geflochten wie aufgebrochen erscheint.
Den Streichern wie dem Klarinettisten sind in diesem Stück unterdessen erhebliche Abweichungen von konventionellen Spieltechniken wie der - im Fall der Klarinette oktavierten - Tongestaltung auferlegt. Klangverfremdungen und schrille Dissonanzen lassen sich als kalkulierte Irritationen wahrnehmen. Und natürlich als harsche Kontraste zur Musik vergangener Epochen, die noch von struktureller Regelhaftigkeit, thematischer Prozessualität und harmonischen Gesetzmäßigkeiten beherrscht wird.
Mozarts Streichquartett in G-Dur evoziert heitere Leichtigkeit, die im Spiel des Amaryllis-Ensembles aber keineswegs belanglos wirkt. Der schlanke und federnde Ton, die pulsierende Rhythmik und die impulsive Dynamik ermöglichen ein subtiles Hörerlebnis, in dem Themen und Motive luzide und prägnant konturiert werden. Dabei offenbart das Werk eine filigrane Gestalt, die gleichwohl nicht zerbrechlich wirkt.
Grenzen genau ausgelotet
Mozartsche Selbstverständlichkeit prägt das Spiel des Quartetts, das auch die chromatischen Läufe präzise nachzeichnet, ohne die Musik expressionistisch aufzubürsten. Mit poetischem Feinsinn würdigen Gustav Frielinghaus (Violine), Lena Sandoz (Violine), Mareike Hefti (Viola) und Yves Sandoz (Cello) die Fragilität im Andante. Der zarte Übergang zum fugenartigen Finale, dem sich die Streicher mit resolutem, kantigem Zugriff widmen, zeigt sich als konzises und sorgsam ausziseliertes Ensemblespiel.
Demgegenüber ist der Klang in Mendelssohns Streichquartett in a-Moll mit weitaus größerer Dringlichkeit aufgeladen. Eine Fülle, die aus dem Klassischen ins Romantische strebt und im Spiel dieses Ensembles eine bebende Intensität erreicht. Dennoch hält das Amaryllis Quartett jene Grenze ein, deren Überschreitung nur zu häufig mit der Wirkung eines schalen Effekts verbunden ist. Und zugleich wirkt das Spiel nie unterkühlt oder in starren Ausdrucksformen gefangen.
Im Intermezzo vermeidet das Quartett die volkstümliche Anbiederung zugunsten einer eher versonnenen wirkenden tänzerischen Gestaltung, und im fugierten Mittelteil entfaltet die hintergründig schnurrende Polyphonie eine Art Balletthaftigkeit - Musik wie auf der Spitze getanzt. Und ein Atemholen vor dem finalen Sturmlauf mit seinem choralartigen Schluss, den die Solokadenz der ersten Geige einleitet.
Die Zugabe - der zweite Satz aus einem frühen Streichquintett Mozarts, von Benjamin Helmer für Klarinette und Streicher eingerichtet - ist da fast schon des Guten zu viel.
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