Rechtsstreit

Grüner Hof in Schwetzingen: Rosskastanie als Naturdenkmal gefährdet

Die majestätische Rosskastanie im Biergarten des „Grünen Hof“ ist ein zentraler Bestandteil des Charakters des Ortes, wird jedoch von den Nachbarn aufgrund der Pflegekosten kontrovers diskutiert.

Von 
Rolf Simianer
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Um diese stattliche Rosskastanie geht es. Der Besitzer will sie zum Naturdenkmal erklären lassen. Die Nachbarn klagen über enorme Mengen an Trieben, Laub und Kastanien, die sie auf ihrem Grundstück ständig beseitigen müssen. Bilder: Simianer © Rolf Simianer

Schwetzingen. Die majestätische Rosskastanie im Biergarten des „Grünen Hof“ schafft eine der schönsten und kühlsten Sommeroasen der Schwetzinger Gastronomie. Einer der beiden Besitzer möchte sie nun als Naturdenkmal anerkennen lassen.

Sie ist die Königin im Biergarten; ohne sie wäre der „Grüne Hof“ nicht grün. Die etwa 20 Meter hohe und rund 100 Jahre alte Kastanie steht da wie ein Dom. Ihr Laubdach schließt dicht und makellos. Ihrem Kronengerüst sieht man zwei oder drei gelungene baumpflegerische Eingriffe an, die sie von Fachfirmen während der letzten 30 Jahre erhalten hat. Pächter und Eigentümer waren gut zu ihr, wie zu einem Haustier, das man trotz der Kosten gerne pflegt, da es eine wichtige Funktion erfüllt.

Stammgäste machen sich für den Erhalt des Schattenspenders stark. © Rolf Simianer

In der Sommerhitze spendet dieser Baum Schatten und Kühle, die die Gäste der Wirtschaft so schätzen, und prägt gleichzeitig den besonderen Charakter des Biergartens. Die Pächterin und Wirtin Sylwia Koscielniak und ihr mithelfender Ehemann Adam Parkitny bringen es auf den Punkt: „Der Baum bedeutet für unseren Biergarten sehr viel mehr als eine naturbelassene Schattenquelle. Der ,Grüne Hof’ wäre ohne ihn wie Schwetzingen ohne Schloss.“

Rechtsstreit und Gerichtsurteile zur Kastanie

Das sehen die Nachbarn, die Familie Pitsch, jedoch etwas anders. Zwar haben auch sie überhaupt nichts gegen die Existenz des Baumes einzuwenden, jedoch macht ihnen die Beseitigung der Blütenteile, Früchte und der großen Blätter sehr viel Arbeit, zumal der Befall durch die Kastanien-Miniermotte das Laub bereits mitten im Sommer herabsegeln lässt. Sie führten deswegen einen Rechtsstreit mit den Besitzern des Anwesens an der Zähringer Straße, weil sie der Meinung sind, dass diese den Baum nicht richtig pflegen lassen.

Was der Baumsachverständige Klaus Plessing schreibt

Zuerst stellt der Diplom-Biologe Klaus Plessing in seinem Gutachten die Bedeutung der im 16. Jahrhundert aus dem Balkan eingeführten Rosskastanie als großblättriger Schattenspender heraus. Deswegen wurde sie in der Vergangenheit oft für die Beschattung von Bierkellern und Lagern verwendet. Daraus habe sich später in Deutschland die Kultur der Biergärten entwickelt, die mit der Rosskastanie untrennbar verbunden sei.

Der etwa 20 Meter hohe und in der Krone 15 Meter breite Baum sei vital und befinde sich in einem sehr guten Zustand. Als eine der ältesten Kastanien der Stadt Schwetzingen und der Region präge sie den historischen Biergarten und habe über ihren ökologischen Wert hinaus – als Niststandort für Vögel und kleine Fledermausarten – einen kulturhistorischen Wert. Deswegen empfiehlt der öffentlich bestellte und vereidigte Gutachter, den Baum als besonders geschütztes Naturdenkmal auszuweisen.

Im Weiteren kritisiert Klaus Plessing, dass an der südlichen Grundstücksgrenze vor einigen Jahren – „entgegen aller fachlichen Anforderungen an die Pflege von Bäumen“ – der gesamte Überwuchs ins Nachbargrundstück entfernt worden sei. Dabei seien Starkäste bis 30 Zentimeter Durchmesser gekappt worden. Weil das Holz der Kastanien nur mäßig bis schlecht gegenüber holzzersetzenden Pilzen abzuschotten vermag, sei davon auszugehen, dass durch diese Schnittstellen Fäule eindringen und der Baum nachhaltig geschädigt werde.

Erneute Rückschnitte von Grob- und Starkästen müssten unbedingt vermieden werden, da ein solches Vorgehen die Vitalität und die Lebenserwartung des Baumes erheblich vermindere. Die Nutzbarkeit des südlich angrenzenden Grundstücks werde durch den 1.5 bis 2 Meter hineinragenden Überwuchs nicht erheblich eingeschränkt, schließt das Gutachten Plessings. rs

Zwei Urteile haben sie mit Hilfe ihres Rechtsanwaltes am Schwetzinger Amtsgericht gegen die Eigentümer durchgesetzt. Am 3. Januar 2018 entschied das Gericht, dass der Überhang des Baumes auf das Grundstück der Kläger bis zur Grenze zurückgeschnitten werden muss. Am 26. November 2020 wurde durch einen Vergleich bestimmt, dass sie eine jährliche „Laubrente“ in Höhe von 500 Euro für die Beseitigung des Laubes zahlen müssen, das durch den zu dicht an der Grundstücksgrenze stehenden Baum auf ihr Grundstück niederfällt.

Folgen eines erneuten Rückschnitts für den Baum

Der Blick vom Nachbargrundstück: Hier sieht man auch die Stelle, an der Stark-äste vor einigen Jahren abgeschnitten wurden – leider sehr unsachgemäß. © Rolf Simianer

Die Größe des Baums und die herabfallenden Kastanien erfordern in bestimmten Zeiten quasi tägliches Zusammenkehren auf dem Nachbargrundstück. Von dort sieht man auch gut den Überhang und dass an einer Stelle weiter vorn auch Efeu herüberwuchert, das leider auch nicht beseitigt werde. Und was die Familie Pitsch besonders ärgert: „Nicht mal die vereinbarte Laubrente wird bezahlt, sie wurde einmal ganz und einmal zur Hälfte bezahlt, das war’s!“ Das ist natürlich gar nicht in Ordnung und da ist es auch egal, welcher der beiden Hausbesitzer seinen Anteil nicht bezahlt.

Familie Pitsch sieht übrigens in der Absicht der Besitzer, den Baum zum Naturdenkmal erklären zu lassen, einen durchsichtigen Winkelzug: Damit wollten sie nur zukünftige Pflegekosten für den Baum vermeiden. In ihrer aktuellen Klage fordert die Familie den erneuten Rückschnitt des Baumüberhangs auf die Grundstücksgrenze. Doch dieser Rückschnitt stellt für den Baum in seiner jetzigen Entwicklungsphase ein ernstes Problem dar, so sagt es jedenfalls ein Sachverständigengutachten (siehe unten stehenden Artikel). In dieser Sache hat das Amtsgericht demnächst einen Güteverhandlungstermin mit beiden Parteien anberaumt.

Deneckes Bemühungen und Gutachten zur Baumpflege

Hans-Jürgen Denecke, einer der beiden Eigentümer, war im Jahr 2018 vor dem ersten Rückschnitt zur Schwetzinger Stadtgärtnerei gegangen und hatte sich bei den dortigen Baumpflegern erkundigt, welche Auswirkungen ein solcher Eingriff auf den Baum haben könnte. Die Fachleute rieten dringend von einem starken Rückschnitt in die Hauptäste ab, da Kastanien mit ihrem weichen Holz große Wunden nur sehr schlecht überwallen können. Durch diese könnten aber holzzersetzende Pilze sehr leicht eindringen. Dennoch ließ Denecke dem Gerichtsurteil gemäß den Rückschnitt durchführen, wodurch Äste mit bis zu 30 Zentimeter Durchmesser abgesägt wurden, sagt er.

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Als Reaktion des Baumes auf den harten Schnitt bilden sich in den Folgejahren um die Kappstellen herum sogenannte Ständertriebe, die den Pflanzensaft an die Wunden heranziehen und den Heilungsprozess des Baumes unterstützen. Als die Familie Pitsch in der aktuellen Klage nun den Rückschnitt genau dieser Triebe fordert, lässt Hans-Jürgen Denecke beim Baumsachverständigenbüro Klaus Plessing in Heidelberg das besagte Gutachten anfertigen, das besagt, dass „erneute Rückschnitte von Grob- und Starkästen unbedingt vermieden werden müssen“. Als Maßnahme für den Baum empfiehlt der öffentlich bestellte und vereidigte Gutachter „die Anerkennung des Baumes als besonders geschütztes Naturdenkmal.“

Schwierigkeiten im Anerkennungsverfahren als Naturdenkmal

Mit der Frage, wie das Anerkennungsverfahren zum Naturdenkmal funktioniert, wendet sich Denecke zweimal persönlich an das Bauamt der Stadt Schwetzingen und wird jeweils abgewiesen. Dann ruft er im Büro des Bürgermeisters Matthias Steffan an, der gerade im Urlaub weilt. Von dort schickt man ihn wieder ins Bauamt, das diesmal auf die Zuständigkeit der Unteren Naturschutzbehörde beim Landratsamt mit Sitz in Sinsheim verweist. Als das Landratsamt klarstellt, dass Schwetzingen als Große Kreisstadt selbst zuständig sei, ist Denecke frustriert.

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Rolf Simianer
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Er geht zur „Schwetzinger Zeitung“ und schildert seine Situation. Auf Rückfrage der Redaktion bei der Stadtverwaltung entschuldigt sich diese in einem Antwortschreiben für das „Durcheinander“. Zwischenzeitlich seien die Zuständigkeiten geklärt und die zuständige Sachbearbeiterin habe sich bei Denecke gemeldet und ihm die Prüfung der Sach- und Rechtslage angekündigt. Zur Ausweisung der Kastanie als Naturdenkmal müsse jedoch eine Rechtsverordnung erlassen werden, die der Gemeinderat beschließen müsste. Mit einer zeitnahen Entscheidung – auch im Hinblick auf den Gerichtstermin – sei nicht zu rechnen. Übrigens gibt es derzeit kein einziges Naturdenkmal in Schwetzingen.

Unterstützung der Gäste und Ungewissheit

An einem Samstag gegen 18 Uhr sitzen an zwei Tischen unter der Kastanie ein Dutzend Gäste, die Adam Parkitny zur Unterstützung der Belange des Baumes eingeladen hat. Fröhlich stoßen sie auf dessen möglichst langes Leben an. Hinter einer Ligusterhecke im Spielbereich des Biergartens toben zwei Kinder auf einem Trampolin herum. Auf einem elliptischen Schild aus rostendem Stahl, das eine begeisterte Besucherin des „Grünen Hofs“ gespendet und am Stamm befestigt hat, steht „Traumgarten“.

Die Laubrente

  • Einer der häufigsten Konflikte unter Nachbarn entsteht dadurch, dass der nach oben strebende Baum des einen Gartenbesitzers den Nachbargarten zu verschatten beginnt und Ärger durch immer mehr herabfallende Blätter oder Nadeln verursacht – bis hin zu Astbruch oder hinüberwachsenden Wurzeln, die den Rasen oder Gemüseanbau beeinträchtigen.
  • In der Regel kann nach einer Standzeit von fünf oder sechs Jahren die Fällung des Baumes nicht mehr verlangt werden. Auch muss der Nachbar, solange die Nutzung seines Grundstückes nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt ist, den Laubfall dulden und die Blätter auf eigene Kosten entfernen.
  • Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. November 2003 brachte eine Änderung. Es besagt, dass Nachbarn von Bäumen, die den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhalten, Geld für das Entfernen des Laubes vom Besitzer des Baumes verlangen können – die sogenannte Laubrente. Dabei liegt die juristische Latte für die Anordnung höher, je geschützter der umstrittene Baum ist.
  • In der Regel setzt dieser nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch voraus, dass der betroffene Grundstückseigentümer in der ortsüblichen Benutzung seines Grundstückes übers zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt ist. Dieses Urteil von 2003 wurde vom Bundesgerichtshofs 2017 bestätigt. In seinem Vergleich vom 26. November 2020 folgte das Amtsgericht Schwetzingen im vorliegenden Fall dieser Rechtsprechung. rs

Wird die Kastanie letztlich per Gerichtsurteil erneut zurückgeschnitten werden – und wenn ja, in welchem Ausmaß? Und wie wird der Baum diesen Eingriff verkraften? Hans-Jürgen Denecke verfolgt sein Ziel „Naturdenkmal“ unbeirrt weiter. Er will um den Baum im Biergarten kämpfen.

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