Interview

Heike Hoffmann über die letzten Schwetzinger Festspiele unter ihrer Leitung

In ihren acht Jahren als künstlerische Leiterin der Schwetzinger SWR Festspiele hat Heike Hoffmann viel bewegt. 2024 steht das letzte von ihr verantwortete Programm an. Wir haben mit ihr über diesen Schlussapplaus gesprochen.

Von 
Jürgen Gruler
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Die Künstlerische Leiterin Heike Hoffmann. © Festspiele/Elmar Witt

Schwetzingen. Heike Hoffmann hat seit ihrer Übernahme der künstlerischen Leitung im Jahr 2015 die Schwetzinger SWR Festspiele auf neue Beine gestellt, sie hat die Öffnung in die Stadt hinein betrieben, neue Formate geschaffen, sich die Region erschlossen und sich auf einen guten Weg gemacht, um die Hürden zur klassischen Musik kleiner werden zu lassen. Jetzt steht das letzte von ihr verantwortete Programm an. Vom 26. April bis zum 25. Mai heißt das Motto „Da Capo“. Über diesen Schlussapplaus sprachen wir mit ihr bei der Programmvorstellung beim Freundeskreis.

Wie fühlen Sie sich so kurz vor Ihren letzten Schwetzinger Festspielen?

Heike Hoffmann: Sehr gut, danke. Die Vorbereitungen laufen gut, wir liegen im Zeitplan. Das Programm ist gedruckt und am 6. Dezember gehen wir wie immer in den Vorverkauf. Und was mich besonders freut: Die Partitur der Uraufführungsoper „Der Doppelgänger“ von Lucia Ronchetti – liegt vollständig vor. Und wir hatten vor einigen Wochen auch schon eine sehr konstruktive Bauprobe im Schwetzinger Rokokotheater, bevor dann am 12. Dezember die Proben in Luzern beginnen.

Heike Hoffmann über die Veränderungen bei den Schwetzinger Festspielen

Was hat sich während Ihrer Zeit als Künstlerische Leiterin verändert?

Hoffmann: Als ich 2015 hier anfing, war nicht abzusehen, mit welch gravierenden Problemen wir in den Folgejahren konfrontiert sein würden. Der erste massive Einschnitt war die Pandemie, dann der Krieg Russlands gegen die Ukraine, nun die furchtbare Situation im Nahen Osten. Dazu die globale Klimakrise, die Flüchtlingsströme, die gesellschaftspolitischen Verwerfungen auch in unserem Land. All das geht natürlich auch an der Kultur nicht spurlos vorüber, die Konsequenzen sind – nicht immer unmittelbar, dennoch aber deutlich – zu spüren. Ein Beispiel ist das Problem, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Denn viele Freiberufler haben sich während der Pandemie umorientiert und stehen gar nicht mehr zur Verfügung. Unser wichtigster Gesellschafter, der SWR, befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess und natürlich haben steigende Kosten in allen Bereichen zur Folge, dass die freien Mittel für die künstlerische Produktion sinken. Um das abzufedern, sind Engagement, Einfallsreichtum und vor allem ein gutes Netzwerk nötig. Andererseits haben wir die Pandemie gut überstanden und – sicher auch wegen der jeweils im Herbst unter schwierigen Bedingungen dazwischen geschobenen kürzeren Festspiele – unser Publikum nicht verloren. Ich blicke mit Dankbarkeit auf die letzten acht Jahre zurück und meine, dass die Festspiele deutlich an künstlerischem Profil gewonnen haben, besser als zuvor in der Region verankert sind und auch neue Publikumsschichten angesprochen haben. Insofern hinterlasse ich, wie man so schön sagt, ein „gut bestelltes Haus“.

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Irgendwie kann ich mir gar nicht vorstellen, dass Sie künftig nur noch Rentnerin sind . . .

Hoffmann: (Lacht!) Ich auch nicht. Es sieht auch gar nicht danach aus, als ob ich ab Mitte nächsten Jahres auf dem Sofa liegen würde. Ich werde an einer deutschen Musikhochschule meine Erfahrungen an junge Menschen weitergeben, beratend tätig sein und sicher auch immer wieder projektweise arbeiten. Aber ich freue mich auch auf ein Stück mehr Freiheit für Dinge, die zu kurz gekommen sind.

Bauprobe für die Uraufführungsoper „Der Doppelgänger“ von Lucia Ronchetti im Schwetzinger Rokokotheater (v.l.): Michael Friebele (Technischer Leiter Festspiele), David Funda (Produktionsleiter Luzerner Theater), Bettina Mayer (Bühnenbild), David Hermann (Regie), You-Yin Seo (Kostüme), Stefan Vogel (Luzerner Theater) und die Künstlerische Leiterin Heike Hoffmann im Gespräch. © Gruler

Die künstlerische Leiterin über das Programm der Festspiele in Schwetzingen

Sie stellen das Programm 2024 unter den Titel „Da Capo“ – wem gilt dieser Schlussapplaus?

Hoffmann: Der gilt in allererster Linie den Künstlerinnen und Künstlern, mit denen ich in den vergangenen Jahren arbeiten durfte und die uns hier in Schwetzingen unzählige großartige Musikerlebnisse geschenkt haben. Mir war es immer wichtig, auf Kontinuität zu setzen, längerfristig mit Künstlern gemeinsame Projekte zu entwickeln. Der kommerzialisierte Hochglanz-Klassikbetrieb ist mir fremd und wäre meiner Überzeugung nach hier auch fehl am Platze. Für viele Musikerinnen und Musiker ist Schwetzingen ja so eine Art künstlerische Heimat geworden, weil sich hier vieles verbindet: Der einmalig schöne Ort, die intime und konzentrierte Atmosphäre, ein kundiges und begeisterungsfähiges Publikum und nicht zuletzt die große Reichweite durch die Übertragungen des SWR.

Bei einem ersten Blick ins Programm sieht man viele gute Bekannte der Festspiele. Freuen Sie sich, dass so viele wieder zugesagt haben?

Hoffmann: Ja, das freut mich natürlich sehr. Etliche der eingeladenen Künstler kenne und schätze ich schon seit vielen Jahren aus anderen Kontexten und habe sie dann nach Schwetzingen eingeladen, anderen bin ich erst hier begegnet. Ihre künstlerische Entwicklung mitzuverfolgen und auch ein wenig begleiten zu dürfen, gemeinsam Ideen und Programme zu entwickeln und dann zu realisieren, war ein Privileg und ein großes Vergnügen.

Geigerin und Residenzkünstlerin Tabea Zimmermann. © SWR/Marco Borggreve

Und bei den Residenzkünstlern ist diesmal der große Wurf gelungen, oder?

Hoffmann: Dass es sozusagen auf den letzten Metern endlich geklappt hat, im dicht gefüllten Terminkalender von Tabea Zimmermann Zeit für eine Schwetzinger Residenz zu finden, freut mich ganz besonders. Sie gehört für mich zu den ganz großen Musikerpersönlichkeiten unserer Zeit und ist darüber hinaus eine äußerst engagierte Lehrerin. Das spiegelt sich auch in den Programmen, die sie gemeinsam mit Studierenden ihrer Frankfurter Klasse und der Kronberg-Akademie gestalten wird. Dass sie nun auch noch Zeit und Energie findet, sich in Stiftungen kulturpolitisch zu engagieren, finde ich segensreich und bewundernswert. Den Pianisten Fabian Müller habe ich kurz nach seinem fulminanten Sieg beim ARD-Wettbewerb kennengelernt und sehe eine enorme Entwicklung. Besonders gespannt bin ich auf seine erste Zusammenarbeit mit dem SWR Symphonieorchester, wo er unter der Leitung von Antonello Manacorda das 4. Klavierkonzert von Beethoven spielen wird. Zu Avi Avital muss ich nicht viel sagen: ein Vollblutmusiker mit immer neuen Ideen, den man hier in der Region ja inzwischen auch gut kennt. Eine Premiere ist das Gastspiel von Les Siècles, dem großartigen Orchester, das François-Xavier Roth auf die Beine gestellt hat, um Musik jeweils auf dem Instrumentarium ihrer Entstehungszeit zu spielen. Solisten bei unserem Mozart/Ligeti-Doppelabend sind die Geigerin Isabelle Faust und die Pianisten Alexander Melnikov und Jean-Frédéric Neuburger. Dieses Projekt haben wir geplant, bevor bekannt war, dass François-Xavier der künftige Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters sein wird. Insofern passt das natürlich besonders gut.

Residenzkünstler Avi Avital bringt neue Ideen ins Schloss. © SWR/Christoph Köstlin

Heike Hoffmann über die Öffnung der Festspiele und eine neue Stadt 

Sie setzen auch noch einmal einen Akzent in Sachen Öffnung der Festspiele hin zu den Menschen mit Berührungsängsten zur Klassik und laden zu einer Radtour ein. Wie läuft das denn ab?

Hoffmann: Die Idee verdanke ich Raphaël Merlin, dem ehemaligen Cellisten des Quatuor Ebène. Er hat vor einigen Jahren in Frankreich ein Orchester gegründet, das sich auch dem Gedanken der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt und dieses Format unter dem Motto „Accordez vos vélos“ ausprobiert hat. Im vergangenen Mai haben wir gemeinsam die Umgebung erkundet und die Route festgelegt. Los geht es per Rad an Christi Himmelfahrt morgens vom Schlossplatz Richtung Rhein auf die Kollerinsel und zurück über Brühl nach Schwetzingen. Musiker und Publikum radeln gemeinsam, unterwegs gibt es Kurzkonzerte und eine besondere musikalische Überraschung in der Reithalle des Pferdeland Kollerinsel. Eingeladen ist jeder, der gern radelt, von jung bis alt. Wir bekommen für dieses Vorhaben vielfältige Unterstützung aus der Region, von den Gemeinden, dem ADFC, dem NABU und von Nextbike und hoffen natürlich auf lebhafte Teilnahme, vor allem aber auf gutes Wetter!

Die musikalische Radtour in Frankreich ist Vorbild für Schwetzingen. © SWR

Diesmal geht es wieder in eine neue Stadt – nach Worms? Wie kommt’s?

Hoffmann: Tatsächlich kommt die Initiative dazu von langjährigen Festspielbesuchern aus Worms, die sich auch in ihrer Stadt ein anspruchsvolles Musikleben wünschen. Sie haben nicht lockergelassen, bis ich nach Worms gefahren bin und mir den Dom – der akustisch weniger heikel ist als der Speyerer Dom – angeschaut, mit dem Oberbürgermeister und weiteren Verantwortlichen gesprochen und ein Programm vorgeschlagen habe. Dann haben alle Beteiligten mit großem Einsatz die Finanzierung auf die Beine gestellt, natürlich in der Hoffnung, dass diese Premiere keine Eintagsfliege bleibt und Worms künftig zu den Spielorten der Schwetzinger Festspiele gehört. Die Aufführung von Monteverdis „Marienvesper“ mit dem renommierten italienischen Ensemble La fonte musica wird ein musikalisch hochkarätiger Auftakt werden. Und gleichzeitig schließe ich damit einen programmatischen Bogen zu meinem ersten Jahr, in dem wir die drei Opern von Monteverdi in Schwetzingen auf die Bühne gebracht haben.

Auf diesen Auftritt bei den Schwetzinger Festspielen freut sie sich am meisten

Was ist Ihr Geheimfavorit im Programm?

Hoffmann: Darf ich mehr als einen nennen?

Ja klar!

Neuer Stern am Klavierhimel: Pianist Fabian Müller. © SWR/Gregor Hohenberg

Hoffmann: Unbedingt „Click’n Drums“ – ein fulminantes Musiktheaterprojekt für Kinder und Erwachsene, von vier Schlagzeugvirtuosen mit unglaublichem Witz und französischer Leichtigkeit auf die Bühne gebracht. Dann „Pygmalion“, nach „Medea“ ein weiteres Melodram von Georg Friedrich Benda, für das der großartige Schauspieler Michael Rotschopf zugesagt hat. Nicht verpassen sollte man die „Inszenierte Nacht“ von Simon Steen-Andersen mit dem Ensemble Ascolta, ein zeitgenössisches Kammermusiktheaterstück, das auf überraschende und sehr amüsante Weise mit bekannten Versatzstücken aus der musikalischen Weltliteratur spielt. Ein ungewöhnliches, intensives Hörerlebnis bietet ein Abend mit Luigi Nonos „La lontananza nostalgica futura“ für Geige und Live-Elektronik, interpoliert mit Vokalmusik der Renaissance. Für die musikalische Qualität bürgen die Interpreten: die Geigerin Carolin Widmann, das Experimentalstudio des SWR und die Schola Heidelberg unter der Leitung von Walter Nußbaum. Wenngleich natürlich kein Geheimfavorit, muss ich aber unbedingt noch die neue Produktion von Nico and the Navigators nennen: „The whole Truth about Lies“, ein Stück über das brandaktuelle Thema Wahrheit und Lüge – und das ist dann auch der Abschluss meines letzten Schwetzinger Programms.

Info: Das vollständige Programm ist ab Dienstag, 21. November, online auf der Website der Veranstaltung einsehbar. Dort ist die auch Programmbroschüre als PDF zu finden, die zudem per Post erhältlich ist.

Tickets sind ab dem 6. Dezember beim SWR Ticketservice und an allen bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich. Dazu gehört auch das Kundenforum der Schwetzinger Zeitung in der Carl-Theodor-Straße 2 in Schwetzingen.

Chefredaktion Jürgen Gruler ist Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung.

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