Schwetzingen. Wie viel Vanitas – also Vergänglichkeit – war in den Festspielen zu spüren und bei welchen Programmen ganz besonders?
Heike Hoffmann: Mit diesem Thema – das uns Menschen ja alle betrifft – hatte ich mir eine dramaturgische Leitlinie für die gesamten Festspiele gesetzt und daher war es auch in allen Programmen präsent, natürlich immer anders akzentuiert und in seiner historischen und dialektischen Vielschichtigkeit. Es hat mich sehr gefreut, dass das Publikum mit so viel Interesse reagiert hat; so waren etwa auch die Einführungsveranstaltungen mit musik- und kulturhistorisch kenntnisreichen Vorträgen von Silke Leopold und Joachim Steinheuer sehr nachgefragt.
Welches Konzert hat Sie überrascht und quasi vom Hocker gehauen?
Hoffmann: Dieser Festspieljahrgang hatte so viele musikalische Sternstunden, dass es mir schwerfällt, einzelne Konzerte herauszugreifen. Zu den berührendsten Momenten gehörte für mich persönlich die ungeheuer spannungsgeladene Interpretation von Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ durch Esther Hoppe, Pascal Moraguès, Juho Pohjonen und unseren Residenzkünstler Christian Poltéra. Danach gab es erst einmal einen langen Moment der Stille im Saal, bevor der Beifall losbrach. Und „vom Hocker gehauen“ hat mich die Matinee des Quatuor Ebène, die bei uns das erste Mal nach dem Ausscheiden von Raphael Merlin mit einem neuen Cellisten konzertierten. Es war der erste gemeinsame Auftritt und – wie ich erst nach dem Konzert erfahren habe – auch das erste Mal überhaupt, dass der niederländische Cellist Matthijs Broersma das Streichquartett Nr. 1 von György Ligeti gespielt hat. Was da an intensivster und hochkonzentrierter musikalischer Interaktion stattfand, war so einmalig, dass es wohl niemand vergessen wird, der das Glück hatte, dieses Konzert zu erleben.
Hat sich die Kirche in Ketsch als Veranstaltungsort bewährt und kann man dort künftig auch mit weiteren Konzerten der Festspiele rechnen?
Hoffmann: Wir haben in Ketsch ein großartiges Konzert mit dem Baseler Vokalensemble „Voces Suaves“ gehört, das sich in der Akustik der Kirche wohlgefühlt und gut zurechtgefunden hat. Für ein ursprünglich angedachtes Programm 2024 habe ich mich gemeinsam mit den Künstlern für einen anderen Raum entschieden, da hierfür der Nachhall im Kirchenraum zu groß gewesen wäre. Aber ich finde, das Wagnis hat sich gelohnt und das Publikum hat das Angebot begeistert angenommen. Die Zusammenarbeit mit der Kulturkirche war sehr gut, also warum nicht für die Zukunft nach geeigneten Programmen suchen?
Sie haben ja bei der Oper zum ersten Mal mit dem Nationaltheater Mannheim zusammengearbeitet, wie hat es funktioniert?
Hoffmann: Die Idee zu dieser Kooperation entstand vor einigen Jahren in einem Gespräch mit Albrecht Puhlmann, in dem es zunächst darum ging, Terminabstimmungen für die Zeit zu treffen, in der das Nationaltheater Schwetzingen als eine seiner Interimsspielstätten für die Zeit der Sanierung nutzen würde. Wir sind dann schnell aufs Inhaltliche gekommen und da abzusehen war, dass bei uns die geplante Produktion von „Zemira et Azor“ pandemiebedingt auf 2023 verschoben werden musste, haben wir kurzerhand aus der Not eine Tugend gemacht und die Produktion gemeinsam auf die Beine gestellt. Eine Entscheidung, von der beide Seiten profitiert haben und die – das kann man wohl ohne Abstriche feststellen – in eine großartige Aufführung dieses Werkes gemündet ist. Dass wir Nigel Lowery als Regisseur und Ausstatter gewinnen konnten, war ein wirklicher Glücksfall und durch das ungeheuer präzise und lebendige Spiel der Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Bernhard Forck ist die Produktion auf einem musikalischen Niveau, wie man es sich kaum besser vorstellen kann. Das Team des Nationaltheaters ist ja nun in Schwetzingen bereits zu Hause, daher lief alles reibungslos und in bester partnerschaftlicher Zusammenarbeit.
Bei der Abendmusik im Garten gab es ja so etwas ähnliches wie eine Cena Ultima. Wie war’s?
Hoffmann: Sehr stimmungsvoll. Einen schöneren Aufführungsort als das Heckentheater unterhalb des Apollo-Tempels kann man sich kaum vorstellen und die Akustik hat sich als erstaunlich robust erwiesen für Mozarts Bläsermusik. Da störte es überhaupt nicht, dass die Vögel lauthals mitgezwitschert haben.
Glücklicherweise hat das Wetter mitgespielt, wir hatten ja sowas wie einen ersten Sommerabend. Das gastronomische Angebot des Restaurants „Theodors“ wurde gut angenommen und ich habe begeistertes Feedback von vielen Seiten bekommen.
Wie hat es wirtschaftlich geklappt, wie war die Auslastung?
Hoffmann: Wir sind außerordentlich zufrieden und glücklich, dass das Publikum nach diesen schwierigen Pandemiejahren zurück bei uns ist. Im Nachhinein kann man sicher sagen, dass die jeweils im Herbst unter nicht ganz einfachen Bedingungen veranstalteten Konzertserien 2020 und 2021 dazu beigetragen haben, dass wir den Kontakt gehalten und unser Publikum nicht verloren haben. Bei vielen Veranstaltern verläuft der Neustart ja leider wesentlich verhaltener. In diesem Jahr haben wir mehr als 13 300 Besucherinnen und Besucher begrüßen dürfen, das entspricht einer Auslastung von gut 85 Prozent. Nicht mitgezählt die vielen Besucher der Klangsäulen mit Neukompositionen von Studierenden der Musikhochschule Mannheim, die ein Anziehungspunkt im Schlosspark auch für nicht speziell Konzertinteressierte waren.
Wie kamen die neuen Last-Minute-Tickets an?
Hoffmann: Da ist noch Luft nach oben. Dieses Angebot wurde nachgefragt, aber weniger, als wir erwartet hatten. Vielleicht muss sich so ein Angebot erst herumsprechen. Wir werden das jedoch unbedingt fortsetzen und auch intensiver kommunizieren.
Wieviel Wehmut steckt darin, zu wissen, dass nun die letzten Festspiele unter der eigenen Regie anstehen?
Hoffmann (lacht): Das hält sich noch in Grenzen. Zum einen, weil ich noch ganz erfüllt bin von dem großen Erfolg der diesjährigen Festspiele und von der überaus positiven Resonanz beim Publikum und den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, zum anderen, weil ich ja noch eine ganze Saison vor mir habe. Auch wenn das Programm im Wesentlichen steht, gibt es da schon noch ordentlich zu tun . . .
Was erwartet uns in der Saison 2024. Können Sie schon ein bisschen was verraten?
Hoffmann: All zuviel möchte ich noch nicht verraten, bevor das fertige Programm im Herbst erscheint. Vielleicht nur so viel: Es wird mehrere szenische Produktionen geben, darunter zwei Uraufführungen – eine Oper aus dem 17. Jahrhundert und als Gastspiel eine fantastische französische Produktion für Kinder im Rokokotheater. Drei Weltklasse-Künstler kommen in Residenz und es gibt diesmal auch ein Residenzorchester. Programmatisch schließe ich gewissermaßen den Kreis, den ich mit meinem ersten Programm im Jahr 2017 eröffnet habe. Viele Künstlerinnen und Künstler, die hier in den vergangenen Jahren begeistert haben, werden dabei sein.
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