Schwetzingen/Mannheim/Heidelberg. Nachdem wir in der Ausgabe vom Donnerstag auf die Reisen von Kurfürst Carl Theodor eingegangen sind und schilderten, wie gefährlich Kutschfahrten sein konnten, wollen wir jetzt einen Blick auf die Droschken an sich werfen: Eine Chaise war ursprünglich ein Stuhlwagen, also ein leichter, offener Zweisitzer ohne Türen, zwei- oder vierrädrig. Im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg steht so ein Exemplar, das in Mannheim um 1750 in der Werkstatt von Franz Zeller und Augustin Egel gebaut wurde. Es folgt dem Typus einer offenen, muschelförmigen Chaise, welche man für die Jagd oder das Carousel benutzte.
Sie konnte zwei- und vierspännig gefahren werden. Der Kutschersitz ist erhöht und mit vergoldeten Rocaillen geschmückt. In den ausgesparten Kartuschen befinden sich mythologische Gemälde. Sie zeigen Venus und Amor sowie Diana mit der Mondsichel, welche den schlafenden Endymion küsst. Der Wagenkasten zeigt vorne die Initialen CT für Kurfürst Carl Theodor, ein Beleg dafür, dass der Wagen persönlich vom pfälzischen Kurfürsten benutzt wurde. Er ist wie der ganze Wagen rot gefasst und mit vergoldeten, geschnitzten Rocaillen verziert. Hinten finden sich zwei Trittbretter, auf denen die Lakaien standen.
Die Chaise des Kurfürsten Carl Theodor
Die Bilder auf dem Wagen stammen aus dem Diana-Mythos. Sie zeigen Diana mit Hunden, Pfeil und Bogen, wie sie sich über einen am Boden liegenden Jüngling in Rüstung beugt. Auf dem zweiten Gemälde ist eine Frau dargestellt, welche schützend ihre Arme über ihre beiden Kindern ausbreitet. Da die Szene an einem Bach spielt, auf dessen gegenüberliegendem Ufer ein alter Mann zu sehen ist, könnte Latona mit ihren Kindern Apoll und Diana gemeint sein. An der Jagd-Chaise sind die gut erhaltenen, noch immer funktionsfähigen Holzfedern (Resorts de bois) bemerkenswert, die als bruchsicher galten. Gerade im unwegsamen Jagdgelände stand Carl Theodor so ein ausgesucht fahrtauglicher Wagen zur Verfügung.
Parforce-Jagd und die Rolle der Damen
Der Kurfürst konnte so sehr komfortabel zum Jagdort gefahren werden, etwa nach Neckargemünd, dem Dilsberg, dem Jagdstern im Schwetzinger Haardtwald oder ins Käfertaler Jagdgebiet. Carl Theodor führte nach französischem Vorbild die Parforce-Jagd in der Kurpfalz ein. Dabei hetzte man zu Pferde mit einer Hundemeute einen Hirsch.
Da der Kurfürst später zu Schwindelanfällen neigte und des Öfteren vom Pferde fiel, wäre es denkbar, dass er die Jagd aus diesem Wagen heraus begleitete. Solches tat auch die berühmte Liselotte von der Pfalz, die wegen ihrer Leibesfülle in späteren Jahren ihren Schwager, den Sonnenkönig Ludwig XIV. in einem Jagdwagen auf die von ihr sehr geliebte Jagd begleitete. Dass gerade Damen solche Gefährte benutzten, belegt eine Porzellangruppe der Nymphenburger Porzellanmanufaktur, die das zeigt.
Das beliebte Carousel
Ein anderes beliebtes Spiel der höfischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war das sogenannte Carousel, das sich besonders in Bayern und Österreich größter Beliebtheit erfreute. Dabei lenkten Kavaliere zur Musik einer Quadrille nach den Regeln von Geschicklichkeitswettbewerben den mit Hofdamen besetzten Carousel-Wagen. Es galt dabei, mit Lanzen, Degen oder Pistolen die aufgestellten „Mohrenköpfe“ oder beweglich hängenden Ringe zu treffen.
Durch die neueste Forschung von Rudolf H. Wackernagel für die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen konnte eine sehr qualitätsvolle Gala-Berline eindeutig Kurfürst Carl Theodor zugeschrieben werden. Sie steht in München im Marstallmuseum von Schloss Nymphenburg. Bisher galt die Kutsche als Brautwagen der sächsischen Prinzessin Maria Anna, Gemahlin des Kurfürsten Max III. Joseph (regierte 1745-1777). Durch ein bisher nicht beachtetes „Inventarum über die in Mannheim vorfindlichen Kutschen, Kutschengeräthschaften, Schlittenzeuge, Reitsättel“ vom 8. November 1794 konnte die in späteren Inventaren als „roter Pariser Wagen“ bezeichnete Kutsche einwandfrei dem Mannheimer Fuhrpark zugeordnet werden.
Die Berline und ihre Geschichte
Der Wagen Carl Theodors, der zu einem unbekannten Zeitpunkt mit weiteren 15 pfälzischen Kutschen nach München überführt wurde, zählte im 19. Jahrhundert zu den sechs ranghöchsten bayerischen „Staats- und Gala-Wägen“. Er wurde in den Inventaren direkt nach dem Krönungswagen Kaiser Karls VII. aufgeführt.
Der Wagentypus der Berline ist keine Berliner Erfindung, der Name leitet sich von „Berlingue“ als niederes Grubenfahrzeug ab. Eine Berline ist ein leichter viersitziger geschlossener Wagen, dessen Wagenkasten auf Lederriemen (Soupentes) über zwei Langbäumen (Brancards) lagert, was die Berline bequem und fahrsicher macht. Die horizontalen Lederriemen können mittels einer Zahnradwinde (Cric) nachgespannt werden. Die Berline löste ab 1750 die schwere, über einen Langbaum an Hängriemen gehängte Karosse als höfischen Gala-Wagen ab.
Die kunstvolle Gestaltung der Berline
Dem Schnitzdekor aus Rocaille-Kartuschen und Weißdornranken nach lässt sich der Wagen stilistisch um 1747/50 datieren. Sie entstand wahrscheinlich in der königlichen Manufaktur der „Gobelins“ in Paris. 1758 erfolgte eine Neuvergoldung und die neun Paneel-Gemälde wurden verändert. Erst danach wurde sie vom pfälzischen Hof erworben. In Paris wurden oft gebrauchte Kutschen überarbeitet und in einem wöchentlichen Anzeigenblatt angeboten und oft an deutsche Höfe verkauft. So war der Krönungswagen von Kaiser Karl VII. für den Comte de Toulouse, einen legitimierten unehelichen Sohn des Sonnenkönigs, gefertigt worden.
Das genaue Datum der Umarbeitung lässt sich auf 1758 festlegen, da das Gemälde auf der Wagenrückwand nach einem seitenverkehrten Kupferstich eine Supraporte von Francois Boucher wiedergibt. Die Familie Martin waren berühmte Lackierer, die einen speziellen Lack erfanden, der einen porzellanähnlichen Schimmer aufwies. Sie verschönerten das Appartement des Dauphin und der Dauphine in Versailles. Die allegorisch weitgehend neutralen Themen könnten verkaufsfördernd gewirkt haben, gleichzeitig schließen sie aber die Verwendung als Leibkutsche des pfälzischen Kurfürsten aus, da sämtliche Embleme und Wappen fehlen.
Der geblümte rote Seidensamt weist reiche Goldstickereien auf und wurde wahrscheinlich in Lyon gewebt. Der Stoff fand Verwendung für die Bockdecke und der gesamte Innenbereich des Wagenkastens samt Decke wurde damit verkleidet. Die Vorhänge dienten im 18. Jahrhundert nicht nur als Sonnenschutz, sondern schützten die Kutschenrückwand vor dem Puderstaub der Perücken.
Der Park-Phaeton und seine Herkunft
Ein Phaeton ist ein kurzer, niederer, offener Vierrad-Wagen, der meist nur im Garten gebraucht wurde. Dies belegt ein Gemälde von Bernado Bellotto (Canaletto) im Schloss Nymphenburg. Es zeigt Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz mit seinem bayerischen Verwandten Kurfürst Max III. Joseph an einem Wasserbassin im Park. Außer prächtigen venezianischen Gondeln fallen die Parkwagen auf. Diese sehen aus wie prächtige zweisitzige Sofas, die man auf Wagen gestellt hat. Eine bequemere Weiterentwicklung stellt der Park-Phaeton von Kurfürst Carl Theodor dar.
Sein Wagenkasten in Cabriolet-Form ist auf einen Sessel reduziert, der mit rotledernen Hängeriemen zwischen zwei eisernen Brancards lagert. Die Wagenfarbe war ursprünglich Hellgrün mit vergoldeten, geschnitzten Voluten und Blattauflagen. Der mit grünem Saffian-Leder gepolsterte Sessel besitzt Wandungen aus Peddigrohrgeflecht mit gepolsterten Armlehnen. Dieses Material ist typisch für die betont ländliche Ausstattung der kurpfälzischen Sommerresidenz Schwetzingen. So finden sich im Inventar von 1775 für das Schlafzimmer Carl Theodors folgender Eintrag: „Ein Cannapée mit spanisch Rohr geflochten nebst Kissen zum Sitzen und rücklehn; sechs mit spanisch Rohr geflochtene Sessel samt der gleichen Kissen wie das Bett.“
So ist die Provenienz des Park-Phaetons eindeutig auf Carl Theodor und den ehemaligen Standort Schloss Schwetzingen zurückzuführen. Auf die Herkunft des eleganten Park-Wagens aus England verweist die große Ähnlichkeit mit dem nachfolgenden, gesichert aus England stammenden Gartenwägelchen. Und das wurde ja bekanntlich für die Ausstellung im städtischen Museum Karl-Wörn-Haus eigens nachgebaut und ist dort zu besichtigen.
Mechanische Gartenwagen und ihre Bedeutung
Schon 1649 fertigte der Mechaniker Johann Hautsch und 1656 der schwerbehinderte Uhrmacher Stephan Farfler in Nürnberg jeweils einen mechanisch angetriebenen „Kunstwagen“. Diese Kuriosa fanden gerade am bayerischen Hof großes Interesse. So findet sich schon 1675 ein Inventareintrag über ein „Gütschl, so durch drey Wündten ohne Pferd über Land zu treiben“ des Kurfürsten Ferdinand Maria. Im 18. Jahrhundert wurden diese Erfindungen in England verfeinert. Der bayerische Wagenbauer Johann Christian Ginzrot zeichnet 1817 „ein mechanisches Gartenwäglein“. Er berichtet, dass die „neue Maschine, die ohne Pferde geht“ eine Erfindung des „Herrn Ovenden, englischer Mechanikus, wohnhaft in London“ sei.
1761 wird dessen Tretmaschine im „Universal Magazin“ abgebildet, ein wichtiges Journal des frühindustriellen Englands. Daraus entnahm auch Ginzrot seinen Kupferstich. Ein hinter dem Sitz stehender Lakai hatte dabei die Pedale zu treten, ähnlich wie früher bei der Luftzufuhr einer Kirchenorgel. Damit wurde ein Mechanismus in Gang gesetzt, der direkt die Hinterachse antrieb. Das Gefährt konnte eine Geschwindigkeit von bis zu 16 Stundenkilometer erreichen. Das „einsitzige, mit Rohr geflochtene Gartenwägerl“ scheint vom gleichen Stuhlmacher gefertigt worden zu sein und nicht wie üblich von einem Wagenbauer. Auch hier wurde ein Rohrgeflecht-Sessel mit grüner Lederpolsterung verwendet.
Der Einfluss englischer Technik auf Carl Theodor
Da dieses Material oft für die persönlichen Möbel Carl Theodors genommen wurde, kann man davon ausgehen, dass beide Wagen so in England bestellt wurden. Die mit Stahlfedern verlängerten Sesselbeine wurden vom Wagenschmied „Jackman London“ gestempelt. Auf den ehemals hellgrün lackierten Gestellprofilen hat sich eine feine Dekormalerei erhalten. An der Rücklehne befindet sich eine vergoldete Halterung für „einen eisernen Bogen, ein Wagendach zu befestigen“ – als Sonnenschutz. Der schmiedeeiserne Lenkbügel ist einzigartig, denn auf den erhaltenen Kupferstichen wird immer die traditionelle Zügelführung, also wie bei Pferden, wiedergegeben.
Der badische Forstmeister Karl Friedrich von Drais (1785-1851) erinnerte sich, dass „zu des seeligen Carl Theodors Zeiten im Schlosspark zu Schwetzingen eine solche Maschine existiert hat, welche durch eine Person von hinten getreten, und durch das Treten mit einer vorne in derselben sitzenden zweiten Person fortgefahren werden konnte“. Drais hat zwar nicht mehr persönlich den Kurfürsten in seiner Sommerresidenz mit dem Gartenwagen fahren sehen, dazu war er zu jung, aber scheinbar war das Phänomen der pferdelosen Kutsche für die Menschen im späten 18. Jahrhundert so überwältigend, dass man sich noch lange davon erzählte. Immerhin regte Drais diese Erzählung dazu an, ein Laufrad zu erfinden und damit erstmals öffentlich von Mannheim nach Schwetzingen zu radeln.
Die beiden Gartenwagen wurden im Mannheimer Inventar von 1794 zusammen mit drei weiteren älteren „Gartenwägen und Cariols“ aufgelistet und sind erst 1799 nach München überführt worden. Mit beiden Gartenwagen konnte Carl Theodor alleine kutschieren und brauchte keinem Kutscher Anweisungen zu erteilen. Das entsprach dem Naturell des pfälzischen Kurfürsten, der sehr gerne alleine im Schlosspark spazieren ging, wenig sprach und von melancholischer Grundstimmung war. Er liebte die Einsamkeit und wurde auch einmal bei seinem morgendlichen Spaziergang im Schwetzinger Park von einer Räuberbande ausgeplündert.
Der Fahrzeugimport aus England bestätigt das breite Interesse des anglophilen pfälzischen Kurfürsten. So sprach Carl Theodor englisch, las Shakespeare und den Ossian im Original und kaufte auch bei der berühmten Firma von Josia Wedgewood Vasen für sein Schlafzimmer im Badhaus des Schwetzinger Gartens. Gerade der Gartenwagen mit der Tretmaschinerie ist ein bedeutendes technisches Zeugnis des im späten 18. Jahrhunderts experimentierfreudigen englischen Wagenbaus. An keinem anderen Fürstenhof Europas lässt sich ein solcher Wagen mit Trittmechanik heute noch nachweisen.
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