Im Interview

Vergänglichkeit und Freude bei den SWR Festspielen in Schwetzingen

Die Schwetzinger SWR Festspiele starten nach der Pandemie mit dem Motto "Vanitas" durch. Leiterin Heike Hoffmann gibt einen Einblick in das Programm.

Von 
Jürgen Gruler
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Die künstlerische Leiterin der SWR Festspiele Heike Hoffmann. Sie leitet noch dieses und nächstes Jahr das große Radio-Klassik-Festival. © SWR/Elmar Wittig

Schwetzingen. Die Schwetzinger SWR Festspiele sind ganz gut über die Pandemie gekommen. Die kleineren Ausgaben im Herbst 2020 und 2021 haben sie in den Köpfen der Klassikfans gehalten. Jetzt starten sie mit dem Motto „Vanitas“ durch – und sorgen damit künstlerisch für Pandemieaufarbeitung. Wir sind im Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Heike Hoffmann.

Mit dem Titel „Vanitas“ greifen Sie ja die düsteren Seiten in der Musik auf. Wie verkaufen sich die Tickets für die „Vergänglichkeit“ bisher?

Heike Hoffmann: Unser Vorverkauf läuft seit dem 6. Dezember und wir sind jetzt schon bei mehr als 50 Prozent verkaufter Karten. Wir spüren deutlich, dass die Pandemie hinter uns liegt und die Menschen wieder Lust und Vertrauen haben, auszugehen und Konzerte oder Opernvorstellungen zu besuchen. Auch wenn wir noch nicht ganz das Niveau aus früheren Zeiten erreicht haben, ist es viel besser als im vergangenen Jahr um diese Zeit, als Corona noch für deutlich stärkere Kaufzurückhaltung gesorgt hatte. Wir sind also sehr optimistisch, dass unsere Künstler im Frühjahr vor vollen Sälen auftreten werden. Und ja, es geht um ein ernstes Thema, die Vergänglichkeit, aber natürlich auch um das Gegenteil, die Freude am Hier und Jetzt.

Das Tetzlaff Quartett – als Residenzkünstler der Schwetzinger Festspiele sind die Musikerinnen und Musiker gleich bei mehreren Konzerten zu erleben. © SWR/Giorgia

Im Programmheft für die Festspiele zeigen Sie sich überrascht darüber, wie viele Komponisten sich des Themas angenommen haben. Welche Schätzchen haben Sie in der Musikliteratur zu „Vanitas“ entdeckt?

Hoffmann: Ja, in der Tat war ich bei meinen Recherchen überrascht, wie lohnend sich das Thema erwies und wie bereitwillig die Künstler sich darauf eingelassen haben. Mit Christoph Prégardien und Udo Samel zum Beispiel haben wir ein Lied-Poesie-Programm zusammengestellt, das verschiedene Aspekte der Vergänglichkeit anhand von Goethe-Texten beleuchtet. Aus dem Material hätte man leicht drei Abende machen können. Oder das italienische Ensemble Concerto de’Cavallieri mit seinem Leiter Marcello Di Lisa: Die Ideen flogen nur so hin und her, bis wir schließlich ein Programm finalisiert haben, das mit Werken von Vivaldi, Scarlatti und Händel drei Momente von „Vanitas“ beleuchtet: Prahlerei, Erkenntnis, vergebliches Verlangen. Dann kam die Solistin Dorothee Mields dazu und brachte mit Bach und Telemann auch noch die deutsche, lutheranische Sicht ein. So entstanden eigentlich fast alle Programme in engem Austausch mit den Künstlern.

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Gleich vier szenische Aufführungen erwarten uns 2023. Was ist bei all der Vielfalt Ihr Favorit?

Hoffmann: Das ist eine Frage, die ich so gar nicht beantworten kann. Keine der Produktionen würde ich der anderen vorziehen, weil jede ihre künstlerische Spezifik, ihre Geschichte und besonderen Herausforderungen hat. Lohnend sind sie alle! Die Uraufführungsoper „Im Dickicht“ von Isabel Mundry und Händl Klaus hat sicher die komplizierteste Genese hinter sich, weil sie eigentlich für 2021 vorgesehen und dann pandemiebedingt abgesagt worden war. Es war für alle Beteiligten nicht einfach, die positive Energie über einen so langen Zeitraum zu halten. Ganz besonders dankbar bin ich dem Staatstheater Mainz, unserem Koproduktionspartner, der wirklich alles möglich gemacht hat, um die Oper 2023 mit uns gemeinsam zu realisieren. Damit eröffnen wir die Festspiele. Dann kommen zwei Gastspiele. Aus Paris das Ensemble Correspondences, das sich gemeinsam mit seinem Leiter Sébastien Daucier eines nahezu vergessenen Genres angenommen hat, der „Masque“. Eine Theaterform aus dem England des 17. Jahrhunderts, gewissermaßen ein Vorläufer der Oper. Die Geschichte stammt aus der Mythologie: Die Götter Amor und Tod vertauschen versehentlich ihre Bögen und Chaos bricht aus, die Welt gerät aus den Fugen, bis schließlich Merkur für Ordnung sorgt. Diese Parabel ist musikalisch und szenisch sehr fantasievoll umgesetzt und wirklich ein großes Vergnügen, aber nicht ohne tieferen Sinn. Familien mit Kindern laden wir ins Rokokotheater ein zu „Meeresgeflüster“, einem Programm mit Klaviermusik und Videoinstallation, das den jungen Besuchern Musik von Claude Debussy nahebringt und gleichzeitig ohne erhobenen Zeigefinger die Bedrohung unserer Natur thematisiert.

Und last but not least gibt’s eine Wiederentdeckung aus dem 18. Jahrhundert, die Zauberoper „Zemira e Azor“ von André-Ernest-Modeste Grétry…

Infos und Tickets

Alle Informationen und das Programmheft gibt es im Internet unter www.schwetzinger-swr-festspiele.de. Der Programmflyer und das Programmheft sind auch im Kundenforum unserer Zeitung in Schwetzingen zu kriegen.

Tickets gibt’s im Vorverkauf im SZ-Kundenforum oder unter Telefon 07221/30 01 00 (Montag bis Freitag von 10 bis 16 Uhr. Resttickets auch an der Tageskasse eine Stunde vor Beginn.

. . . eine Zusammenarbeit mit den Nationaltheater Mannheim. Wie kam es dazu und was erwartet uns?

Hoffmann: Ja, diese Zusammenarbeit ist eine Premiere – und ich freue mich sehr, dass Albrecht Puhlmann sich darauf eingelassen hat. Wie es dazu kam? Ich war auf der Suche nach einem Koproduzenten für diese vor 250 Jahren sehr populäre Oper. Der Stoff ähnelt der bekannten Geschichte von der Schönen und dem Biest. Der verwunschene Prinz wird erlöst durch die Liebe. Das Werk gehört ja in die lokale Operngeschichte – es wurde 1776 äußerst erfolgreich am Hof Carl Theodors aufgeführt – und ich hatte mir vorgenommen, es gemeinsam mit der renommierten Akademie für Alte Musik und in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Hofmusik Schwetzingen wieder auf die Bühne zu bringen. Albrecht Puhlmann wiederum suchte Ausweichspielstätten für die Zeit der Renovierung seines Hauses und so kamen wir ins Gespräch. Statt uns nur über die Koordinierung von Zeiten im Rokokotheater zu einigen, haben wir dann kurzerhand beschlossen, diese Produktion gemeinsam zu machen. Der Sängercast kommt vom Nationaltheater und musikalisch geleitet wird die Produktion von Bernhard Forck, dem Konzertmeister der Akademie für Alte Musik Berlin, der bereits mehrfach am NTM gearbeitet hat. Auch auf den Regisseur Nigel Lowery haben wir uns schnell verständigen können. Lowery macht auch die Ausstattung und nach den Entwürfen, die wir bisher gesehen haben, wird das eine ganz zauberhafte Arbeit, passgenau zugeschnitten auf den Aufführungsort.

Bei den Streichquartetten fahren Sie diesmal wieder das Who ’s who der Szene auf. Sind dafür die Bedingungen hier besonders gut?

Hoffmann: Die Streichquartett-Matineen habe ich 2017, als ich in Schwetzingen anfing, ins Leben gerufen, weil es international so viele großartige Quartettformationen gibt und gerade auch junge Musiker und Musikerinnen sich dieser Gattung verschreiben. Man könnte wirklich von einer Renaissance des Genres sprechen. Mit den Quartetten, die wir in diesem Jahr erwarten, arbeite ich schon viele Jahre zusammen und bin glücklich, dass sie Schwetzingen wieder in ihrem Terminkalender unterbringen konnten. Das setzt langfristige Planung voraus, aber tatsächlich kommen sie alle gern wieder, weil die Atmosphäre im voll besetzten Mozartsaal so einmalig ist. Und was gibt es Schöneres, als nach einem hochkonzentrierten Musikgenuss am Vormittag in den blühenden Garten hinauszutreten und die Musik bei einem Spaziergang nachklingen zu lassen?

Christian Poltèra ist mit drei Konzerten vor Ort. Er gilt derzeit als einer der weltweit besten Musiker am Violoncello und ist einer der Residenzkünstler. © SWR/Irène Zandel

Es gibt auch wieder einen Nachmittag im Schlossgarten, der ist aber diesmal anders als sonst?

Hoffmann: Ich habe die Chance genutzt, die sich durch den Pausentag zwischen den beiden Aufführungen von „Zemira e Azor“ ergeben hat und die Akademie für Alte Musik um ein Programm gebeten, in dessen Zentrum die „Gran Partita“ von Mozart steht, eines meiner Lieblingswerke, das aber herausragende Bläser an allen Pulten erfordert, die man selten so zusammenbekommt. Und für dieses exquisite Programm haben wir einen ebenso besonderen Aufführungsort gewählt, nämlich das Heckentheater am Fuß des Apollo-Tempels. Da es spezifische Auflagen seitens der Schlossverwaltung gibt, können wir nur eine begrenzte Anzahl von Tickets anbieten, aber ich denke, in den umliegenden Zugangswegen werden sich noch einige Stehplätze für die finden, die kein Ticket ergattern konnten. Im Anschluss wird die Schlossgastronomie „Theodors“ ein kulinarisches Angebot vor Ort machen, sodass man den Abend bei hoffentlich schönem Wetter genussvoll ausklingen lassen kann.

Wird Ketsch das neue Speyer als Spielort? Was erwartet die Besucher bei der Premiere in der Kirche?

Hoffmann: Wir sind erstmals in der Kulturkirche in Ketsch zu Gast – die Initiative zur Zusammenarbeit kam übrigens von den dortigen Verantwortlichen. Wir haben das Schweizer Ensemble Voces Suaves zu Gast mit einem eigens zum Festspielmotto konzipierten Programm mit Musik aus dem 17. Jahrhundert – unter anderem von Monteverdi und Carissimi. Von Letzterem etwa das Oratorium über die Geschichte des alttestamentarischen Heerführers Jephte. Ein großartiges, aufwühlendes Werk, für das eine Kirche der angemessene Aufführungsort ist.

Wie hat sich der Festspielbetrieb durch Corona und die Zeitenwende verändert?

Hoffmann: Es ist alles etwas komplizierter geworden und die Verunsicherungen sind auf allen Seiten spürbar. Die Künstler arbeiten immer noch die Pandemiejahre ab und jonglieren mit verschobenen Terminen. Das Publikum entscheidet sich deutlich später und spontaner, als wir das kannten. Wie alle Kulturveranstalter haben wir Mühe, Mitarbeiter etwa im Bereich Technik zu finden, weil vielen Freiberuflern während der Pandemie die Arbeitsmöglichkeiten weggebrochen sind und sie sich unter diesem Druck beruflich umorientiert haben und einfach nicht mehr zur Verfügung stehen. Und die Kosten steigen ja überall, das geht auch an uns nicht vorüber. Aber wir sind guten Mutes und freuen uns jetzt – in der intensiven Vorbereitungsphase – schon auf den Frühling in Schwetzingen.

Chefredaktion Jürgen Gruler ist Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung.

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