Schwetzingen. Tobias Reitz gehört zu den bekanntesten Schlagertextern in Deutschland. Für Helene Fischer oder Roland Kaiser schrieb er Hits. Beim Lions Club Schwetzingen erzählte Reitz, wie lange es braucht, um ein Album fertigzustellen, was die Botschaft des deutschen Schlagers ist, was ein Schlager mit einem Kleid zu tun hat und welche Rolle die Künstliche Intelligenz für den Liedtexter spielt.
Es ist die Flucht aus der Welt der Präzision und der Perfektion. Sie bestimmen unseren Alltag, sind wesentlicher Bestandteil der Arbeitswelt. Das Streben danach macht den Menschen krank. Der Schlager soll den Alltag des Menschen daher verschönern. Für Tobias Reitz ist der Schlager deshalb Trost. „Und zwar für Menschen, die es im Leben nicht immer leicht haben.“
Der deutsche Schlager ist eine eigene Welt. Musikwissenschaftlich gesehen gibt es keine eindeutige Definition von Schlager. Der deutsche Schlager ist sozusagen der Vorreiter. Er war vor den Musik-Genres Pop, Rock, Blues, Hip-Hop da. Der deutsche Schlager überlebte auch diese Genres. Mal mit einer größeren Delle, mal mit einer kleineren. Der deutsche Schlager hebt sich seit Jahrzehnten durch zwei markante Merkmale hervor: seine Melodie und seine Deutschsprachigkeit.
Tobias Reitz gehört zu den erfolgreichsten deutschen Schlagertextern. Er schrieb 1200 Texte – unter anderem für Helene Fischer, Florian Silbereisen, Roland Kaiser, Angelika Milster, Patrick Lindner, Anna-Maria Zimmermann, Mirelle Mathieu, Andreas Berg, Stefanie Hertel, die Flippers oder Fernando Express. Nun war der 44 Jahre alte Reitz zu Gast beim Lions Club Schwetzingen. Dabei gab er Einblicke in die Welt des Schlagers und hinter die Kulissen.
Schlagertexter in Schwetzingen: Ein Text ist wie eine Klamotte
Schlagertexter sind laut Reitz eine Inselspezies. „Unsere Rudeltreffen sind Record-Release-Partys oder die GEMA-Jahreshauptversammlung“, so Reitz. Er erntet ungläubige Blicke auf Partys, wenn er sagt, er sei Schlagertexter. Denn für die einen sind Schlager Volksverdummung, für andere der Glaube, die Flucht in die Welt der Sehnsüchte. Es ist die Sehnsucht nach erfüllter Liebe, nach einer besseren Welt, nach Eskapismus, nach Erhörtem. „Ich war noch niemals in New York“ von Udo Jürgens ist ein typischer Schlager für Eskapismus, also die Flucht von der Realität in die Illusion. In Johanna von Koczians Schlager: „Das bisschen Haushalt“ geht es laut Reitz nicht um Liebe, sondern um die Sehnsucht der Anerkennung, der Selbstbestimmung einer Frau. „Und das mit ironischen Mitteln. Das ist untypisch für den Schlager“, sagt Reitz.
Tobias Reitz ist ein Schwergewicht unter den deutschen Schlagertextern. Für die Zusammenarbeit mit Helene Fischer erhielt er Gold- und Platin-Auszeichnungen. Er ist Vorsitzender des Deutschen Textdichterverbandes, Mitglied der Akademie Deutscher Musikautoren, Mitglied im Aufsichtsrat der GEMA sowie einer der Gründer des Düsseldorfer Improvisationstheaters Phönixallee. Seit seiner Jugend hat er ein Faible für den Schlager. In Schwetzingen erzählte er von Schwierigkeiten, auf dem Schulhof die Flippers zu hören, von seinen Anfängen, Rückschlägen und Sternstunden. 2001 besuchte Reitz, der Germanistik und Musikwissenschaften studierte, die Celler Schule. Seit 2002 leitet er diese. Die Celler Schule ist so etwas wie eine Kaderschmiede für deutsche Schlagertexter. Dort lernen jährlich zehn von 100 Bewerbern das Handwerkzeug. „Jeder Mensch, den du triffst, kämpft einen Kampf, von dem du überhaupt nichts weißt, also sei freundlich – immer. Das ist die Aufgabe des Schlagertexters“, sagt Reitz.
Empathie ist der wesentlichste Bestandteil der Texte. Aufzuzeigen, was Menschen fühlen, was sie denken, soll in tröstenden Texten artikuliert und schließlich vertont werden. „Die Themen waren schon immer da, man wird auch in 500 Jahren über sie singen, weil Liebe, Sehnsucht mit ihren Licht- und Schattenseiten wesentlich und erzählenswert bleiben“, sagt Reitz. Ein Schlagertexter hat sich einen Text wie eine Klamotte vorzustellen. „Zieh der Frau ein Kleid an, in dem sie sich wirklich gefällt, und das ihre guten Seiten betont. Mache es für die Leute zu einer Freude, sich das Kleid anzusehen und frage dich sorgfältig, ob er Kerl nach seiner eigenen Wahrnehmung eher in eine Jeans, einen Anzug oder eine Lederhose gehört. Ja, und seid ihr dann einer Meinung?“, erläutert Reitz die Herangehensweise, die Maxime für einen Schlagertexter.
Helene Fischers „Fehlerfrei“ am erfolgreichsten
Tobias Reitz’ erfolgreichster Schlagertext war „Fehlerfrei“ von Helene Fischer. Mit ihr hat er 23 Songs gemeinsam erstellt. Über 30 Millionen Mal wurde der Hit „Fehlerfrei“ in den Streamingdiensten abgerufen. In der Schlagerwelt singen die Fans dieses Lied wie selbstverständlich, doch nur wenige wissen, wer der Vater dieser Zeilen ist. Die Schlagertexter arbeiten und bewegen sich im Hintergrund. Sie tragen mit ihren Texten dazu bei, dass die Künstler strahlen, dass sie Ausflüchte in die Welt der Sehnsüchte möglichst perfekt und authentisch auf die Bühne bringen. 13 Textversionen gab es bei „Fehlerfrei“, sagt Reitz. Er habe sechs davon geschrieben. Die Zeile „Wir feiern die Schwächen“ habe dazu geführt, dass er den Zuschlag bekam.
Das Geschäft ist hart. Die Schlagertexter treten erst einmal in Vorleistung. Sie schreiben einen Text und müssen dann hoffen. Hoffen, dass der Künstler den Daumen hebt. Ist das der Fall, geht es in die Feinarbeit. Denn selten ist die erste Version auch die Endfassung. Zwischen sechs Monaten und zwei Jahre dauert es, bis ein Album fertig ist. Zwei Jahre – und länger – dauert es auch, bis die Schlagertexter ihr Geld von der GEMA bekommen. Das ist eine der Einnahmequellen. Eine andere sind die Vergütungen der Streamingdienstabrufe. Allerdings wird ein Künstler davon nicht reich. „Für 116 000 Streamingabrufe bekam ich vor Jahren 1,28 Euro, heute sind es 2 bis 3 Euro“, sagt Reitz. Es kommt selten vor, dass ein Schlagertexter von einem Lied Unmengen an Geld verdient.
Vortrag in Schwetzingen: Was KI für Schlagertexte bedeutet
Hinzu kommt nun noch die Künstliche Intelligenz (KI). Sie ist Konkurrenz, Hilfsmittel und Ergänzung zugleich, räumt Reitz ein, stellt aber auch klar: „Sie ist momentan ein Angstmacher, ein Schreckgespenst. ChatGPT ist aber noch nicht gut. Es kommen nur Sammelsurien aus Versatzstücken heraus“, so Reitz und erzählt von einem Selbstversuch: Er ließ von der KI einen Nachruf auf sich schreiben. Der war jedoch nicht prickelnd. „Eine Stunde später fragte ich die KI: Wer ist Tobias Reitz?“ – Er war ein deutscher Schlagertexter, spukte die KI aus. „Eine Stunde hat es gebraucht, tot zu sein“, sagt Reitz scherzh aft. Der Schlager ist ein Musikgenre für die Ewigkeit. Denn die Menschen werden immer die Sehnsucht haben, aus der Wirklichkeit flüchten zu wollen.
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