Speyer. Zu den Highlights der Speyerer Kult(o)urnacht zählten auch in diesem Jahr die Programmangebote der zwei UNESCO-Welterbestätten im Kaiserdom und im Judenhof mit seinem Museum SchPIRA. Schon beim ersten Auftritt des Heidelberger Klezmerquartetts war der Judenhof prall gefüllt. Die fünf Musiker, insofern eigentlich ein Quintett, verstehen es seit vielen Jahren, in der einbrechenden Dunkelheit an diesem stimmungsvollen Ort die Spielweise der alten Klezmorim aus Osteuropa wieder aufleben zu lassen. Die Besucher der Kult(o)urnacht wussten dieses musikalische Eintauchen in eine völlig andere Welt zu schätzen.
Guten Zulauf hatte auch Mack´s Kunstdepot im historischen Lagerhaus Strasser in der Gilgenstraße. In zwei Gruppenführungen gab Mareile F. Martin, Kuratorin des Kunstdepots, unter dem Stichwort „Offenbarungen“ Einblicke in das künstlerische Schaffen und die religiöse Verortung von Elisabeth Mack-Usselmann. Erstmalig wurden dort auch ein großer Wandteppich von Mack-Usselmann, eine neue Dauerleihgabe der Sparkasse, und der sogenannte „Berghäuser Bernhardszyklus“ präsentiert.
Stimmungsvoll wurde die Kult(o)urnacht im Hof der Heiliggeistkirche zelebriert. Mit Currywurst und Aperol-Bar des Speyerer Zimmertheaters konnten sich die Kulturflaneure dort auf gute Gespräche einlassen. In der Kirche präsentierten die Speyerer Liedermacherin Susanne Rees und ihre Band 30-minütige Kulturhäppchen mit eigenen Liedern, während in den benachbarten Brilliant Spaces/ Haus Trinitatis junge Talente der städtischen Musikschule das Publikum beeindruckten.
Das eigentliche Herz der Speyerer Kult(o)urnacht schlägt jedoch alljährlich im Kulturhof Flachsgasse. Das Kinder- und Jugendtheater, der Kunstverein, die Städtische Galerie und die Winkeldruckerey haben dort ihren Sitz. Viel Zuspruch erfuhren die beiden Handpressendrucker Remo Krembel und Johannes Doerr in ihrer Druckerwerkstatt. Ein Staunen war den Besuchern anzumerken, wenn die beiden ihre schon „historischen“ Druckmaschinen in Gang setzten, um das traditionelle Druckverfahren im Bleisatz vorzustellen. Bis Mitternacht liefen die Druckpressen in der Winkeldruckerey.
In der Städtischen Galerie war die große Retrospektive des Speyerer Künstlers Wolf Spitzer zu besuchen, im Kunstverein eine Künstlerinnenführung der derzeit ausstellenden Mannheimer Künstlerin Sonja Scherer zu erleben, ergänzt durch musikalische Beiträge der Cellistin Isabelle Eichenlaub. Im Alten Stadtsaal präsentierten die Theatergruppen Bissfest, Dicke Luft und Prisma Ausschnitte aus ihren aktuellen Produktionen.
Einen neuen Akzent setzte in diesem Jahr die DITIB Moschee im Kulturhof. Die türkische Gemeinde der Stadt feierte damit ihr Debüt im kulturellen Herzen von Speyer. Angeboten wurden türkischen Spezialitäten und ein Zeybek-Tanz, der zahlreiche Besucher in den Kulturhof lockte. Zum angekündigten Zeitpunkt, um 21 Uhr, waren jedoch keine Tänzer in Sicht. Sie steckten im Stau, hieß es, und es sei fraglich, ob sie überhaupt noch kommen könnten.
Eine Stunde später gab dann ein einzelner Zeybek-Tänzer dennoch sein Debüt vor der Städtischen Galerie, eindrucksvoll gewandet und mit ausdrucksstarker Choreographie. Der Zeybek ist ein traditioneller Männertanz aus der westlichen Türkei. Er wird mit langsamen stolzen Bewegungen getanzt, begleitet durch rhythmische Musik mit traditionellen Instrumenten.
Einige Einzelhandelsgeschäfte im Zentrum von Speyer nutzten die Gelegenheit, parallel zur Kult(o)urnacht ein Late-Night-Shopping anzubieten. Darüber waren am Abend geteilte Meinungen zu hören. Manche Kulturpuristen haderten mit dieser kommerziellen Erweiterung der Kult(o)urnacht. Zu sehen waren aber auch viele Passanten, die durch die Fußgängerzone schlenderten und die Angebote und Aktionen vor und in den Geschäften begrüßten. Nur ein Beispiel dazu: Mathias Münzenberger, Inhaber des Speyerer Teekontors in der Roßmarktstraße, hatte ein spanisches Gesangsduo vor seinem Laden positioniert und reichte den Passanten bei subtropischen Temperaturen kostenlos einen kühlen erfrischenden Früchtetee - ein durchaus gelungener Beitrag zur Kult(o)urnacht.
Von den sommerlichen Bedingungen profitieren die Besucher bei der Vereinigten VR-Bank Kur- und Rheinpfalz. Im mediterran angelegten Garten können sie an Stehtischen im Freien oder unter Sonnenschirmen, später stimmungsvoll illuminiert zwischen den markanten Gebäuden des Kreditinstituts hochkarätigen Coversongs lauschen.
Oli Dums, gefeierter Gesangskünstler und sein kongenialer Tastenmann Marcus Rutz-Lewandowski haben hier schon im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass manche Besucher weniger Kult(o)urnacht-Stationen als uprünglich geplant gesehen haben, weil sie so in den Bann der Coverversionen gezogen wurden, die das Duo in seinen Sets dargeboten hat.
Das Duo Leni und Lars alias Leni Hornbach und Lars Rogowski setzt im Wechsel mit den beiden Routiniers Kontrapunkte mit Balladen und Rocksongs mit Gitarrenbegleitung und vereinigt sich zum Finale zu einer mitreißenden Band samt Cajonbegleiter. Dazu bietet die am Abend eröffnete Ausstellung von Alena Steinlechner mit dem Titel „In Bewegung“ im Gebäude der Villa Körbling farbintensive Momentaufnahmen und Alltagsszenen, die viele Betrachter anziehen.
Kult(o)urnacht Speyer: Afrikanische Trommeln und Opernklänge zwischen den Kirchen
Ohne die Kirchen wäre die Speyerer Kult(o)urnacht nicht denkbar. Dabei werden in den Gotteshäusern durchaus unterschiedliche Akzente gesetzt, wie beim Flanieren zwischen evangelischen Kirchen und dem Kaiserdom deutlich wird. Vor der Gedächtniskirche wird die Nacht traditionell mit afrikanischen und südamerikanischen Trommelrhythmen eröffnet. Unterdessen feiert Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ im Alten Stadtsaal fröhliche Urständ.
Allerdings kommen die Mimen vom Speyerer Amateurtheater „Dicke Luft“ weitgehend ohne Wagner aus. Ihre Version des musikalischen Dramas nach einer Bearbeitung von Alexander Liegl und Gabriele Rothmüller liefert eine Verballhornung des schwergewichtigen Mythenstoffs, die rundum amüsiert. Göttervater Wotan streitet mit Gattin Fricka vor der Götterburg aus Pappschachteln mit einem Immobilienspekulanten, pilgert dann verdrießlich nach Nibelheim, um Alberich den Goldschatz abzuluchsen. Die Götterdämmerung ist unvermeidlich, und nach 20 Minuten ist das Ganze, angereichert mit umgedichteten Schlagermelodien, auch schon wieder vorbei.
Geistliche Gesänge unterstreichen sakrale Würde des Speyerer Doms mit festlicher Andacht
Da geht es im Dom musikalisch anders zur Sache. Während die Besucher vor dem Aufstieg zur 60 Meter hohen Aussichtsplattform wie gewohnt Schlange stehen, stimmt die 60-köpfige Seniorenkantorei unter der Leitung von Michael Marz und der Orgelbegleitung durch Frederic Beaupoil geistliche Gesänge an, die die sakrale Würde dieses Raums mit festlicher Andacht unterstreichen. Einmal mehr wird im Dom mit katholischer Unbeirrbarkeit demonstriert, dass auch ein Volksspektakel wie die Kult(o)urnacht kein Anlass sein muss, um kirchliches Selbstverständnis preiszugeben.
Auch mit den gregorianischen Gesängen der Schola Cantorum Saliensis unter der Leitung von Domkantor Joachim Weller empfiehlt sich der Dom nicht nur geografisch als Fluchtpunkt für Kulturinteressierte, die in dieser Nacht möglichst viele Stationen abklappern mögen. In der kühlen Kathedrale kann man vom Getriebe in der von Menschen überfüllten Innenstadt aufatmen. Dem dient auch das Spiel von Saxofonist Gary Fuhrmann, der die alten Hymnen improvisatorisch ausdeutet, wobei er den besonderen Raumklang im Dom auf raffinierte Weise zu nutzen versteht. Erinnerungen an den Auftritt des legendären Hilliard-Ensembles mit dem Saxofonisten Jan Garbarek vor einigen Jahren werden wach.
Swing Band aus pfälzischem Tabakdorf Harthausen lässt es in Dreifaltigkeitskirche krachen
In der protestantischen Dreifaltigkeitskirche begegnet man dem Unterhaltungscharakter der Kult(o)urnacht hingegen eher unerschrocken. Wartet der Posaunenchor Speyer unter der Leitung von Philipp Neidig noch mit einem traditionellen Repertoire aus Chorälen auf, so lässt es die Swing Band aus dem pfälzischen Tabakdorf Harthausen vor barocker Kulisse ordentlich krachen.
Mit Jazz, Latin und Swing vermitteln die Instrumentalisten unter der Leitung Thomas Denzingers ein rundum beschwingtes Lebensgefühl, das die Atmosphäre an diesem sommermilden Abend aufnimmt. Tobias Schuster verstärkt das Amateurensemble gesanglich, und wenn man anschließend wieder durch die Fußgängerzone streift, begleiten einen die Melodien von Count Basie, Glenn Miller oder Stevie Wonder noch lange durch die Nacht.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Neue Impulse reizen die Kult(o)urnacht-Besucher