Speyer. „Zukunft braucht Erinnerung“ lautet der Titel einer Gedenkveranstaltung, die in Speyer seit zehn Jahren zum Tag der Deutschen Einheit initiiert wird. Eine angemessene „Erinnerungs- und Gedenkkultur“ sei Zeichen für die politische Reife eines Landes, stellte der CDU-Landtagsabgeordnete Michael Wagner anlässlich der jüngsten Gedenkveranstaltung fest, bei der Ministerpräsident a. D. Bernhard Vogel abermals die politischen Grundlinien zog, die zur deutschen Vereinigung führten.
Diese halten aus Vogels Sicht Lehren für die Gegenwart und Zukunft bereit. Initiator der Veranstaltung sind der Verein Palatina-Klassik, dessen Geschäftsführer Michael Wagner ist, und die Stadt Speyer. Der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, der auch Ehrenbürger der Stadt Speyer ist, unterhielt sich am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit im Historischen Rathaus mit einem weiteren Ehrenbürger Speyers, dem Wirtschaftswissenschaftler Peter Eichhorn.
Bernhard Vogel zufolge waren der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl sowie der sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow und der frühere US-Präsident George Bush senior die wichtigsten politischen Akteure in der Vereinigung des östlichen mit dem westlichen Teil Deutschlands. Den entscheidenden Anstoß habe aber die „friedliche Revolution durch die Bevölkerung der DDR“ gegeben.
Die gegenwärtige innenpolitische Lage löse unterdessen große Besorgnisse aus. So berief sich Vogel auf demoskopische Ergebnisse, wonach ein Großteil der Deutschen mit der Arbeit der Ampelkoalition unzufrieden sei. Zu beobachten sei obendrein ein massiver Vertrauensverlust gegenüber den politisch Handelnden und den demokratischen Institutionen als solche. Währenddessen sei die rechtsextreme AfD auf dem Weg zur stärksten Partei.
Grundlegende Skepsis
Peter Eichhorn stieß in seinen Erinnerungen an die Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 auf den Eindruck einer grundlegenden Skepsis, den die deutsch-deutsche Vereinigung in den europäischen Nachbarländern hervorgerufen habe. Vor diesem Hintergrund sei es „einzigartig, dass uns das gelungen ist“. Dass Bundeskanzler Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher das Vertrauen der Verbündeten für den weiteren Gang der Ereignisse errungen hätten, sei aus heutiger Sicht „großartig“.
Auch Bernhard Vogel vertrat die Ansicht, die Wiedervereinigung sei „vorbildlich gelungen“. Nach den Tagen der Freude und der Begeisterung habe jedoch eine „trockene Ebene durchschritten“ werden müssen. Bis heute herrschten in den östlichen beziehungsweise westlichen Bundesländern ungleiche Verhältnisse. Ostdeutsche hätten Jahrzehnte lang „in einer anderen Welt gelebt“. Sie würden sich heute mitunter als „Bürger zweiter Klasse“ empfinden. Diese Asymmetrien auszugleichen, sei die Aufgabe gegenwärtiger und künftiger politischer Kräfte.
Zu ihnen gehören nach Einschätzung Peter Eichhorns auch der Abbau von Legalismus und Bürokratismus, die sich etwa lähmend auf die Wirtschaftskraft des Landes auswirkten. Als Aufgabe für kommende Generationen sah Eichhorn die Gestaltung einer konstruktiven Migrationspolitik. Im Kontrollverlust angesichts der Flüchtlingsströme fand auch Bernhard Vogel einen Ansatz zur Kritik an der Berliner Regierung: „Es werden die aktuellen Fragen nicht gelöst.“ Die Kontrolle über die Migration sei vornehmlich an den EU-Außengrenzen wiederherzustellen.
Bedrohliche Szenarien skizzierte Vogel auch mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten. Sollte Donald Trump oder ein „Mann seines Geistes“ gewählt werden, würde abermals die Position „America first – Amerika zuerst“ über das Prinzip der internationalen Verantwortung gestellt. Dies würde auch die Nato nicht unbeschadet überstehen, meinte Vogel, der es an dieser Stelle für angezeigt hielt, die Zustimmung zum demokratischen System grundsätzlich zu stärken: „Demokratie setzt Demokraten voraus.“ Menschen also, die nicht am Rand stünden, sondern sich für das Gemeinwesen engagierten. Das Grundgesetz und der wachsende Wohlstand hätten sich in den letzten Jahrzehnten als Voraussetzung für die Stabilität der demokratischen Ordnung erwiesen. Diese drohe angesichts der sinkenden Wirtschaftskraft ins Wanken zu geraten. Deutschland stehe vor großen Herausforderungen, räumte Vogel ein. Doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg seien kolossale Probleme gelöst worden, einschließlich des Wiederaufbaus des Landes und der Integration von elf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen.
Die Gedenkveranstaltung wurde musikalisch von einem Kammerensemble der Palatina-Klassik umrahmt. Auf dem Programm stand ein Satz aus dem Streichquartett F-Dur op. 96 von Antonin Dvorák. Nach dem zweiten Satz aus dem „Kaiserquartett“ von Joseph Haydn stimmten die Besucher in die Nationalhymne ein.
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