Zabrze. Auf dem Weg zum Dortmunder Flughafen richteten die Rhein-Neckar Löwen am Montag den Blick in die Zukunft. An diesem Dienstag (20.45 Uhr/live bei Dyn) sind die Bundesliga-Handballer schon wieder in der European League beim polnischen Erstligisten Gornik Zabrze gefordert. Doch natürlich war zuvor das Debakel beim TBV Lemgo Lippe noch einmal Thema. Und das aus gutem Grund: Denn das 25:33 war nicht nur eine Niederlage. Die Mannheimer wehrten sich in der Schlussphase kaum. Oder täuschte dieser Eindruck?
„Nein“, antwortet Trainer Sebastian Hinze, dem diese Form der Selbstaufgabe missfiel. Wie übrigens auch Jennifer Kettemann. „Von außen sah das so aus, als ob man sich seinem Schicksal ergeben hat“, sagt die Geschäftsführerin im Gespräch mit dieser Redaktion.
„Müssen anderes Gesicht zeigen“
Der Ton wird also schärfer beim zweifachen Deutschen Meister, den Stab komplett über dem Team brechen will Kettemann trotz der sich fortsetzenden Krise aber nicht: „Ich weiß genau, dass das nicht die Einstellung der Mannschaft ist.“
Seit Anfang Dezember - vom Pflichtsieg im Pokal beim Zweitligisten TuSEM Essen einmal abgesehen - haben die Löwen nicht mehr gewonnen, sich gegen die Abstiegskandidaten ThSV Eisenach und TVB Stuttgart blamiert und gegen den TBV Lemgo Lippe in zwei Partien einen Punkt geholt. Einmal reichte es nach zwischenzeitlicher Sieben-Tore-Führung zu einem Unentschieden, nach einem Fünf-Tore-Vorsprung folgte nun ein Debakel. In der Liga und im Pokal wurden die Löwen noch dazu vom SC Magdeburg zweimal vorgeführt.
Fest steht: Mit Gegnern wie dem SCM können sich die Mannheimer in dieser Saison nicht einmal ansatzweise messen. Für Stuttgart, Eisenach und Lemgo sollte es aber eigentlich reichen. Auch wenn Kettemann anführt, dass mit Halil Jaganjac seit Monaten eine fest eingeplante Stütze ausfällt und die Löwen zwischendurch „viele verletzte Leistungsträger“ zu beklagen gehabt hätten: „Und die, die einspringen müssen, sind einfach noch nicht so weit. Denen mache ich allerdings keinen Vorwurf. Dass sie sich entwickeln sollen, war genauso geplant. Es war nur nicht geplant, dass sie jetzt schon eine tragende Rolle spielen müssen.“ Soll heißen: Die Neuzugänge trifft keine Schuld. Oder zumindest wenig.
Am Dienstag bei Gornik Zabrze sind die Löwen trotz aller Probleme und des kurzfristigen Ausfalls von Spielmacher Juri Knorr (Knieprobleme) der klare Favorit. Anders als am Sonntag (15 Uhr), wenn vor 13 200 Zuschauern in der ausverkauften Mannheimer SAP Arena gegen das Topteam SG Flensburg-Handewitt die nächste Abreibung droht. So realistisch muss man angesichts der jüngsten Auftritte sein.
„Wir müssen schleunigst wieder dahin kommen, möglichst regelmäßig unser tatsächliches Leistungsvermögen abzurufen“, sagt Kettemann und fordert: „Es liegt auf der Hand, dass wir in diesen Spielen ein ganz anderes Gesicht zeigen müssen. Dies gilt aber auch ganz allgemein: Als Rhein-Neckar Löwen wollen wir eines immer sein: Eine Mannschaft, der man anmerkt, dass sie bereit ist, alles auf dem Feld zu lassen. Das war nun in Lemgo nicht der Fall - woran auch immer es gelegen hat. Ich kenne die Jungs und weiß, dass sie besser Handball spielen können und wollen.“
Stets wiederkehrendes Muster bei den Löwen
Mittlerweile lässt sich bei den Löwen allerdings ein Muster erkennen. Eine hohe Führung bedeutet im Prinzip nichts. Und Kleinigkeiten werfen die Mannschaft sofort aus der Bahn. Wenn es darum geht, Widerstände zu überwinden, zerfallen die Mannheimer. So auch geschehen und gesehen in Lemgo. Einer 13:8-Führung (20.) folgte ein 5:17-Lauf (49.). Aus dem Nichts. Unaufhaltsam ging es in Richtung Untergang. Kein Halt. Keine Orientierung. Kompletter Kontrollverlust.
Hinze ärgert sich, dass „wir überhaupt in diese Situation kommen“. Weil es für seine Mannschaft ja wirklich zu Beginn sehr gut aussah, ehe der erste Rückstand sie schon aus der Bahn warf. „Beim 18:20 ist die Wirkung des Resultats auf uns viel größer, als sie es bei einem Zwei-Tore-Rückstand sein dürfte. Wir haben dann einfach sehr viel Stress im Spiel“, sieht der Trainer eine um sich greifende Verunsicherung, die nur schwer abzulegen ist. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten schwindet in schlechten Phasen rasant, obwohl eigentlich nichts verloren ist. „Wir müssen uns bewusst machen, dass solch eine gute Phase, wie wir sie bis zu unserer 13:8-Führung hatten, auch bei einem 18:20-Rückstand noch mal kommen kann. Aber das ist natürlich deutlich einfacher, wenn du es erlebt hast.“ Doch dieser Schlüsselmoment fehlt seit einigen Monaten. Weshalb die Spiele gerade so laufen, wie sie laufen. Einem guten Start folgt in der Regel der kollektive Kollaps.
„Es ist Teil meines Jobs, das Positive zu sehen, wenn alle anderen nur das Negative herausstellen“, sagt Hinze. Er will das „nicht als schönreden“ verstanden wissen und und meint konkret die guten ersten Halbzeiten, die sein Team zuletzt zeigte. In der Tat sagt es ja auch etwas über eine Mannschaft aus, wenn sie zweimal gegen Lemgo und auch in Stuttgart erst einmal vermeintlich komfortabel führt. Auch beim Pokalspiel in Magdeburg begegneten die Löwen dem Champions-League-Gewinner 20 Minuten lang auf Augenhöhe, machten zunächst - wie auch zu Beginn in Lemgo - wenige technische Fehler. Ein Fortschritt.
„Aber klar“, räumt Hinze ein, „die Fallhöhe ist dann zu groß.“ Es gehe darum, die guten Phasen länger zu halten, beispielsweise auch nicht nur eine Halbzeit lang mit voller Überzeugung ins Tempospiel zu gehen: „Wir brauchen diese Gradlinigkeit und müssen bei Widerständen als Team dagegenhalten. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung.“ Für sich selbst. Den ganzen Club. Und auch die Fans.
Trainer Hinze: „Von Verzweiflung weit entfernt“
Doch wie soll es ein Entrinnen aus diesem Teufelskreis geben, wenn sich doch die Art und Weise der Niederlagen konsequent wiederholt? „Von Verzweiflung bin ich weit entfernt, aber wir brauchen zeitnah eine Lösung. Und die Lösung lautet, ein Spiel zu gewinnen“, sagt Hinze vor der Partie in Zabrze.
Ein Erfolg in Polen würde nicht nur die Ausgangslage für den Einzug in die K.o-Runde verbessern, sondern auch für ein wenig Ruhe sorgen. Über allem steht schließlich das 2022 ausgerufene Ziel, 2027 wieder zur absoluten nationalen Elite zu gehören. „Wir haben immer gesagt, dass der Weg nicht leicht wird, sich langfristig wieder als Topclub zu etablieren. Es wird immer wieder Rückschläge geben“, sagt Kettemann. Doch mit jedem Rückschlag wachsen auch die Zweifel.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Erste Zweifel am Löwen-Weg