Handball

Klartext von Rhein-Neckar-Löwen-Kapitän Groetzki zur aktuellen Krise

Die Handballer der Rhein-Neckar Löwen befinden sich in einer schweren Krise. Kapitän Patrick Groetzki spricht über Gründe für den Absturz und Wege aus der Misere. Auch die Transferpolitik und Trainer Hinze sind Thema

Von 
Marc Stevermüer
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Patrick Groetzki möchte bald wieder für die Rhein-Neckar-Löwen auf dem Feld stehen. © Krause

Mannheim. Herr Groetzki, Sie befinden sich nach Ihrer Fußverletzung noch in der Reha. Welche Fortschritte machen Sie?

Patrick Groetzki: Ich bin vergangene Woche ins Lauftraining eingestiegen. In dieser Woche wird die Belastung gesteigert und der Fuß reagiert kaum. An reaktiven Sprüngen muss ich noch arbeiten. Da spüre ich den Fuß auch noch ein bisschen.

Wann stehen Sie wieder auf dem Feld?

Groetzki: Wenn nichts Schlimmes mehr passiert, sollte es im März so weit sein.

Ihr frisch verpflichteter Vertreter Tobias Reichmann macht seine Sache bislang gut. Wie sehr hilft Ihnen dieses Wissen?

Groetzki: Das nimmt auf der einen Seite sicher ein bisschen den Druck, aber ich will natürlich spielen. Und wenn es so schlecht läuft wie jetzt gerade, fühle ich mich ein bisschen verantwortlich, so schnell wie möglich zurück aufs Feld zu kommen, um den Jungs zu helfen. Diesen Druck mache ich mir schon.

Löwen-Kapitän

  • Patrick Groetzki wurde am 4. Juli 1989 in Pforzheim geboren. Er ist verheiratet mit Jenny. Zusammen hat das Paar drei Kinder.
  • 2007 wechselte der Rechtsaußen von seinem Heimatverein SG Pforzheim/Eutingen zu den Löwen und verließ den Verein seitdem nie.
  • Groetzki hat mehr als 500 Bundesligaspiele für die Mannheimer bestritten und ist damit der Rekordmann des Clubs.
  • Als einziger Spieler war er an allen Löwen-Titeln beteiligt: EHF-Cup 2013, Meister 2016 und 2017, Pokalsieger 2018 und 2023, Supercup 2016, 2017 und 2018.
  • Groetzki bestritt bislang 173 Länderspiele.

Bei Heimspielen sitzen Sie hinter der Bank und können vielleicht ein bisschen Einfluss nehmen. Bei Niederlagen wie in Zabrze sind Sie aber nicht dabei. Wie muss ich mir den TV-Zuschauer Groetzki vorstellen?

Groetzki (lacht): Also ehrlich gesagt: Hinter der Bank hat man auch keine Chance, irgendwie Einfluss zu nehmen. Und das ist auch in Ordnung so. Aber vorm Fernseher, das ist schon sehr hart. Die Atmosphäre in der Halle nicht mitzukriegen, nicht in der Kabine zu sein und wenn es dann noch so läuft wie zuletzt – das ist nichts für mich. Da bin auch praktisch für mich allein, meine Frau spricht mich dann kaum an.

Was läuft momentan schief bei den Löwen?

Groetzki: Erst einmal müssen wir ganz nüchtern feststellen: Von den fünf Topteams sind wir weit weg. Das haben die Spiele gegen diese Gegner gezeigt. Da waren wir chancenlos. Eigentlich geht es dann darum, die anderen Spiele hauptsächlich zu gewinnen.

Was auch nicht gelingt.

Groetzki: Weil regelmäßig in einem Spiel, in dem es eigentlich ganz gut läuft, plötzlich gar nichts mehr geht. Das wiederholt sich und ist schon sehr auffällig.

Fehlt Führung auf dem Feld? Oder Erfahrung? Oder beides?

Groetzki: Unerfahrenheit spielt schon eine gewisse Rolle. Aber wir haben auch einen Spieler wie Niclas Kirkeløkke, der Weltmeister geworden ist und gerade erst wieder im EM-Finale stand. Jannik Kohlbacher ist schon länger dabei und Mikael Appelgren gibt es auch noch. Also wir haben schon genug Spieler, die solche Phasen kennen.

Momentan fehlen uns Spieler, die auf dem Feld in diesen Augenblicken die richtigen Impulse setzen, um voranzugehen
Patrick Groetzki

Was ist also das Problem?

Groetzki: In erster Linie sind es die individuellen Leistungen, die in diesen kritischen Phasen nicht abgerufen werden. Momentan fehlen uns Spieler, die auf dem Feld in diesen Augenblicken die richtigen Impulse setzen, um voranzugehen. Und auch die Jungs, die dann von der Bank kommen, schaffen es nicht, in solch einer Phase der Mannschaft zu helfen und positive Aktionen zu setzen. Im Gegenteil: Die reihen sich im Prinzip dann in die Negativspirale ein.

Macht sich die Mannschaft zu viel Stress?

Groetzki: Ja – und zwar in Situationen, in denen es komplett unnötig ist. Wir spielen in Lemgo in der ersten Halbzeit sehr konzentriert und diszipliniert, machen wenig Fehler und sind sehr sicher vor dem Tor. Wir führen, dann wirft Juri Knorr einen Ball auf die Tribüne und plötzlich bricht Panik aus. Es fühlte sich dann so an, als ob wir mit fünf Toren hintenliegen. Dabei lagen wir immer noch mit drei oder vier Treffern vorne. Ich kann mir nicht erklären, warum wir dann so reagieren.

Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt?

Groetzki: Es muss jetzt der Anspruch von uns Führungsspielern sein, voranzugehen und sich nicht zu verstecken. Wir dürfen in solchen Phasen nicht mit untergehen. Das kann sicherlich mal einem passieren, weil einer einen schlechten Tag hat. Aber es darf nicht allen gleichzeitig passieren. Wenn es schlecht läuft, sind nicht David Móré und Steven Plucnar gefordert, sondern wir erfahrenen Spieler, die auch schon seit Jahren hier sind und entsprechende Leistungen gezeigt haben. Die müssen Verantwortung übernehmen.

Klar ist doch, dass wir nicht das Niveau der vergangenen Saison haben
Patrick Groetzki

Sie sagten eben, dass die Topmannschaften nicht in Reichweite sind. Reden wir dann also über fehlende Qualität bei den Löwen oder ist alles nur eine Frage der Entwicklung?

Groetzki: Eine schwierige Frage. Aber klar ist doch, dass wir nicht das Niveau der vergangenen Saison haben. Das liegt sicherlich an den Verletzungen. Der Ausfall von Halil Jaganjac tut sehr weh. Aber wir können das auch nicht nur mit Verletzungen erklären. Zur Wahrheit gehört auch: Wir haben Lukas Nilsson nicht adäquat ersetzt. Wir haben Albin Lagergren nicht gleichwertig ersetzt. Wir haben auch Kristjan Horzen nicht gleichwertig ersetzt. Das ist nun mal so. Wir haben einfach unsere Abgänge nicht gleichwertig ersetzt. Und wenn wir dann von Entwicklung reden, dann ist das ja alles gut und schön.

Aber?

Groetzki: Natürlich war das alles anders geplant. Auch, dass man die Neuzugänge langsam auf- und einbauen kann. Aber wenn ich jetzt auf Mikael Appelgren, Olle Forsell Schefvert und mich schaue: Wir haben nichts mehr davon, wenn die Löwen in fünf Jahren erfolgreich sind. Denn dann spielen wir kein Handball mehr. Deswegen ist es schade, dass wir die Abgänge nicht ersetzen konnten. Darum geht es mir.

Wie nehmen Sie Trainer Sebastian Hinze in der Krise wahr?

Groetzki: Er spricht die Sachen klar an, die ihn stören. Er macht sich unglaublich viele Gedanken und ich bin mir recht sicher, dass er gerade schlecht schläft. Ich finde es wirklich bemerkenswert, mit welch gutem Gefühl er an die Mannschaft herangeht und auch in den Auszeiten die Ruhe bewahrt, was bestimmt nicht so einfach ist, wenn wir gerade wieder ein Spiel aus der Hand geben. Das finde ich ehrlich gesagt richtig stark, wie er das macht.

Wir tragen dieses Löwen-Trikot. Wir werden dieses Trikot verteidigen. Und wir wollen die Ehre unseres Vereins wiederherstellen
Patrick Groetzki

Und wie kommen die Löwen aus diesem Abwärtsstrudel heraus?

Groetzki: Da gibt es natürlich kein Patentrezept. Ein gewisses Maß an Sicherheit kann man sich über das Training holen. Aber klar ist auch: Die absolute Sicherheit holt man sich nur, wenn man Spiele gewinnt. Und ich glaube einfach, dass vielleicht jetzt auch die Zeit vorbei ist, noch die Belastung zu verteilen. Von nun an geht es darum, die richtigen Spieler für diese Situation zu finden. Also die Spieler, die bereit sind für diese Herausforderung, den ganzen Verein aus dieser Scheiße herauszuholen.

Wir haben ganz viele Spieler, die so etwas für sich beanspruchen. Und dann müssen es diese Spieler jetzt auch zeigen. Da geht es jetzt auch nicht mehr um persönliche Befindlichkeiten, sondern jedem muss klar sein: Wir tragen dieses Löwen-Trikot. Wir werden dieses Trikot verteidigen. Und wir wollen die Ehre unseres Vereins wiederherstellen.

Ich will nicht den großen Kampf um den Klassenerhalt ausrufen. Aber die Abstiegszone ist auch nur noch fünf Punkte entfernt.

Groetzki: Ich will das auch nicht ausrufen, aber: Wenn man auf den Spielplan schaut und wenn es so weitergeht, dann muss man sich damit sicher beschäftigen. Denn die Mannschaften, die hinter uns stehen, haben in den vergangenen Spielen auf jeden Fall mehr Punkte geholt als wir. Bei uns muss sich ganz viel ändern. Und zwar die Ergebnisse und die Leistung.

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Am Sonntag (15 Uhr) kommt Flensburg in die ausverkaufte SAP Arena. Die Löwen sind krasser Außenseiter. Ist das ein dankbares Spiel zu diesem Zeitpunkt?

Groetzki: Ich weiß nicht. Niemand erwartet einen Sieg von uns, wir sind der Außenseiter. Deswegen ist es vielleicht dankbar. Aber für uns ist dieses Spiel auch ganz einfach eine riesige Herausforderung. Wir wollen ja auch gegen solch einen Gegner etwas Zählbares holen.

Gehen wir mal davon aus, die Löwen bringen die Saison noch zu einem ordentlichen Ende. Was macht Hoffnung für die nächste Runde?

Groetzki: Gustav Davidson hat dann ein Jahr in der Bundesliga gespielt. Das wird ihm helfen. Und die Konstellation mit drei Toptorhütern in dieser Saison ist sicherlich nicht optimal, auch wenn das die Jungs untereinander gut machen. Es ist für alle die beste Lösung, ab Sommer nur noch zwei Torhüter zu haben. Ansonsten stimmen mich die Neuzugänge optimistisch.

Warum?

Groetzki: Sebastian Heymann wird uns in Abwehr und Angriff viel helfen. Er war längere Zeit verletzt und ist noch dabei, sich ein wenig zu finden. Aber die EM war zu einem Großteil richtig gut von ihm. Auch Ivan Martinovic wird uns sehr weiterhelfen – besonders von seiner Art auf dem Spielfeld, von seiner Mentalität her. Und Tim Nothdurft bringt ganz viel Qualität mit. Ich finde, er ist irgendwie immer noch ein unterschätzter Spieler. Aber er ist ein richtig guter Linksaußen im Angriff und bietet in der Abwehr noch mal andere Möglichkeiten. Wir werden durch ihn auf jeden Fall flexibler und besser. Alles in allem werden wir die Qualität in unserem Kader deutlich erhöhen.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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