Mannheim. „Heute ist Ostern, ein Fest für die Familie“, sagt eine Polizeibeamtin. „Wenn heute etwas passiert, dann ist das doch eine Katastrophe.“ Minutenlang redet eine junge Polizeibeamtin auf eine Frau ein, die zusammengekauert auf dem Boden in ihrer Wohnung sitzt, eine Waffe in der Hand. Sie bittet die Frau wieder und wieder, die Pistole wegzulegen, „Was ist passiert?“, fragt die Polizistin und dann hebt die Frau die Waffe, richtet sie auf die Beamtin. Die dramatischen Szenen - aufgezeichnet durch die Bodycam eines Kollegen der Polizistin - waren am Mittwoch in Sitzungssaal 1 des Mannheimer Landgerichts zu sehen. Sie dokumentieren den Morgen nach dem Tod zweier Jungen in Hockenheim.
Hagen (9) und Theodor (7) starben am 8. April diesen Jahres. Ihre Mutter, die Frau auf dem Video, ist wegen Mordes angeklagt, am Mittwoch hat der Prozess gegen die 44-Jährige begonnen. Beim Prozessauftakt äußert sie sich nicht zu den Vorwürfen, die Oberstaatsanwältin Katja König vortrug: Am Karfreitag soll die Frau entschieden haben, zunächst ihre beiden Kinder und dann sich selbst zu töten.
Mutter soll Kindern Schraubenzieher in Kopf gebohrt haben
Die 44-Jährige soll die Kinder laut Anklage mit verschiedenen Medikamenten sediert haben, darunter Schmerzmittel und Arzneimittel zu Behandlung epileptischer Anfälle. Dann soll sie die Jungen in ihren eigenen Betten erstickt haben. Auch soll die Frau den beiden Kindern mit einem Schraubenzieher in den Kopf gebohrt haben. Sie schrieb laut Staatsanwaltschaft eine Mail an die Polizei, legte aber fest, dass diese erst am Sonntag versendet werden sollte. Mit einem Skalpell soll sie sich selbst am Hals verletzt haben und den Schraubendreher auch in ihrer eigenen Schädel gebohrt haben. Anschließend soll sie das Loch mit einem Stück Holz verschlossen haben.
Weil die Angeklagte schweigt, beginnt das Schwurgericht nach der Anklageverlesung mit der Rekonstruktion des Ostersonntags, dem Tag, an dem bei der Polizei in Hockenheim eine E-Mail mit dem Betreff „Hilfe“ einging. „Bitte kommen Sie in meine Wohnung im Erdgeschoss rechts, bevor meine Eltern, mein Bruder oder der Vater meiner Kinder kommen. Ich habe etwas Schlimmes getan“, hieß es darin. Dazu der Name der Angeklagten und ihre Adresse. Der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz projizierte die Mail an die Wand des Sitzungssaals. Und befragte dann die junge Polizeibeamtin, die in der Wohnung auf die Frau traf - festgehalten auf den Aufnahmen der Bodycam ihres Kollegen.
Suicide by Cop geplant?
Vor Gericht beschrieb die Beamtin zunächst, wie sie und ihr Kollege in die Wohnung gelangten, und dort auf die 44-Jährige stießen. Die saß - so die Zeugin - vor einer der beiden Kinderzimmertüren, die Waffe in der Hand. Die Beamtin beschrieb, wie sie auf die Frau einredete, an ihre Vernunft appellierte, und ihr Kollege schließlich sein Pfefferspray zückte - ohne, dass sich die Frau gerührt hätte.
Dann forderten die Polizisten Verstärkung an, berichtete die Zeugin, legten Schutzkleidung an, ein anderer Kollege habe die 44-Jährige überwältigt, ihr die Waffe abgenommen. Die junge Beamtin ging ins Kinderzimmer und fand dort ein Kind, tot in seinem Bett. „Im zweiten Kinderzimmer habe ich das gleiche Bild sehen müssen“, sagte sie vor Gericht. Auch hier ein toter Junge.
Dann spielte der Vorsitzende Richter einige Minuten der Bodycam-Aufzeichnungen ab, die komplette Aufnahme umfasst knapp eine halbe Stunde. „Ich denke, sie wollte einen ,Suicide by Cop herbeiführen“, sagte die Polizistin. Die Frau habe versucht, die Beamten dazu zu bewegen, sie zu erschießen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll die Mutter von Hagen und Theodor 2005 nach einem Schlaganfall eine Hirnblutung erlitten haben, die zu einer Hirnschädigung führte. Die Frau habe in der Folge eine Persönlichkeitsstörung entwickelt. Infolgedessen soll sie Angst um ihre Kinder gehabt haben. Sie soll sich davor gefürchtet haben, dass es ihnen beim Vater nicht gut gehen könnte - und sie deshalb umgebracht haben. Hagen und Theodor lebten bis zu ihrem Tod bei ihrem Vater Stefan Ache in Mosbach-Neckarelz, jedes zweite Wochenende und Teile der Ferien verbrachten sie bei der Mutter in Hockenheim. Ache stand am Ostersonntag wie vereinbart am frühen Nachmittag vor dem Haus seiner Ex-Frau, um seine Kinder abzuholen und mit ihnen in den Osterurlaub zu fahren.
Anzeige wegen Kindeswohlgefährdung
Der 56-Jährige und seine Tochter Jacqueline aus erster Ehe treten als Nebenkläger in dem Verfahren auf, werden vom Mosbacher Rechtsanwalt Wolfgang Frank vertreten. Vor Gericht berichtete der Vater eine Stunde lang, wie es ihm in der Beziehung mit der Angeklagten ergangen war. Der 56-Jährige sprach vor Gericht von Übergriffen seiner Ex-Frau, einmal habe sie so stark zugeschlagen, dass sie sich dabei die Hand gebrochen habe, so Ache. „Es fiel mir schwer, Anzeige gegen eine Person zu erstatten, mit der ich zusammen im Haus wohnte.“
Doch die Beziehung, „die Situation im Haus“ sei für ihn nur schwer zu ertragen gewesen, so der Vater der beiden Jungen. Auch nach dem Auszug seiner Ex-Frau im September 2018 habe sich das Verhältnis kaum entspannt. Der Vater und die Mutter von Hagen und Theodor kommunizierten kaum, meist über ein Übergabeheft.
Im Mai 2021 erstattete sie Anzeige wegen Kindeswohlgefährdung. Warum, das kann sich Ache bis heute nicht erklären. Und auch er habe sich immer wieder hilfesuchend an die Behörden gewandt, sagte der Vater.
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