Hockenheim. „Jede Beschwerde und jede Kritik wird von uns ernst genommen“ – das stellt Oberbürgermeister Marcus Zeitler an den Anfang des Pressegesprächs zum Thema Geräuschemissionen vom Hockenheimring. Seit Mai häufen sich die Leserbriefe in unserer Zeitung, die ein Übermaß an Motorenlärm beklagen – sowohl, was den Pegel angeht, als auch die Häufung. Und dem OB ist noch eine zweite Feststellung sehr wichtig: „Wir machen nichts, was nicht erlaubt ist.“ Das bestätigten die Ring-Geschäftsführer Jorn Teske und Jochen Nerpel sowie Enrico Dittrich von der Firma Genest und Partner, die mit regelmäßigen Messungen beauftragt ist.
Die Einnahmen aus der Vermietung der Rennstrecke sollen den Weiterbetrieb trotz schwieriger Bedingungen ermöglichen, erklärt Marcus Zeitler. Entscheidend sei, dass dieser Betrieb im Rahmen der gesetzlichen Genehmigungen bleibe.
Die Corona-Pandemie habe das Unternehmen 2020 sehr stark gebeutelt, berichtet Jorn Teske. Anfangs mit einer kompletten Betriebsschließung, dann mit einer Vielzahl häufig wechselnder Verordnungen und dem Verlust nahezu aller wichtigen Publikumsveranstaltungen. Von 23 so eingestuften Events seien 15 komplett abgesagt worden, sechs mussten ohne Zuschauer stattfinden, zu zwei durfte Publikum kommen: die verregnete IDM und der Porsche Sports Cup – „also wirklich nichts Nennenswertes für uns.“ Das habe ein Riesenloch in die Budgets gerissen. 2020 gab es 207 vermietete Tage, 2018 waren es 227 gewesen.
Finanziell schwer getroffen
Daher sah sich die Geschäftsführung dazu verpflichtet, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Aufgeschobene Instandhaltungsmaßnahmen und Investitionen (1,5 Millionen Euro), ausgesetzte Darlehenstilgungen (1,5 Millionen Euro) sowie Einsparungen im Personalbereich wie Kurzarbeit oder nicht nachbesetzte Stellen (rund eine Million Euro). Das laufende Jahr habe nicht großartig anders begonnen. Die erste Großveranstaltung stehe Ende August vor der Tür, das sei höchst schmerzlich für die Wertschöpfung.
Die Dragsterveranstaltung Nitrolympx, aus finanzieller Sicht „wahnsinnig wichtig“, sei erneut abgesagt, Open-Air-Konzerte hätten sich völlig zerschlagen, weil ganze Tourneen abgesagt wurden. Teskes Fazit der Corona-Auswirkungen: „Wir sind zwar schwer getroffen, aber nicht gefährdet. Doch wir sind auf jedes Geschäft angewiesen, das wir im Rahmen der Möglichkeiten machen können.“ Dafür sei viel Kleinstarbeit angefallen, Ersatz zu finden, sei kein Selbstläufer.
Jeder Tag, „an dem es nicht brummt“, koste die Ring GmbH 25- bis 30 000 Euro, sagt Jochen Nerpel und macht auf einen wesentlichen Unterschied zur Vor-Corona-Zeit aufmerksam: 2019 seien zur Vor- und Nachbereitung von Großveranstaltungen sechs Wochen ohne Lärmentwicklung eingestreut gewesen. Diesen Zeitraum habe es danach nicht mehr gegeben.
Die Firma Genest und Partner ist seit 2002 als unabhängiges Messinstitut mit der emissionsschutzrechtlichen Überwachung der Auflagen für den Betrieb des Rings beauftragt, berichtete Enrico Dittrich. 2001 musste der Ring nach dem Umbau eine emissionsschutzrechtliche Genehmigung beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis beantragen, die auf einer Reihe von Gutachten beruhte. „Das ist letztendlich die Basis des Veranstaltungsbetriebs am Hockenheimring“, erklärt Dittrich.
Rund um die Uhr werde die vom Ring ausgehende Lärmemission seither überwacht an drei Messstellen: in der Waldstraße, im Birkengrund und auf dem Dach der Haupttribüne. Monatliche Berichte an das Landratsamt, geprüft von Genest, dokumentieren die Messwerte.
An der Nordkurve erfasst zusätzlich eine Messstelle die Vorbeifahrpegel der Fahrzeuge auf der Strecke. Sie ist für die Einordnung in die Lärmklassen A bis D ausschlaggebend, wobei zwischen den Klassen jeweils etwa zehn Dezibel Unterschied liegen. Die lautesten Rennwagen bilden die Klasse A, die leisesten der Klasse D entsprechen laut Dittrich im Lärmausstoß straßenverkehrszugelassenen Pkw.
Noch nicht ansatzweise ausgereizt
„Es ist festzustellen, dass über die gesamten bisherigen fast 20 Jahre Überwachung die lautesten Veranstaltungen A und B zu keinen Immissionsgrenzwertüberschreitungen geführt haben und die zulässigen Betriebstage pro Jahr noch nicht ansatzweise ausgereizt wurden“, sagt Dittrich. Die meisten Betriebstage fallen in die Kategorie C mit 98 Dezibel.
Die Messtechnik werde regelmäßig ausgetauscht und einmal täglich kalibriert. „Aus unserer Sicht hält der Hockenheimring den Rahmen des Zulässigen und Genehmigten ein“, schließt der Immissionsschutzfachmann.
Dittrich verweist auf eine freiwillige Selbstbeschränkung der Ring GmbH: Für die Klasse C sehe die Genehmigung einen Betrieb maximal von 8 bis 20 Uhr vor. Seit Jahren werde erst um 9 Uhr gestartet. Die Mittagspause dauere laut Dokumentation eine Stunde oder mehr und sei damit länger als die vorgeschriebenen 30 Minuten. Von 30 genehmigten A-Testtagen seien nur zwei in Anspruch genommen worden.
Dazu ergänzt OB Marcus Zeitler: „Wir sind in vielen Bereichen weit unter dem, was die Genehmigung zulässt, auch aus Rücksicht auf die Anwohner und Bürger.“ Er könne nachvollziehen, dass die zusätzlich vermieteten Tage gegenüber den Ruhephasen für Auf- und Abbauarbeiten eine Mehrbelastung darstellten. „Aber wir müssen unser Defizit reduzieren.“ Die Stadt beschäftige sich mit jeder Beschwerde, ganz leise funktioniere der Ring nun mal nicht.
Der Oberbürgermeister betont die Unabhängigkeit des Messinstituts. Von „Gegenmessungen“ ist weder Zeitler noch den Geschäftsführern etwas bekannt. Es habe von behördlicher Seite auch keinen Anlass dazu gegeben. „Wenn das Landratsamt irgendwelche Bedenken gegen die Messungen hätte, wären die längst aktiv geworden.“ Die Immissionswerte seien abhängig von Entfernung, Wind- und Wetterlage, Anzahl der Fahrzeuge und Einwirkzeiten, erläutert Dittrich.
Keine Änderungen beabsichtigt
Jochen Nerpel fügt hinzu, dass auch Fahrweise, Streckenbeschaffenheit (nass oder trocken) und Reifenbreite Einfluss haben. Die Zeit der extrem lauten Fahrzeuge sei ohnehin vorbei. Sehr häufig unterwegs seien GT3-Fahrzeuge wie bei der DTM oder GT-Masters. Diese bewegten sich zwischen der untersten B- und oberen C-Klasse zwischen 98 und 102 Dezibel, sagt Nerpel. Die lauteste Kategorie seien Boliden aus den 1960er bis 90er Jahren, wie sie bei der Bosch Hockenheim Historic an den Start gehen. Die E-Mobilität, aber auch Laufveranstaltungen wie die Ring Running Series und Fit on Track sorgten für leise Tage.
Für eine Veränderung der genehmigten Betriebszeiten sieht der OB keinen Anlass. „Wir sind uns der Verantwortung bewusst und tragen den Interessen der Anwohner Rechnung, indem wir die Genehmigung nicht einmal ausnutzen.“ So leise wie 2020 sei der Ring noch nie gewesen.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Betriebszeiten am Ring: Grenzwerte sind schwacher Trost für Anwohner