Gemeinderat

Gewerbepark am Friedhof in Neulußheim sorgt für Streit

In der letzten Gemeinderatssitzung unter dem scheidenden Bürgermeister droht Konfrontation statt Harmonie. Mehrere Parteien fordern eine Bürgerbeteiligung zum Gewerbepark. Ein Biobauer fürchtet um seine Existenz.

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Matthias Mühleisen
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Seit 1991 ökologisch bewirtschaftet: Die landwirtschaftlichen Flächen des Biolandhofs Merz neben dem Neulußheimer Friedhof sind in der Gemeinderatsvorlage für den Gewerbepark vorgesehen. © Lenhardt

Neulußheim. Für die finale Sitzung der Wahlperiode eines Gemeinderats ist Harmonie eigentlich Pflicht – zumal, wenn sie auch noch die letzte Zusammenkunft unter Leitung des bisherigen Bürgermeisters nach 16 Amtsjahren ist. Wenn sich das Neulußheimer Gremium am Donnerstag, 16. Mai, um 19 Uhr im Bürgersaal des Rathauses trifft, sieht es nach all dem nicht aus – im Gegenteil: Alle Zeichen stehen auf Konfrontation. Streitobjekt ist der geplante Gewerbepark Neulußheim am Friedhof.

Die Gemeinderatsfraktionen von SPD, Grünen und der Wählergemeinschaft „Wir für Neulußheim“ (WfN) sind der Meinung, dass der Zeitpunkt für den Beschlussvorschlag der Verwaltung „kommunalpolitisch falsch“ ist, wie es Hanspeter Rausch (SPD) im Redaktionsgespräch formuliert. Eine Entscheidung von dieser Tragweite erfordere eine Bürgerbeteiligung. Dagegen sei der Öffentlichkeit bislang nicht umfassend kommuniziert worden, was beim Friedhof passieren solle. Wer die Bürger derart übergehe, mache sich politisch unglaubwürdig.

Warum der Gewerbepark in Neulußheim nicht jetzt geplant werden sollte

Falsch sei der Zeitpunkt auch deshalb, weil in wenigen Wochen sowohl ein neuer Gemeinderat als auch ein neuer Bürgermeister in Neulußheim amtieren werden. „Denen würden wir jetzt eine Erblast aufbürden, obwohl sie vielleicht ganz andere Vorstellungen haben“, sagt Rausch.

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Monika Schroth (Grüne) ergänzt, dass der designierte Bürgermeister Kevin Weirether bei der Kandidatenvorstellung gesagt habe, er sei sich bei dem Gewerbegebiet nicht so sicher und finde, dass bei einem solchen Thema die Bevölkerung im Vorfeld einbezogen werden müsse. „Tatsächlich ist aber so, dass die Bevölkerung erst seit etwa zehn Tagen überhaupt die Möglichkeit hat, sich über den Plan zu informieren“, stellt Ingeborg Bamberg („Wir für Neulußheim“) fest.

Rausch wundert es nicht, dass es in der Gerüchteküche im Ort brodelt. Ihn gegenüber sei immer wieder Unverständnis geäußert worden, wie die Gemeinde ein solches Thema auf die Tagesordnung bringen könne. Im November 2023 sei die Ausgangslage noch eine andere gewesen, damals sei eine Flächenphotovoltaikanlage (Solarpark) vorgeschlagen gewesen, der abgelehnt wurde.

Gewerbepark in Neulußheim sollte runter von der Tagesordnung

SPD, Grüne und WfN haben mehrere Gründe für ihre Auffassung, das Thema müsse am Donnerstag von der Tagesordnung genommen werden. Sie halten die Angelegenheit nicht für entscheidungsreif, weil wesentliche Voraussetzungen noch nicht erfüllt seien. An erster Stelle stehe die Frage der Erschließung, deren Kosten völlig unbekannt seien. Um das geplante Gewerbegebiet an die Kläranlage anschließen zu können, müsse die Bahnlinie untertunnelt werden.

Abgesehen von Kosten von grob kalkuliert 700 000 Euro stelle sich die Frage, ob die Gemeinde dazu überhaupt die Ermächtigung durch die Bahn erhalte. Diese Frage sei in der Sitzungsvorlage komplett ausgespart – „weil man weiß, dass Verhandlungen mit der Bahn knifflig werden?“, fragt Ingeborg Bamberg kritisch. Ein Gewerbegebiet ohne Erschließung nur mit Versickerung sei nicht denkbar, schon gar nicht, wenn bis zu 90 Prozent der Flächen versiegelt werden dürfen, merkt Hanspeter Rausch an.

Umweltbericht und Anbindung fraglich

„Wenn man so was auf die Schnelle in letzter Minute der Wahlperiode beschließt, weiß man gar nicht, was in den kommenden Jahren noch auf die Gemeinde zukommt – das ist unverantwortlich“, warnt Bamberg. Die im November 2023 beschlossene Erschließung habe die Abstimmung mit der Bahn beinhaltet, diese sei nicht abgearbeitet worden, erinnert Schroth.

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„Sehr irreführend“ nennt Hanspeter Rausch den Umweltbericht, der als Arbeitsgrundlage für die Beteiligung von Öffentlichkeit und Fachbehörden erstellt wurde. Der Inhalt entspreche nicht den Gegebenheiten vor Ort. Dass durch intensive landwirtschaftliche Nutzung der Boden durch Düngemittel- und Pestizideinsatz vorbelastet sei, sei rätselhaft, da Biolandwirt Hubert Merz die Ackerflächen schon seit 1991 ökologisch bewirtschafte.

Viele Ungereimtheiten bei Gewerbepark in Neulußheim

Dass andererseits eine 90-prozentige Überbaubarkeit die Grundwasserneubildung nicht gefährde, sei nicht nachvollziehbar. Für Rausch liest sich der Bericht eher wie ein „Gefälligkeitsgutachten“. Frühere Untersuchungen hätten ergeben, dass die betroffenen Ackerflächen als Brutplätze für bedrohte Vogelarten wie Rebhuhn und Feldlerche dienen – davon sei in dem Umweltbericht keine Rede. Rausch: „So etwas muss untersucht werden.“ Eine Ausgleichsfläche für den Eingriff, sollte das Gewerbegebiet umgesetzt werden, würde weitere vielleicht 15 oder 18 Hektar landwirtschaftliche Fläche erfordern, schätzt Rausch. Wo sollte diese herkommen?

Der Absicht, Gewerbebetrieben Gelände anzubieten und Ansiedlungen zu fördern, stehen die drei Fraktionen offen gegenüber, betonen ihre Sprecher. Doch das könne nicht auf Kosten eines bestehenden Betriebs auf einer ökologisch derart wertvollen Fläche passieren. Der Biolandhof Merz sei ein Vorzeigebetrieb und zahle gut Gewerbesteuer. Er stehe im Verbund mit kleineren Höfen, die ohne ihn ihre Produkte nicht vermarkten könnten.

Neulußheimer Bauer fürchtet um Existenz

Hubert Merz bestätigt das im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Fläche am Friedhof sei seine größte. Sollte sie komplett für ein Gewerbegebiet wegfallen, fehlte ihm fast ein Drittel seiner Anbaumöglichkeiten. Für die pflegeintensiven Kulturen sei eine Nähe zum Betrieb unerlässlich, Ersatzflächen in größerer Entfernung seien nicht praktikabel. „Für mich geht es schon ein stückweit um die Existenz meines Betriebs“, sagt der Biolandwirt.

Merz ist enttäuscht, dass man offenbar „auf den letzten Drücker“ Fakten schaffen wolle, ohne sich mit ihm als Betroffenen, der die Fläche seit Jahrzehnten bewirtschafte, in Verbindung zu setzen. Es gebe zu viele Ungereimtheiten für einen seriösen Beschluss, der die Gemeinde teuer zu stehen kommen könne, sollte die Erschließung platzen.

Redaktion Redakteur im Bereich Hockenheim und Umland sowie Speyer

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