Oftersheim. „Asylantenschwemme“, „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Überfremdung“. Begriffe, die der Asylkreis Oftersheim der Migrationsdebatte des Jahres 1990 zuordnet. „Manchmal hatte ich das Gefühl, die Leute machen mich dafür verantwortlich, dass so viele Asylbewerber nach Oftersheim kommen“, sagt Heidi Joos, die Mitgründerin des Asylkreises. Wie auch die Debatten, ist das Gefühl, das sie beschreibt, eines, das über die folgenden Jahrzehnte immer wiederkehrt. Doch Joos und ihr Asylkreis bleiben in ihrem Engagement standhaft und ernten nun bei der 35-Jahre-Feier im Rettungszentrum die gesellschaftliche Anerkennung.
Schon vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung, um 18.30 Uhr, waren alle Stühle im großen Saal belegt. Zwar arbeiteten alle Kräfte zusammen und formten mit weiteren Stühlen mehrere unvorhergesehene Reihen, allerdings schien es nahezu unmöglich, genug Plätze für den nicht endenden Andrang von Menschen, die mit den Mitgliedern des Kreises feiern wollten, zu schaffen.
Nachdem die Asylkreismitglieder bei der Bestuhlung ein weiteres Mal bewiesen, was Menschen gemeinsam alles bewegen können, eröffnete der Flötenkreis die Veranstaltung.
Asylkreis Oftersheim „Zusammen sind alle stärker“
Bevor es an den Hauptteil des Abends ging, begrüßte Joos die zahlreichen Besucher und Ehrengäste. Unter anderem auch Britta Josupeit, Mitarbeiterin des Oftersheimer Integrationsbüros, die den Abend moderierte und zunächst Pascal Seidel, dem Bürgermeister und Schirmherrn der Veranstaltung, das Wort erteilte.
Zwar sei die Arbeit der zuständigen Verwaltungsmitarbeiter herausragend, allerdings nicht ausreichend, um nah bei den Flüchtlingen zu sein. „Fast möchte man wünschen, dass es nicht nötig wäre“, führt Seidel fort: „Ich befürchte aber, dass wir auch weiterhin auf Ihre große Unterstützung angewiesen sein werden. Ich bin mir sicher, dass wir das gemeinsam hinbekommen.“
Dass ein solch großes Engagement etwas ganz besonderes ist, weiß auch Regina Gnegel, Referentin im Bereich Flucht und Interkulturelle Kompetenz der evangelischen Landeskirche Baden. „Die Geschichte, die der Oftersheimer Asylkreis in den vergangenen Jahren schrieb, ist eine großartige.“ Es sei die Geschichte von Zivilcourage und gelebter Demokratie, sagte Gnegel. Die Zusammenarbeit von Verwaltung, Kirche und Asylkreis in Oftersheim sei vorbildlich: „Oftersheim ist der absolute Beweis: Gemeinsam sind alle stärker“, findet die Referentin.
Den darauffolgenden Hauptteil der Veranstaltung bildete eine Powerpoint-Präsentation über die Geschichte des Asylkreises. „Das war wirklich eine sehr tolle Präsentation von Wolfgang Burkhardt“, lässt Joos sie Revue passieren.
Geschichtliche Wiederholungen in Deutschland
Mit den ersten Flüchtlingsströmen in Deutschland beginnt auch die Präsentation. Genauer gesagt im Jahr 1945, als Deutsche nach Kriegsende aus den ehemals deutschen Ostgebieten vertrieben wurden. Auch damals endeten viele Flüchtlinge in Oftersheim, unter anderem auch Roland Seidel. In einem Videointerview erklärt der Oftersheimer Ehrenbürger: „Ich bin 1946 in Oftersheim gelandet. Wir wurden teilweise zu acht in ein kleines Zimmer gesteckt.“
Zwei Mitglieder des Asylkreises, Katharina Schindelmeier und Alexandra Frerks, führten die Zuschauer mit geteilten Redebeiträgen durch die Zeitgeschichte von Oftersheim. Der Gründung des Asylkreises ging die Ankunft von Flüchtlingen aus Laos zuvor. So habe der damals amtierende Bürgermeister Siegwald Kehder den evangelischen Gemeindepfarrer Martin Joos angerufen. Kehder erklärt in einem Videointerview: „Wir mussten die Menschen unterbringen und betreuen, das war ohne ehrenamtliche Kräfte unmöglich. Deswegen habe ich mich an Martin Joos gewandt.“ Dessen Ehefrau Heidi Joos sei sofort in die Offensive gegangen und habe, gemeinsam mit zehn weiteren Freiwilligen, im Juni 1988 den Asylkreis gegründet.
Die Aussiedlerbetreuung sei im Jahr 1989 hinzugekommen. Die ersten Handlungen des Helferkreises seien ehrenamtliche Sprachkurse, eine Möbelbörse und die Gründung der Kleiderstube gewesen. Daneben habe der Asylkreis 1989 auch zum ersten Mal das „Café International“ veranstaltet. Die deutschlandweite, sehr aufgeheizte Debatte über die Flüchtlingswellen im darauffolgenden Jahr sei eine der ersten Bewährungsproben für den frisch gegründeten Asylkreis gewesen. Populistische Begriffe wie „Überfremdung“, die schon damals inflationär genutzt worden seien, vergifteten die Debattenkultur in der Thematik.
Eine der ersten Erfolgsgeschichten des Asylkreises habe schon 1989 begonnen. Damals sei Olga Frank aus Kasachstan in Oftersheim gestrandet. Dass sie von den Freiwilligen derart gut versorgt wurde, habe sie dazu bewegt, nun Sprachkurse für die ukrainischen Flüchtlinge anzubieten. Die nahezu lückenlose Betreuung ist aber bei Weitem nicht der einzige Grund für die erfolgreiche Arbeit der Freiwilligen. Auch die Einbindung junger Flüchtlinge im Jugendzentrum – damals geleitet von Asylkreismitglied Jürgen Weber – sei ein wichtiger Schritt zur Integration gewesen. Und auch der persönliche Einsatz der Mitglieder, die unter anderem eine Telefonkette zur Vorsorge von Übergriffen gegen Flüchtlinge in den frühen 1990er Jahren organisierten, sei Mitgrund für den außergewöhnlichen Erfolg.
Flüchtlingswelle 2015 - eine Herausforderung auch in Oftersheim
Nach einer Pause, in der sich die zahlreichen Besucher unterhielten, am Fingerfood bedienten oder ein Glas Sekt schlürften, ging die Präsentation mit den 2000er Jahren weiter. Bevor Gertrud Demel und Peter Rösch, die nun den Sprecherpart übernahmen, mit der Zeitreise fortfuhren, erklärte Brigitte Frei, was es bedeute, ein Flüchtlingspate zu sein.
Die ehemalige Leiterin des Schulamtes Mannheim betonte vor allem die Individualität hinter der Patenschaft. So habe jeder Pate selbst definieren können, was die Verbindung zum Flüchtling für ihn bedeute. Frei beendete ihren Beitrag mit den Worten „Wenngleich diese Patenschaften oft zeitaufwendig waren, so wurden wir doch immer mit viel Freude und Dankbarkeit der Geflüchteten belohnt.“
Nach einer ruhigen Phase kam es dann 2014 zur Explosion der Asylanträge. So habe Jürgen Weber im Jahr 2015 die Reaktivierung des eingestaubten Asylkreises vorangebracht. Nach einer „turbulenten Bürgerversammlung“ besuchten über 80 Interessenten den Asylkreis. Im Januar 2016 seien dann zunächst insgesamt 70 Personen in das ehemalige Hotel „Zum Goldenen Hirsch“ eingezogen. Dank der Zusammenarbeit mit den ortseigenen Vereinen und weiteren Stellen, habe es schnell Sportangebote und Deutschkurse gegeben.
Doch nach den 70 neuen Bewohnern im ehemaligen Restaurant folgten noch im gleichen Monat weitere 268 Männer, die in die Halle im Oftersheimer Gewerbegebiet einquartiert wurden. „Dort war immer etwas los“, heißt es in der Präsentation. Erst Ende 2016 seien die letzten Bewohner aus der Halle ausgezogen. Eine weitere, sehr schwere Zeit, die Oftersheim dank des Asylkreises überstand.
Ein emotionaler Abschluss beim Asylkreis
Das Ende der Präsentation bildete eine Erzählung über die Flüchtlinge aus der Ukraine im vergangenen Jahr. Mit individueller Betreuung, praxisbezogenen Deutschkursen und der Unterstützung der Verwaltung habe der Asylkreis auch diese neuen Herausforderungen recht gut gemeistert.
Nach der rührenden Präsentation folgte ein Beitrag der geflohenen Nour Dalaty-Rahema. Sie schreibt über die Mitglieder des Asylkreises: „Viele von ihnen haben unseren steinigen Weg leichter gemacht. Sie haben uns bei allem unterstützt, vor allem bei der Sprache, die der Schlüssel fürs Leben in Deutschland war.“
Den offiziellen Teil beendete Gabriele Klein mit der Übergabe eines Blumenstraußes an die zu Tränen gerührte Heidi Joos. Der Blumenstrauß komme von den Flüchtlingen, von denen einige den Anlass gemeinsam mit den Ehrenamtlichen noch lange weiterfeierten.
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