Oftersheim. „Zugabe, Zugabe, Zugabe, Zugabe …“, Luis Caballero, Frontsänger der inklusiven Band „Kings and Queens“, lacht sichtlich bewegt an seinem Mikrofon. „Leute, das war schon die Zugabe“, gesteht der junge Künstler mit einem Blick des Bedauerns ein. Doch dann erklingen die ersten Töne der E-Gitarre, das Schlagzeug sorgt für den richtigen Beat, Caballeros Gesichtsausdruck verwandelt sich in ein breites Grinsen. „Aber wir haben noch eine“, ruft er dem begeisterten Publikum zu. Der Entertainer nimmt die euphorisierten Besucher des Weihnachtsmarkts der Lebenshilfe Oftersheim mit auf eine weitere musikalische Reise.
Für den Weihnachtsmarkt mit Programm gebe es mehrere Anlässe, erklärt Melanie Meyer, Mitarbeiterin der Lebenshilfe : „In erster Linie ist es das Abschlussfest für unseren 60. Geburtstag. Aber es ist gleichzeitig auch eine Einladung an die Nachbarschaft. Und natürlich die Möglichkeit, Berührungspunkte zwischen Menschen mit einer Einschränkung und der übrigen Gesellschaft zu schaffen.“ Um die Inklusion weiter zu fördern, habe sich die Institution entschieden, einen öffentlichen Weihnachtsmarkt mit Programm zu veranstalten. Ein Fest, das viel zu bieten habe, wie Bettina Seidel von der Lebenshilfe hinzufügt: „Es gibt alles, was das weihnachtliche Herz begehrt. Wir verkaufen Süßes und Deftiges, Glühwein und Kinderpunsch. Aber wir haben auch einen Secondhand-Verkauf, bieten selbst gemachte Lutscher und Marmelade an.“ Dass an diesem Tag eine so große Vielfalt an Angeboten besteht, verdanke die Lebenshilfe neben ihren verschiedenen Abteilungen und ehrenamtlichen Helfern, auch dem Inklusionsbeirat des Rhein-Neckar-Kreises.
„Die Standbesetzung heute zeigt, wie es auch laufen kann“, findet Silke Ssymank, kommunale Behindertenbeauftragte des Rhein-Neckar-Kreises. „Überall arbeiten heute Abend grob zusammengefasst drei Personen: ein Betreuer, ein Kunde der Lebenshilfe und ein Mitglied des Inklusionsbeirats.“ Die Unterstützung des Beirats, ein Gremium mit 30 Mitgliedern, die verschiedene Einschränkungen vertreten, sei einem besonderen Tag zu verdanken: „Am 3. Dezember ist internationaler Tag der Menschen mit Behinderung. Da sind wir immer bei einer Veranstaltung im Kreis. Allerdings fällt der Tag dieses Jahr auf den ersten Advent. Um ihn trotzdem zu feiern, gerade weil er zum 30. Mal stattfindet, sind wir heute hier.“ Das passe perfekt zum 60-jährigen Bestehen der Lebenshilfe, die eine hervorragende Arbeit mache: „Es ist beeindruckend, wie viele Menschen heute hier sind, gerade auch aus der Nachbarschaft. Da sieht man, dass die Lebenshilfe sehr gut in Oftersheim verortet ist.“
Nicht nur ausgelassen feiern bei der Lebenshilfe
Doch Ssymank möchte an diesem Tag nicht nur feiern. Die Behindertenbeauftragte hat auch ein Anliegen im Gepäck: „In Deutschland werden Menschen mit kognitiven oder physischen Einschränkungen immer noch gesellschaftlich benachteiligt. Das fängt bei der sozialen Integration an, zieht sich aber auch durch den Arbeitsmarkt.“ So gebe es nach wie vor viele Arbeitgeber, die Menschen mit einer Behinderung nicht einstellen würden. „Dabei hat jeder Mensch Stärken, natürlich auch die mit Einschränkung. Es gibt nahezu überall Möglichkeiten, Behinderte in Unternehmen einzubeziehen.“ Es sei die Hemmschwelle der Gesunden, die eine vollständige Integration verhindere, vermutet Ssymank: „Die Leute haben im Umgang mit Personen, die vielleicht anders aussehen, laufen oder sprechen, immer noch viele Berührungsängste. Das ist sehr schade, weil die Menschen ja einfach auf die Person mit Einschränkung zugehen und nachfragen könnten.“ Ein Beispiel für die Schwierigkeiten der Inklusion seien taube Menschen: „Es gibt neben der Gebärdensprache mittlerweile eine komplett eigene Kultur tauber Personen. Das ist logisch, sie können nicht direkt mit der Gesellschaft kommunizieren, wie die es untereinander tut. Das geht nur mit einem Dolmetscher. Also bleiben sie vermehrt unter sich.“
Günter Hanke vertritt im Inklusionsbeirat sehbehinderte Menschen. Er habe dank seines Blindenstocks zwar wenig Schwierigkeiten im Alltag, aber trotzdem ein ernstes Anliegen: „Wir brauchen auch Barrierefreiheit im Netz. Ich bin zwar blind, kann mit einem Vorleseprogramm aber trotzdem surfen. Allerdings gibt es immer noch viel zu viele Steine, die mir in den Weg gelegt werden. Wenn ich etwas bestelle, passiert es beispielsweise öfter, dass ich alles hinbekomme, bis zum Kästchen bei den Allgemeinen Geschäftsbedigungen. Das finde ich nicht. Da merke ich dann, dass die Webseite nicht barrierefrei geplant wurde.“ Dabei sei es für Unternehmen deutlich sinnvoller, Webseiten schon im Voraus barrierefrei zu gestalten: „Wenn ich eine Firma darauf aufmerksam mache, erklären sie, dass es sehr wichtig ist, aber dann passiert nichts. Es ist nämlich schwer, die Webseite oder App im Nachhinein barrierefrei zu verändern. Das muss von Anfang an mitgedacht werden.“
Ein Thema, mit dem sich auch Dietmar Hebeler bestens auskennt, denn er ist im Rhein-Neckar-Kreis als Botschafter der Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen tätig: „Es passiert schon viel hier im Land“, findet Hebeler, der aber eine Idee hat, die es Menschen erleichtern könnte, die Belange von Menschen mit Einschränkungen besser zu verstehen: „Jede Behinderung hat ihre Tücken. Es macht Sinn, sich auch als sehender Mensch mal die Augen zu verbinden, um wahrzunehmen, wie das ist und welche Probleme es gibt. Wenn Sie laufen können, ist es sinnvoll sich trotzdem mal in einen Rollstuhl zu setzen“, sagt der Experte.
Für Dominik Blersch, Bandleiter der inklusiven Musikgruppe „Kings and Queens“, ist der Umgang mit verschiedenen Behinderungen Alltag: „Bei uns geht es darum, dass alle mitmachen können. Klar nehmen wir da Rücksicht auf die unterschiedlichen Einschränkungen. In erster Linie soll es Spaß machen. Umso toller, dass wir trotzdem heute unseren zweiten sehr erfolgreichen Auftritt verzeichnen können.“ Das findet auch Frontsänger Luis Caballero: „Ich war schon recht aufgeregt, aber es lief richtig gut. Das ist sehr schön.“
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/oftersheim_artikel,-oftersheim-lebenshilfe-oftersheim-veranstaltet-einen-weihnachtsmarkt-fuer-wirklich-alle-_arid,2153594.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/oftersheim.html