Plankstadt. Immer wenn sie vom Pfarrhaus zur Kirche geht, überprüft Pfarrerin Christiane Banse die Situation um ihren Baumschützling herum. Oft bückt sie sich und entfernt Plastikmüll, Zigarettenkippen und sonstigen Unrat von der kleinen Rasenfläche, in der die große Stieleiche wurzelt. „Sicher, ein Teil des Drecks wird angeweht, doch der größte Teil des Mülls wird hier hingeschmissen“, stellt sie traurig fest. Die Theologin befürchtet zu Recht, dass besonders die Zigarettenkippen langfristig negativen Einfluss auf die Lebensumstände der Eiche haben könnten.
Denn wie Untersuchungen des Deutschen Krebsforschungsinstitutes (DKFZ) ergeben haben, lösen sich bei Regen Nikotin, Cadmium, Blei und andere für Pflanzen giftige Stoffe aus den Kippen und gelangen in den Boden. Als wolle sie den Baum trösten, tritt die Pfarrerin ein paar Schritte an dessen Stamm heran und streicht mit der rechten Hand über seine raue, dicke und tief zerfurchte Rinde. „Ich kenne viele Menschen, die Bäume umarmen und ich tue das manchmal auch. Ich mag das Gefühl von Rinde unter der Hand“, meint Christiane Banse.
Alter des Baumes in Plankstadt ist unbekannt
Trotz Nachforschungen bei der evangelischen Kirche und der Gemeindeverwaltung Plankstadt sowie beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis findet sich keine genaue historische Quelle zum Pflanzjahr des Baumes. Jedoch berichtet der fast 90-jährige Zeitzeuge Ludwig Ahlheim von der ehemaligen Drogerie direkt gegenüber der Kirche in der Schwetzinger Straße, dass die Eiche zur Zeit seiner Kindheit noch klein gewesen sei.
Diese Aussage und die Tatsache, dass es offenbar wenig bis gar keine offiziellen Informationen über die Herkunft des Baumes an dieser Stelle gibt, legen die Vermutung nahe, dass er möglicherweise in den frühen 1930er Jahren zu Beginn des Nationalsozialismus gepflanzt worden war. Die nationalsozialistische Ideologie verherrlichte die Stieleiche als die „Deutsche Eiche“.
Sie schuf und propagierte zusammen mit militärischem Drill auf den Schul- und Kasernenhöfen eine toxisch-kriegerische Männlichkeit, die an der Front „hart wie Krupp-Stahl“ und standhaft wie die „Deutsche Eiche“ den Feind bekämpft und dem „Führer, Volk und Vaterland“ bis in den Tod ergeben ist.
Doch reicht die Geschichte der Eiche als deutsches Nationalsymbol viel tiefer in die Vergangenheit. Zum Beispiel benutzten die Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock im 18. und Joseph von Eichendorff im 19. Jahrhundert den Begriff „Deutsche Eiche“ in ihren Schriften und Gedichten als Metapher für das Streben nach Einheit und kultureller Identität.
In Mitteleuropa heimisch
Botanisch betrachtet gehört die Stieleiche zu den Buchengewächsen (fagaceae). Sie ist in Mitteleuropa heimisch und gehört wirtschaftlich und ökologisch zu den wichtigsten Baumarten. Im Unterschied zur ebenfalls heimischen Traubeneiche trägt sie ihre Früchte nicht zu mehreren ungestielt in „Trauben“, sondern an Stielen. Die Stieleiche wächst gerne entweder auf trockenen Magerstandorten oder feuchten, staunassen und nährstoffreichen Böden in den Hartholzauen entlang größerer Flüsse, wie zum Beispiel auf der Ketscher Rheininsel.
Sie ist sehr lichtbedürftig und entwickelt sich nur im Freistand optimal. Dort kann die Stieleiche bis zu 35 Metern hoch und weit über 500 Jahre alt werden. Im Vergleich dazu ist Christiane Banses Lieblingseiche als ein gerade erwachsen gewordener Jungbaum zu betrachten.
Die Nutzungsmöglichkeiten der Stiel- und Traubeneiche als Brenn- und Bauholz sind schier unbegrenzt. Türen, Tore, Parkett und Dielen, Möbel aller Art und Fachwerkhäuser wurden schon immer aus der Baumart gefertigt. In vielen Ländern treiben Bauern noch heute ihre Schweine zur Eichelmast in die Wälder.
Da auch das Verhalten von Eichenholz im Wasser sehr beständig ist, bauten schon die Wikinger ihre Schiffe daraus. Und als die Spanische Armada 1588 im Ärmelkanal von der englischen Kriegsflotte vernichtend geschlagen wurde, verbrannten und versanken weite Teile der spanischen Eichenwälder in den Fluten. Nur im Mittelmeerraum heimisch ist die Korkeiche, bei der die Rinde zur Herstellung von Naturkork alle neun Jahre mit einer scharfen Axt vorsichtig vom Baum geschält wird.
Zum Naturdenkmal in Plankstadt erhoben
„Der Baum strahlt Beständigkeit aus. Es ist für mich beruhigend zu wissen, dass da etwas lange vor mir war und hoffentlich noch sehr lange nach mir sein wird“, meint Christiane Banse nachdenklich. Dann wechselt sie plötzlich in einen scherzhaften Ton: „Die Eiche ist ja fast auffälliger als die Kirche dahinter.“
Das stimmt, denn ihr Baum an der Schwetzinger Straße ist an die 15 Meter hoch und weist eine Kronenbreite von fast 20 Meter auf. Im Jahr 2004 wurde die Stieleiche vom Amt für Landwirtschaft und Naturschutz im Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis zum Naturdenkmal erhoben. Das bedeutet, dass sie besonders erhaltenswert ist und nichts an ihr oder ihrem Umfeld geändert werden darf. Lediglich Pflegemaßnahmen wie Totholzentfernung oder die Herstellung des Lichten Raumes über Gehwegen und Straße sind aus Gründen der Verkehrssicherheit erlaubt.
Zur Person: Der Werdegang von Christiane Banse
Christiane Banse wurde vor 43 Jahren in Wangen im Allgäu geboren, wo sie ihre ersten sechs Lebensjahre verbrachte. Da ihr Vater Pfarrer war – und evangelische Pfarrer angehalten sind, etwa alle 10 Jahre die Stelle zu wechseln – zog die Familie mehrmals um. „Es war weniger das Vorbild des Vaters, es war mehr die Vielseitigkeit des Berufes und das Wissen um die Freude, die er bereiten kann, die mich motivierten, ebenfalls Theologie zu studieren“, stellt Christiane Banse rückblickend fest.
Nach dem Studium beginnt sie die Ausbildung zur Pfarrerin, das Vikariat, in Freiburg. Danach besetzt der Oberkirchenrat die freie Stelle in Plankstadt mit der jungen Pfarrerin. Dort lebt sie mit ihrem Mann, dem Historiker Christoph Mauntel, im Pfarrhaus. In der Schimper-Realschule in Schwetzingen gibt sie mehreren Klassen Religionsunterricht.
Ihre Hauptaufgabe sieht sie darin, die „Sache mit Gott“ so weiterzugeben, dass deutlich wird: „Dieses Thema betrifft die Menschen existenziell, also ihr Leben als Ganzes. Dazu gehört auch das Nachdenken über die ,Ursünde’, womit natürlich nicht die Freude an körperlicher Liebe gemeint ist“, wie Christiane Banse richtigstellt.
„Sie besteht in der Tatsache, dass wir Menschen von Anfang an in Ungerechtigkeit verstrickt sind. Ich komme nicht als weißes Blatt auf die Welt. Es ist ein Unterschied, ob ich in Senegal oder in Deutschland geboren bin. Doch wir sind dem nicht ausgeliefert. Wir können daran etwas ändern. Ich denke da zum Beispiel an Marlene Engelhorn, die freiwillig den Großteil ihres Millionenerbes spendet.“
Wichtig sind ihr auch die Arbeit im Team und die Gespräche mit anderen Menschen. „Die meisten meiner guten Ideen kommen von da her.“
Vergleiche mit der Pflanzenwelt
Die Theologin, die während ihres Studiums in Weinbergen arbeitete, hat von daher in Erinnerung behalten, dass im Pflanzenbau oft vom Menschen abgeleitete Begriffe verwendet werden: das „Herzwurzelsystem“ eines Baumes zum Beispiel. Oder das „Bluten“, mit dem das Austreten von Pflanzensaft an der Wunde eines abgesägten Astes im Frühjahr gemeint ist. Oder das auf ein „Auge“ (Knospe) schneiden eines Triebes, um dessen Wachstum in eine bestimmte Richtung zu leiten, so die Pfarrerin. „Diese Art von Vergleichen bringen mir immer wieder das lebendige Wesen einer jeden Pflanze ins Bewussttsein“, erklärt sie ihren persönlichen Lernprozess.
Über die Frage, ob es nicht in Anbetracht heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis über ökologische Zusammenhänge an der Zeit wäre, Mensch, Tier und Pflanze auf die gleiche Ebene zu stellen, denkt Christiane Banse lange nach. „Es ist schwer, nicht zu werten, und es ist schwer zu werten“, antwortet sie schließlich und lacht in Richtung ihres Lieblingsbaums. Und all die Lebensfreude, Offenheit und Herzenswärme, die aus diesem Lachen strahlt, schenkt sie ihrem Lieblingsbaum.
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