Zwei Jahre nach dem Hochwasser im Ahrtal

Die Flut gehört unauslöschlich zur Geschichte von Sinzig

Zwei Jahre sind seit die Flutkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 im Ahrtal vergangen. 134 Menschen ließen dabei ihr Leben, zwölf davon in Sinzig. Wie geht es der Barbarossastadt heute? Wir waren dort.

Von 
Katja Bauroth
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2. Juli 2023. Sommer in Sinzig. Es grünt und blüht. Der Spielmannszug „Freiweg“ Sinzig feiert auf seinem Vereinsgelände (links) sein 70-jähriges Bestehen. Am 15. Juli 2021 stand hier alles unter Wasser. Jetzt fließt die Ahr wieder ruhig in ihrem Bett. Rechts ist der Ahr-Radweg zu sehen, der zu 60 Prozent zerstört wurde, mittlerweile in Teilabschnitten wieder befahrbar ist (mehr dazu unter www.ahrtal.de). Fotos aus den zurückliegenden zwei Jahren nach der Flut gibt es auf unserer Internetseite. © Bauroth

Sinzig/Ahrtal. Zwei Jahre sind vergangen, seit das Extremwetterereignis „Bernd“ für Überschwemmungen in Europa sorgte. Allein im Ahrtal riss eine Flut in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 134 Menschen aus dem Leben, zwölf davon starben in Sinzig. Die Barbarossastadt, die wir mit einer Hilfsaktion unterstützten, erholt sich nur langsam von der Katastrophe.

 

Das Banner ist schon von Weitem an der Autobahn 61 zu sehen: „We ahr open.“ Soll heißen: Das Ahrtal ist bereit, Schritt für Schritt in eine Art Normalität zurückzukehren und als Tourismusregion in Rheinland-Pfalz Gäste mit Wandern, Radeln und Weingenuss in herrlicher Landschaft zu empfangen.

Die Schritte sind freilich nur klein und die Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 nicht nur in den Köpfen präsent.

Ein Bild des Grauens: Der Morgen des 15. Juli 2021. Teile der Stadt Sinzig im Ahrtal sind meterhoch überflutet. © FFW Sinzig

In Sinzig hat sich seither etliches getan – auch dank der Hilfe vieler Menschen aus Schwetzingen und Umgebung, die zum einen unsere Hilfsaktion unterstützt haben, selbst wenn es nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein war, und zum anderen mit Joe Herrmanns „Ahrschippern“ anpackten. Die vom Wasser gerissenen Löcher in der kommunalen Infrastruktur werden sukzessive geflickt. In betroffenen Wohnvierteln sind eingerüstete Häuser auszumachen, hier und da sind Innenausbauer zugange, neue Rohbauten stehen.

Flut im Ahrtal: Schicksale, die bleiben

An Gebäuden erinnert Schlamm an der Fassade, den die Ahr mit sich gebracht hatte, an die Katastrophe. Einige wirken verlassen. Gastronomenfamilie Kleber, die in Bad Neuenahr-Ahrweiler ihre Existenz durch die Flut verloren und im Restaurant „Vieux Sinzig“ eine neue gastronomische Heimat gefunden hatte (wir berichteten), ist nicht mehr da. Sie hat ein Jahr nach der Flut aufgegeben; keine Touristen, wenig Gäste und keine Kraft mehr, so steht es aus der Internetseite.

Es gibt Stellen, an denen im wahrsten Wortsinn Gras über das Geschehene gewachsen ist. Die von der Flut Betroffenen brauchen weiter Unterstützung, selbst wenn man ihnen nur zuhört.

Wir sprechen mit Sinzigs Bürgermeister Andreas Geron.

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Zwei Jahre sind seit der Flutkatastrophe vergangen: Wie geht es Ihnen persönlich? Wie geht es den Bürgern in Sinzig?

Andreas Geron: Vielen Dank für die Nachfrage nach meinem Befinden. Mir geht es so wie den meisten anderen persönlich Betroffenen. Die Behebung der Schäden im Haus dauert länger, als dies vor zwei Jahren absehbar war. Der Mangel an Material und Fachkräften ist deutlich spürbar.

Flut im Ahrtal: Unterstützung der Vereine

Vor einem Jahr lag der Fokus noch auf Müll entsorgen – Ideen entwickeln – Aufbauhilfe Fonds beraten – Wiederherstellung. Sie sagten damals: „80 Prozent des Weges liegen noch vor uns.“ Wie viel von diesen 80 Prozent konnten in den vergangenen zwölf Monaten ge-stemmt werden?

Andreas Geron: In den vergangenen zwölf Monaten wurden große Projekte wie Thermalfreibad oder Obdachlosenunterkunft geplant und in den Gremien beraten. Hier wurde viel im Hintergrund gearbeitet – sichtbare Ergebnisse wird es erst in der Zukunft geben. Umgesetzt wurde die Wiederherstellung von Spielplätzen, eine Teilsanierung der Realschule und die Erneuerung einer schwerbeschädigten Straße.

Gerade hat der Spielmannszug „Freiweg“ Sinzig sein 70-jähriges Bestehen auf den von der Flut stark betroffenen Vereinsareal feiern können – inklusive neuem Vereinsgebäude. Wie schaut es da bei anderen vom Hochwasser betroffenen Vereinen, etwa den Fußballern von Bad Bodendorf aus?

Andreas Geron: Bei den Fußballern in Bad Bodendorf ist schon viel passiert – für den September plant der Verein eine Eröffnungsfeier vom Vereinsheim. Das Kleinspielfeld sowie das Großspielfeld konnten bereits Anfang des Jahres eröffnet werden. Auch beim Minigolfclub in Bad Bodendorf sind die Arbeiten beispielsweise im vollen Gange. Für das Rhein-Ahr-Stadion haben wir vor kurzem temporäre Lösungen beschlossen, damit dort zumindest eingeschränkt bald wieder ein Sportbetrieb möglich ist. Leider ist die erste Ausschreibung ergebnislos geblieben.

Auch zwei Jahre nach der Flut sind deren Spuren in Sinzig noch sichtbar - hier am alten Vereinsheim des SC Rhein-Ahr Sinzig. © Bauroth

Die Sorgen der Fußballer des SC Rhein-Ahr Sinzig, die ihre Heimtrainingsstätte im Rhein-Ahr-Stadion hatten, nehmen wir ernst und versuchen, beim Finden von Ersatzplätzen zu helfen, wo immer es uns möglich ist. Aktuell ist allerdings noch nicht klar, ob an dieser Stelle eine Tieferlegung zur Schaffung von zunehmenden Retentionsraum erfolgen wird. Jedes Projekt hat seine eigenen Herausforderungen – und wir sind stolz auf unsere Vereine, die auch durch die Eigenleistung schon sehr viel auf die Beine gestellt haben.

Flut im Ahrtal: Aufbau an der Infrastruktur

Inwieweit funktioniert die städtische Infrastruktur wieder in Bezug auf Straßen, Brücken, aber auch öffentliche Gebäude wie Schulen?

Andreas Geron: Auch bei der Infrastruktur wurde schon viel geschafft: Die Wiederherstellungsarbeiten an der von der Flut stark geschädigten Josef-Hardt-Allee in Bad Bodendorf sind fast erledigt. Danach geht es in Sinzig mit der Eichendorffstraße und der Gerhart-Hauptmann-Straße weiter. Bereits geschafft sind Arbeiten „In den Ahrwiesen“ und an den Straßen „Am Teich“ sowie bei Wirtschaftswegen in Bad Bodendorf. Kindergärten waren ja keine von der Flut betroffen. Die Bauarbeiten an der Grundschule schreiten voran, sodass nach den Ferien das Kellergeschoss wieder genutzt werden kann. Die Realschule befindet sich noch mitten in der Wiederherstellung.

Der Spielplatz in der von der Flut betroffenen Hohenstauffenstraße konnte im vergangenen Jahr wieder eingeweiht werden. © Walkenbach/Stadt Sinzig

Werden die Tiny-Häuser noch genutzt, die für Flutbetroffene aufgebaut worden sind?

Andreas Geron: Die Nachfrage nach entsprechenden Unterkünften vonseiten der Flutbetroffenen ist erfreulicher Weise stark rückläufig. Einige der Bewohner konnten wieder in ihre Wohnungen und Häuser zurück oder haben auf dem Wohnungsmarkt geeignete Unterkünfte gefunden. Aktuell sind 18 von 24 Tiny-Häusern in Sinzig und 14 von 18 in Bad Bodendorf belegt. Gemäß Stadtratsbeschluss vom 22. März 2023 wird der Standort an der Kölner Straße zum 30. September dieses Jahres aufgegeben. Derzeit werden die Bewohner der Tiny-Häuser intensiv bei der Wohnungssuche durch Mitarbeiter der Stadt und die Sozialarbeiter des ASB unterstützt. Grundsätzlich möchten wir betonen, dass niemand in die Obdachlosigkeit entlassen wird.

Bei einem Rundgang durch Sinzig fiel mir auf, dass in den betroffenen Bereichen viel saniert wurde und es auch noch Stellen gibt, an denen im wahrsten Sinne des Wortes der Schlamm klebt. Haben Sie Einblicke, wie es bei den privat betroffenen Haushalten nach einem Jahr aussieht?

Andreas Geron: Eine Statistik darüber gibt es nicht. Teils wohnen die Eigentümer nicht in Sinzig und haben den Wiederaufbau nicht als persönliche Priorität. Teils sind die Menschen noch nicht in der Lage, den Wiederaufbau zu betreiben. Hilfe bei der Antragstellung wurde in der Vergangenheit allen Geschädigten angeboten, aber nicht immer angenommen.

Ende Oktober 2022 erfolgte die Freigabe der Ahrmündungsbrücke - eine enorm wichtige Brücke für Sinzig und das Ahrtal. Vorneweg schreitet Sinzigs Bürgermeister Andreas Geron mit weiteren Offiziellen.

Das im Naturschutzgebiet liegende Bauwerk stellt eine wichtige Verbindung für den kleinräumigen Fußgänger- und Radfahrverkehr zwischen Sinzig und Remagen dar – gerade auch für Pendlerinnen und Pendler. Zudem ist die Brücke Teil eines Radweges mit einer weit überregionalen Bedeutung: Als Rheinradweg und Eurovelo-Route 15 gehört er zu den wichtigsten Radfernwegen Europas und verbindet auf etwa 1200 km das schweizerische Andermatt in den Alpen mit dem niederländischen Hoek van Holland an der Nordsee.

© Stadt Sinzig/Vollrath

Ich selbst habe Kontakt mit Betroffenen: Sowohl die Hilfen vom Land als auch das Geld von Versicherungen scheint weiter spärlich bis gar nicht zu fließen. Teilen Sie diese Erkenntnisse?

Andreas Geron: Das kann ich so nicht teilen. Die Zahlungen des Landes werden weitestgehend unkompliziert und zügig abgewickelt. Bei den Versicherungen ist das Bild nicht einheitlich. Manche hat schnell und unkompliziert geleistet. Mit anderen Versicherungen haben die Kunden hingegen Probleme. Bezogen auf die kommunale Infrastruktur läuft es sowohl mit Antragsfrist als auch mit Mittelabrufen.

Flut im Ahrtal: Das Hochwasser ist präsent

Wie kann die Stadt Sinzig ihre Bürger unterstützen? Und ist sie selbst noch auf Hilfen angewiesen?

Andreas Geron: Nach wie vor gibt es im Flutgebiet Angebote durch die Stadt und durch gemeinnützige Organisationen. Mit den Tiny-Häusern steht nach wie vor eine Unterkunft für die durch die Flut obdachlos Gewordenen zur Verfügung. Wer Hilfe bei der Antragsstellung benötigt, wird unterstützt.

Wie stark ist nach Ihrem Empfinden die Flut in den Köpfen der Menschen in Sinzig und im Ahrtal?

Andreas Geron: Das Thema bestimmt immer noch den Alltag vieler, auch wenn eine gewisse Normalität wieder Einzug gehalten hat. Das wird auch noch Jahre dauern und ein unauslöschlicher Teil unserer Geschichte bleiben.

Wohnt auch nach zwei Jahren noch in einer Baustelle: Karl-Heinz Krappitz im Juli 2023. © Krappitz

Vor einem Jahr war Ihr großer Wunsch, dass die Frist für Hilfsanträge – der 30. Juni 2023 – verlängert wird. Hat sich dieser Wunsch erfüllt?

Andreas Geron: Ja. Die Verlängerung der Antragsfrist bis in den Sommer 2026 ist eine Entscheidung, die unsere Arbeit sehr erleichtert und die viele privat Betroffene sehr beruhigt hat. Dafür bin ich dem Land und dem Bund sehr dankbar.

Flut im Ahrtal: Hochwasserschutz im Fokus

Hat sich überhaupt etwas in Sachen Hochwasserschutz und Hochwasserwarnung seither verbessert, wovon Sie als Politiker und betroffener Bürger überzeugt sind?

Andreas Geron: Zum Thema Hochwasserschutz haben viele Experten Gutachten erstellt, so dass nun die Umsetzung geplant werden kann. Effektiver Hochwasserschutz ist allerdings, wie Beispiele aus anderen Regionen zeigen, eine Aufgabe, die nicht innerhalb weniger Jahre abgeschlossen sein kann. Durch Installation moderner Sirenen sind wir im Hinblick auf Hochwasserwarnungen deutlich besser aufgestellt.

Ein weiterer Wunsch war, dass der zwischenmenschliche Zusammenhalt, der im Sommer 2021 spürbar war, bleibt. Wie ist hier Ihr Eindruck?

Andreas Geron: Es besteht ein großer Zusammenhalt in der Bevölkerung in Sinzig und im Ahrtal.

Am 12. November 2022 wurden 15 Bäume im Gedenken an Flutopfer im Generationenwald auf dem Mühlenberg gepflanzt – 14 für die Sinziger Flutopfer und ein Baum symbolisch für alle anderen Opfer aus dem Ahrtal. „Der Sinziger Generationenwald ist seit 2005 ein Ort, an dem wir Sinziger auch unserer Verstorbenen gedenken“, so Bürgermeister Andreas Geron damals, „daher möchten wir als Stadt hier ein offizielles Zeichen im Gedenken an unsere Flutopfer setzen.“ Im Bild: Ortsvorsteher Gunter Windheuser und Bürgermeister Andreas Geron. Am 15. Juli 2023 gibt es Gedenkfeiern in Sinzig und auch ein Denkmal für die Flutopfer wird eingeweiht. © ahr-foto/Stadt Sinzig

Zum zweiten Jahrestag der Flut weiht Sinzig an diesem Samstag, 15. Juli 2023, um 19 Uhr am Parkplatz der Hohenstaufenstraße ein Denkmal ein. Welche Bedeutung hat das für Sie persönlich und welcher Wunsch geht damit einher?

Andreas Geron: Das Denkmal wurde von Flutbetroffenen initiiert und gemeinsam mit dem Ortsbeirat umgesetzt. Damit haben wir einen zentralen Ort des Erinnerns in Sinzig geschaffen. Mein Wunsch ist, dass die Ereignisse der Flutnacht und die Wasserstände nicht in Vergessenheit geraten und zukünftige Planungen von allen danach ausgerichtet werden.

Wie kann man von der Flut Betroffenen in Sinzig oder eben der Stadt weiter helfen?

Andreas Geron: Allein der Umstand der Berichterstattung ist schon eine große Hilfe. Ich danke der Leserschaft der Schwetzinger Zeitung und Hockenheimer Tageszeitung sowie der Stadt Schwetzingen für die unglaubliche Unterstützung seit Juli 2021.

 

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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