Region Schwetzingen. Die Aufregung um das Thema Geothermie war in den vergangenen Wochen groß. Bürger beschwerten sich nach 3D-Seismik-Messungen über lästige Begleiterscheinungen, die von durchfahrenden Vibro-Trucks ausgelöst wurden. Unsere Zeitung sprach exklusiv mit den beiden Geschäftsführern der Geohardt GmbH, Stefan Ertle und Matthias Wolf. Es folgt im Wortlaut das Interview.
Bereits 2004 hatte die Firma Geoenergy eine 3D-Seismik hier in der Region erstellt, um den Untergrund im Hinblick auf eine geothermische Nutzung zu untersuchen. Wie alt oder jung ist das Thema für EnBW, MVV und der Tochtergesellschaft Geohardt?
Stefan Ertle: Die Fernwärmeerzeugung aus erneuerbarer Erdwärme in der Rhein-Neckar-Region ist eng verknüpft mit der Energiewende und damit mit dem Ausstieg aus den fossilen Energien. Denn mit dem Ausstieg aus der Kohle wird auch die Versorgung mit Fernwärme aus dem Grosskraftwerk Mannheim (GKM) enden. Mit Geohardt sind EnBW und MVV gemeinsam angetreten, um die Wärmeversorgung der Zukunft zu sichern. Dabei können beide auf langjährige Erfahrungen in Sachen Geothermie zurückgreifen. Ein Beispiel dafür ist das Miramar in Weinheim, das von MVV konzipiert wurde und seither von ihr betrieben wird. Die EnBW betreibt seit rund zehn Jahren im Einklang mit der Kommune und der Öffentlichkeit eine geothermische Anlage in Bruchsal. Hier wird aus 2.500 Metern Tiefe Energie zur Stromerzeugung sowie zur Wärmeversorgung einer nahe gelegenen Polizeikaserne gewonnen. In den kommenden Jahren werden dort außerdem Möglichkeiten zur Lithiumgewinnung untersucht. Darüber hinaus ist die EnBW Mitbetreiber des Geothermiekraftwerks Soultz-sous-Forêts und verfügt damit auch über Betriebserfahrungen eines geothermischen Kraftwerks zur Stromerzeugung gemeinsam mit weiteren Partnern in der Region.
2008 kam es bei einem Geothermie-Projekt im pfälzischen Landau zu Erdstößen, wenig später bildet sich eine Bürgerinitiative in Brühl. Soll heißen: Kritiker und Skeptiker gibt es schon lange. Wie und was kann man ihnen argumentativ entgegen?
Matthias Wolf: Geothermie ist weder neu noch selten. Die erste Stromerzeugung aus Erdwärme wurde 1907 im toskanischen Larderello in Betrieb genommen, die Nutzung für die Wärmeversorgung ist noch älter. Auch am Oberrhein sind insgesamt sechs Anlagen seit langem im Betrieb. Trotzdem ist die Technik nicht jedem vertraut und nach wie vor ist der Informationsbedarf groß. In unseren öffentlichen Veranstaltungen haben wir deshalb insbesondere auch das Verfahren erläutert, das wir einsetzen. Die Geohardt GmbH möchte Tiefengeothermie mittels des hydrothermalen Verfahrens nutzen. Hierbei wird natürliches Heißwasser über eine Entnahme- und eine Injektionsbohrung umgewälzt. Das Verfahren unterscheidet sich stark von früher angewandten Verfahren anderer Vorhabensträger, die rückblickend teilweise kritisch betrachtet werden oder gar nicht mehr genehmigungsfähig sind. So wird beim Verfahren von GeoHardt kein Druck auf das Gestein im Untergrund ausgeübt, um das Thermalwasser zu erschließen. Details dazu bieten unsere FAQ Fragen und Antworten zum Geothermieprojekt Hardt, aber auch die Seite des Landesforschungszentrums Geothermie.
Ist gerade der Oberrheingraben wegen seiner Böden, deren Bruchstruktur und wegen seiner Spannungen, die sich in kleinen Erdbeben entladen können, geeignet für Geothermie? Oder gibt es dafür deutschlandweit „bessere“ Regionen?
Wolf: Tatsächlich gehört gerade der Oberrheingraben zu drei Regionen in Deutschland, die sich besonders gut für die Nutzung von tiefer Geothermie eignen. Die angesprochene Struktur im Untergrund ist letztlich sogar Voraussetzung dafür, dass Erdwärme in erreichbarer Tiefe vorhanden ist und gewonnen werden kann. Man könnte sie als „Autobahnen für Thermalwasser” bezeichnen. In der Rhein-Neckar-Regionen ist davon auszugehen, dass die Temperatur in 3.500 Metern Tiefe ca. 160°C beträgt. Dieses Potenzial möchten wir für die Erzeugung umweltfreundlicher Fernwärme nutzen.
Worauf gilt es bei den Bohrungen, aber auch bei der Nutzung von Erdwärme zu achten?
Ertle: Im Rahmen unserer Dialogveranstaltungen mit bis zu 50 Zufallsbürgern haben sich für Bau und Betrieb von Erdwärmeanlagen vor allem zwei Schwerpunkte herauskristallisiert: Zum einen der Grundwasserschutz und zum anderen das Thema Seismizität. Sowohl MVV als auch EnBW sind in der Wasserversorgung tätig. Beide Partner betrachten das Grundwasser als Nahrungsmittel und legen überaus großen Wert auf den Schutz dieser Ressource. In Deutschland gibt es etwa 7000 Tiefbohrungen, in Baden-Württemberg immer noch knapp 1000. Hier haben sich längst Techniken etabliert, die den Schutz des Grundwassers sicher gewährleisten. Bereits während der Bohrphasen wird den zuständigen Behörden der einwandfreie Zustand der Bohrung nachgewiesen; auch während des Betriebs sind regelmäßig Messungen vorzulegen. Künstliche Seismizität begleitet viele Tätigkeiten im Untergrund, den untertägigen Abbau von Rohstoffen wie Kohle oder Salz ebenso wie den Bau von Staudämmen oder Tunneln. Auslöser dafür ist meist eine Änderung der Druckverhältnisse im Untergrund. Diese fällt bei der Geothermie sehr viel geringer aus als etwa in der Gas- und Ölindustrie. Grundsätzlich gilt: Die resultierende Seismizität muss unter der Fühlbarkeitsschwelle gehalten und bestenfalls vermieden werden. Dies geschieht unter anderem, indem die Injektionsrate und damit auch der Injektionsdruck mit großer Sorgfalt an den Spannungszustand des tiefen Untergrunds angepasst werden. Zur Erfolgskontrolle der Maßnahmen ist es zudem im Oberrheingraben verpflichtend, ein seismisches Monitoring aufzubauen und zu betreiben.
Es wurde ein 7000 Hektar großes Potenzialgebiet (Mannheim, Brühl, Ketsch, Schwetzingen, Plankstadt, Oftersheim und Heidelberg) ermittelt. Was sind nach der 3D-Seismik die nächsten konkreten Schritte?
Ertle: Zunächst einmal werden die Daten ausgewertet, die wir bei der Messung gewonnen haben. Als Ergebnis erhalten wir ein dreidimensionales, hochauflösendes Modell des Untergrunds, das uns zeigt, wo geeignete Standorte für eine optimale Umsetzung von Geothermie-Heizwerken vorliegen.
Wie relevant ist das künftige Zusammenspiel zwischen Fachleuten und den jeweiligen Kommunen? Auch die Gemeinderäte und Bürger wollen überzeugt werden …
Wolf: Wir wollen hier eine zukunftssichere, erneuerbare Wärmeversorgung umsetzen – aus der Region und für die Region. Das kann nur gemeinsam mit den Kommunen und Bürgern gelingen. Im vergangenen Jahr haben wir deshalb verschiedene Informationsveranstaltungen durchgeführt, unter anderem eine Info-Veranstaltung zur Seismik-Messung mit einem Vibro-Truck live auf dem Schwetzinger Marktplatz. Wir werden auch weiterhin den Dialog und Austausch mit Kommunen und Bürgern suchen und wollen unsere Anstrengungen in Sachen Information und Kommunikation weiter verstärken.
Was spricht für drei Geothermie-Kraftwerke im Potenzialgebiet? Und ist der Zeitstrahl realistisch, dass dann das Mannheimer Großkraftwerk 2030 abgeschaltet werden könnte?
Wolf: Der Oberrheingraben bietet grundsätzlich ideale Voraussetzungen für die Gewinnung von Erdwärme aus natürlichem Thermalwasser. Nachdem bisher der Großteil der Fernwärmeversorgung über das GKM abgedeckt wurde, ist mit dem Kohleausstieg ein Wechsel auf verschiedene, vorwiegend erneuerbare Wärmeerzeugungstechnologien notwendig. Erdwärme kann mit ihrer kontinuierlichen Verfügbarkeit ein wichtiger Baustein für die sichere Versorgung der Wärmenetze in der Region sein. Unser Ziel ist es, mit drei Geothermie-Anlagen bis zu 30 Prozent der Wärmeenergie im lokalen Wärmenetz bereitzustellen. Diese können die Grundlast im Fernwärmenetz ganzjährig decken. Wir planen, die erste dieser Anlage bis 2026 fertigzustellen. Die beiden weiteren sollen dann nach und nach bis 2030 betriebsbereit sein.
Politiker wie etwa Dr. Andre Baumann, Daniel Born und Andreas Sturm sind sich in der Bewertung der Sinnhaftigkeit von Geothermie uneins. Ist das nicht eine Hypothek für Ihre Arbeit?
Ertle: Ziel der Bundesregierung ist eine dekarbonisierte Energiebereitstellung. Beim Strom sind wir dabei in Deutschland schon sehr gut vorangekommen. Anders im Wärmesektor, der bisher noch sehr wenig beachtet wurde. Dabei sind mehr als 50 Prozent unseres Endenergieverbrauchs Wärme. Es wird Zeit, dass wir hier alle Potenziale für eine zukunftsfähige Versorgung heben. Dazu gehört auch die Wärmegewinnung aus Erdwärme.
Stehen Sie als Unternehmen mit den Genannten im Austausch – und wenn ja, in welcher Form?
Ertle: Ein lebendiger, aktiver Austausch mit allen, die mit dem Thema befasst sind, ist uns sehr wichtig. Wir haben im Jahr 2021 und damit von Beginn an im Rahmen eines politischen Begleitkreis den Dialog mit Vertretern der Politik aufgenommen. Darin vertreten sind örtliche Abgeordnete des Europaparlaments, des Bundestags und des Landtags sowie Bürgermeistern. Darüber hinaus nehmen wir regelmäßig an Gemeinderats- und Ausschusssitzungen teil und suchen das direkte Gespräch mit den Bürgern. Neben dem politischen Begleitkreis haben wir auch einen sogenannten Fachbeirat organisiert, an dem verschiedene NGOs (Nichtregierungsorganisationen - Anm. d. Red.) und Vertretern der regionalen Energieversorger, des Kreisbauernverbandes und vieles mehr regelmäßig über das Projekt informiert werden. Auch die Bürgerinitiative Brühl/Ketsch ist eingeladen. Darüber hinaus bieten wir allen Beteiligten auch außerhalb dieser Gremien jederzeit die Möglichkeit des Austausches an.
Seit den beginnenden Messungen ab Januar 2023 gab es Bürgerbeschwerden wegen der Rüttelfahrzeuge und der Geophone. Zusammenfassend: Die einen befürchten gesundheitliche Folgen, die anderen Gebäudeschäden. Können Sie diese Perspektive verstehen?
Wolf: Die Messungen mittels 3D-Seismik basieren darauf, dass Schwingungen im Boden erzeugt werden. Diese Vibrationen entsprechen in etwa den bekannten Bodenrüttlern, die man von Straßenbaustellen kennt und mit denen etwa die Tragschicht von Gehwegen oder Straßen eingerüttelt wird. Sie sind im Umkreis von maximal 50 Metern wahrnehmbar. Wir können verstehen, dass Menschen sie als unangenehm oder sogar beunruhigend empfinden. Wichtig dabei ist: Solche Messungen werden grundsätzlich sehr sorgfältig geplant und ausgeführt. Dabei wird streng darauf geachtet, dass die für die Vibration geltenden Grenzwerte eingehalten, in der Regel sogar weit unterschritten werden. Es handelt sich um ein Standardverfahren, das für Messungen dieser Art sehr häufig zum Einsatz kommt, sowohl für die Aufsuchung von Geothermie als auch von Gas und Öl. Im vergangenen Jahr zum Beispiel im Raum Hockenheim, Altlußheim, Neulußheim und Reilingen.
Wenn tatsächlich im Einzelfall Gebäudeschäden verlässlich festzustellen sind. Wie können diese schnell und unbürokratisch erstattet werden?
Ertle: Wir nehmen jede Meldung von Bürgerinnen und Bürgern ernst und werden sie zeitnah und mit der gebotenen Sorgfalt bearbeiten. Erste Ergebnisse liegen uns auch bereits vor, über die wir in den kommenden Tagen berichten werden. Bis alle Meldungen geprüft und bearbeitet sind, wird es allerdings noch ein wenig dauern. Hier möchten wir noch um etwas Geduld bitten. Sollte trotz aller Sorgfalt tatsächlich ein Schaden durch die Vibrationsmessungen eingetreten sein, werden wir uns in Abstimmung mit der Eigentümerin oder dem Eigentümer darum kümmern.
Kritik gab es in puncto mangelhafter Kommunikation – Bürger wollen bei Zukunftsprojekten stets mitgenommen werden. Was ist da schief gelaufen? Was würden EnBW, MVV und Geohardt aufgrund der jüngsten Erfahrungen inzwischen anders machen?
Wolf: Wir haben im Vorfeld der Messungen auf vielen Wegen über die Seismikkampagne informiert. Neben Pressemeldungen und Veranstaltungen, wie dem Info-Tag Vibrationsmessung am 17.Dezember 2022 in Schwetzingen haben wir nicht zuletzt mehr als 40.000 Flyer in den betroffenen und benachbarten Straßenzügen verteilen lassen. Dennoch mussten wir feststellen, dass wir mit unseren Maßnahmen nicht alle Bürger erreicht haben. Das bedauern wir sehr. Wir hatten deshalb noch während der Messphase unsere Anstrengungen weiter verstärkt und hoffen, möglichst viele doch noch erreicht zu haben. Für die Zukunft wollen wir hier deutlich besser werden.
Wie kann mit vereinten Kräften mehr Akzeptanz für die Maßnahmen der dringend notwendigen Energiewende erzielt werden? Wenn jeder sagt, „nicht in meinem Garten oder vor meinem Haus“, dann ist und bleibt es eine Quadratur des Kreises. Hat Geothermie, augenzwinkernd gefragt, was mit Geometrie zu tun?
Ertle: Um bei geometrischen Figuren zu bleiben: Der für die Energieversorgung relevante Rahmen spannt ein Dreieck aus Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltschutz auf. Dies gilt und galt für alle Erzeugungstechnologien, die Geothermie ist hier keine Ausnahme. Es ist Konsens, dass die CO2-Emissionen gesenkt werden müssen, um der Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Gerade die politischen Entwicklungen der jüngeren Zeit haben jedoch spürbare Auswirkungen sowohl auf die Energiekosten und auch die Verfügbarkeit von Energie gezeigt. Wenn wir heimische Ressourcen wie die Geothermie nutzen, machen wir uns deutlich unabhängiger von Dritten – und machen so das Dreieck aus Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltschutz wieder vollständig. Klar ist aber auch: Das alles schaffen wir nur gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Zum Schluss: Machen Sie uns Mut für ein Zukunftsprojekt wie die Energie- und Wärmewende im Südwesten Deutschlands sowie an Rhein und Neckar. Also bitte?
Wolf: Die gute Nachricht ist: Wir haben hier in der Region beste Voraussetzungen, die Wärmewende zu schaffen. Bei MVV haben wir uns daher auch zum Ziel gesetzt, mit dem “Mannheimer Modell” die Fernwärme bis zum Jahr 2030 komplett klimafreundlich zu machen. Dabei greifen wir auf eines der breitesten grünen Technologie-Portfolios zurück - unter anderem eben auf die Erdwärme des Oberrheingrabens für unsere Geothermie-Vorhaben, aber auch auf die Flusswärme von Rhein und Neckar.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Geothermie Gang in die Offensive