Ich bin nervös, das kommt nicht oft vor. Immerhin treffe ich gleich Erfolgsautorin Ingrid Noll, die seit ihrem Erstlingswerk – „Der Hahn ist tot“ im Jahr 1991 – nicht mehr von den Bestsellerlisten wegzudenken ist. In ihren Krimiromanen – auch im aktuellen „Kein Feuer kann brennen so heiß“ – kommen häufig Männer, Liebhaber, zu Tode und das auf durchaus bizarre Art und Weise. Ich bewundere diese Frau ob ihrer Wortwahl, ihrer Schreibkunst, der bildlichen Sprache, die beim Lesen ihrer Kurzgeschichten und Krimiromane herrliches Kopfkino erzeugt. Dazu die Fantasie, aus der sie ihre Storys entwachsen lässt. Und diese zauberhaft süffisante Note, die auch diese Begegnung mit der 85-jährigen Weinheimerin ausmachen soll.
Über Gundula Sprenger, Leiterin der Volkshochschule Bezirk Schwetzingen, kam das Gespräch mit Ingrid Noll für meinen Podcast Leben.Lieben.Lachen. zustande. Es geht auch gleich amüsant los: „Also lachen kann ich jetzt, leben tu’ ich auch – aber lieben – das ist schon länger her“, entgegnet Ingrid Noll schlagfertig, als ich ihr den Titel des noch recht neuen Podcasts nenne und lacht. Wir plaudern über das Autoreninnenleben mit seinen Herausforderungen, die Herangehensweise ans Bücherschreiben, über Frauenquoten und sogar (Plüsch-)Handschellen werden thematisiert. An dieser Stelle gibt es einen kleinen Auszug aus dem launigen Interview – und den Podcast online.
Frau Noll, woher rührt eigentlich Ihre Mordlust?
Ingrid Noll: Ich habe sie erst im höheren Alter entwickelt, als ich zum ersten Mal einen Roman geschrieben habe. Für Liebesromane war ich damals schon zu alt – ich war Mitte 50 – und wollte auch keine Rosamunde Pilcher schreiben, sondern irgendwie was Böses. Ich hatte vorher schon mit lieben Sachen angefangen, nämlich mit Kindergeschichten, deshalb wollte ich jetzt mal das Gegenteil machen: Krimis. Und ein Krimi ohne Mord geht ja nicht.
Wir befinden uns im schönen Schlossgarten in Schwetzingen. Schwetzingen fand auch schon Platz in einem Ihrer Bücher. Suchen Sie eigentlich die Schauplätze nach Ihren Geschichten aus oder passen Sie Geschichten auf Schauplätze an?
Ingrid Noll: Schwetzingen gehört durchaus zu meinem „Jagdrevier“, genauso Weinheim, wo ich wohne, Mannheim und Heidelberg. Ich kann meine Bücher nicht im luftleeren Raum spielen lassen, das wäre nichts. Und für mich ist es am einfachsten, Orte zu nehmen, an denen ich mich gut auskenne, die ich mir gut vorstellen kann, sodass ich nicht erst extra nach Mexiko reisen muss – in meinem Alter ist das auch etwas kompliziert. Es muss also etwas sein, was ganz in der Nähe liegt, was ich kenne, schon gesehen habe, wo innere Bilder da sind. Dennoch sind es keine sogenannten Heimatkrimis.
Wenn Sie schreiben, haben Sie da die fertige Geschichte schon im Kopf oder ist das ein Entstehungsprozess?
Ingrid Noll: Teils, teils. Von Anfang an habe ich die Figuren im Kopf, meine Protagonistinnen, die muss ich genau kennen. Dass es da Komplikationen und Schwierigkeiten gibt, dass die nicht ganz einfach sind, das ist klar. Wenn ich eine rundum glückliche Frau nehme, dann gibt es keinen Krimi. Ich muss eine nehmen, die Probleme hat, die ein bisschen neurotisch ist. Wenn ich die genau kenne und sie im Griff habe, dann fange ich mit Schreiben an.
Sieben Ihrer Bücher sind bereits verfilmt worden. Besonders bekannt und mit dem deutschen Filmpreis für die Hauptrolle ausgezeichnet ist „Die Apothekerin“ mit Katja Riemann. Wie ergeht es Ihnen, wenn Sie sich die Filme anschauen?
Ingrid Noll: Beim ersten Mal sitzt man davor und sagt unentwegt: falsch, falsch, verkehrt! Bei mir ist es ganz anders, sie sehen nicht so aus und die sagen das gar nicht! Wenn man aber ein bisschen Abstand gewinnt, dann weiß man: Film ist ein völlig anderes Medium, die können gar nicht so aussehen. Das kennt man vielleicht auch als Leser eines Buches: Man stellt sich die Protagonisten vor, vergleicht sie mit Menschen, die man kennt. Der arme Regisseur hat auch Bilder im Kopf, doch er muss mit lebenden Menschen arbeiten, mit Schauspielern, die zur Verfügung stehen, die sich untereinander vertragen, das sind Punkte, die wir als Autoren nicht berücksichtigen müssen. Es sollte aber so sein, dass der Kern, die Idee des Buches, getroffen wird. Deshalb bin ich auch unterschiedlich zufrieden mit Verfilmungen. Es gibt ein Hauptproblem: Meine Protagonistinnen sind nicht immer die schönsten und ein Film ist ein Riesengeschäft – er kostet viel und soll viel einbringen. Und wer geht am häufigsten ins Kino: Statistiken zufolge junge Männer zwischen 18 und 38 Jahre. Für die wiederum muss die Hauptdarstellerin eine attraktive, sexy Frau sein. Wenn ich so ein Gretchen habe, die ein bisschen zu dick, zu alt oder zu plump ist, dann funktioniert das nicht. Dann kommen diese Männer nicht ins Kino. Deswegen müsste man die ganze Geschichte wieder ändern, das ist das Problem.
Was ja eigentlich schade wäre, denn wir wissen ja heutzutage, dass es um mehr als pure Oberflächlichkeit oder zwei Hüftwallungen mehr geht.
Ingrid Noll: Ja, bei einem Buch kann ich das so machen, wie ich das für richtig halte. Aber bei einem Film gibt es eben ganz andere Prämissen.
Bleiben wir bei den Frauen in der heutigen Zeit: Glauben Sie, dass Frauenquoten für Unternehmen und Vorstände der richtige Weg sind, um die Position der Frau zu stärken?
Ingrid Noll: Da bin ich zwiegespalten, ob man ihn ihnen damit nicht gelegentlich einen Bärendienst erweist. Dann heißt es womöglich: Sie ist ja nur deswegen in die Führungsrolle gekommen. Andererseits: Wenn man gar nichts macht, passiert auch nichts.
Sie sind Ehrenkommissarin der Bonner Polizei und der Mannheimer Polizei – wie kam es denn dazu?
Ingrid Noll: Naja, bei den Mannheimern bin ich sogar Ehrenhauptkommissarin! Denn die Mannheimer meinten, dass irgendwann mal eine Beförderung notwendig gewesen wäre – aber von der Rente wollten sie nix wissen (Gelächter). Nein, das Ganze ist eher ein Späßchen: In Mannheim machen Kollegen und ich regelmäßig Lesungen für den Weißen Ring, die bei der Polizei direkt stattfinden. Die Erlöse gehen dann komplett an diese Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. Das finde ich sehr wichtig.
Muss ich Angst vor Ihnen haben, wenn ich etwas nicht ganz Gesetzeskonformes anstelle?
Ingrid Noll: Handschellen habe ich leider keine dabei.
Was ich Ingrid Noll daraufhin anbiete und wie sie reagiert, hören Sie im Podcast Leben.Lieben.Lachen.
Dann hat Ingrid Noll noch eine Frage an mich: „Was genau heißt eigentlich dieses ,pod‘ in Podcast? Kommt das irgendwie von Broadcast?“ Ich recherchiere: „pod“ (Englisch für Kapsel, Hülse) steht für den tragbaren Audioplayer iPod von Apple, auf dem das Medium ab 2005 erstmals breite Anwendung fand; „cast“ ist Bestandteil von „Broadcast“ (Englisch für Sendung). Podcast ist also eine themenbezogene Sendung zum Abrufen, wann und wo man will.
AUDIO: Leben.Lieben.Lachen.mit Ingrid Noll
Zur Person: Ingrid Noll
Ingrid Noll (Jahrgang 1935) studierte einige Semester in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Sie ist seit über 60 Jahren verheiratet, hat drei Kinder sowie vier Enkel und lebt in Weinheim.
Nachdem ihre Kinder aus dem Haus waren, begann sie, Kriminalgeschichten zu schreiben – allesamt Bestseller. 2005 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Ehrenpreis der Autoren für ihr Gesamtwerk.
Werke (Diogenes-Verlag): Der Hahn ist tot (1991; verfilmt), Die Häupter meiner Lieben (1993; verfilmt), Die Apothekerin (1994; verfilmt), Der Schweinepascha (1996), Kalt ist der Abendhauch (1996; verfilmt), Stich für Stich (1997), Röslein rot (1998), Die Sekretärin (2000), Selige Witwen (2001), Rabenbrüder (2003), Falsche Zungen (2004), Ladylike (2006; verfilmt), Kuckuckskind (2006), Ehrenwort (2010), Über Bord (2012), Hab und Gier (2014), Der Mittagstisch (2015), Halali (2017), Goldschatz (2019), In Liebe Dein Karl (2020), Kein Feuer kann brennen so heiß (2021).
Zum Podcast Leben.Lieben.Lachen.
- Die schönsten Geschichten schreibt das Leben mit seinen Begegnungen. In unserem Podcast Leben.Lieben.Lachen. greifen wir solche Begegnungen auf. Kommen Sie mit auf Reisen und treffen Sie spannende Menschen. Den Podcast gibt es zum Herunterladen unter www.schwetzinger-zeitung.de. Die Folgen gibt es auf Spotify, Deezer, Podigee, Amazon Music und demnächst auf Apple Podcast.
- Im neuen Teil erzählt Erfolgsautorin Ingrid Noll unter anderem, was in ihr die literarische Mordlust geweckt hat, warum sie die Frauen ihrer Romane nicht als Heldinnen ansieht und wie sie Ehrenhauptkommissarin der Mannheimer Polizei wurde.
- Außerdem gibt es Podcasts dieser Reihe mit Autor Thomas Lambert Schöberl („Grüne Seelen“), „Glücklichmacherin“ Stephanie Groen und Food-Bloggerin „Die Schürzenträgerin“ sowie veganer Ernährungsberaterin Vanessa Schäfer.
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