Schwetzingen. Es ist nicht die aufwendige Machart, die Horst Sellers Kunst einzigartig erscheinen lässt. Auch nicht die Vielseitigkeit. Und schon gar nicht die Farbenfreude. Ganz im Gegenteil. Es ist der Schmerz, der sich ungedämpft auf den Betrachter überträgt. Die Unverblümtheit, mit der Seller das menschliche Leiden auf die Leinwand bannt. Eine Verzweiflung, die sich über die Grenzen des Rahmens hinwegsetzt. Eine Verzweiflung, die rausgeschrien werden möchte und doch bleibt alles still. Es ist Horst Sellers Art, das Unaussprechliche anschaulich zu machen.
„Kunst im Amtsgericht“ heißt das Projekt des gleichnamigen Vereins, der das historische Gebäude regelmäßig zur Ausstellungshalle macht. Derzeit ist es fraglich, ob in den Verhandlungs- oder den Vorräumen die größere Tragik herrscht. In Letzteren verziert die schonungslose Kunst von Horst Seller die hohen Altbauwände.
Seller setzt auf haptische Elemente bei der Ausstellung in Schwetzingen
Die Bilder von Horst Seller lassen sich nicht einer bestimmten Kategorie oder Technik zuordnen. Viel mehr scheint es, als würden sich Kunst und Machart vollständig, kompromisslos und ohne Schnörkel auf das dargestellte Motiv beziehen. Nur eines zieht sich durch nahezu jedes Werk: Der Künstler mag keine glatten Oberflächen, weswegen seine Werke meist auch durch haptische Elemente auffallen.
„Dieses Bild ist aus einer Serie, da habe ich Landschaften gemalt“, sagt Horst Seller mit dem Blick auf das erste Gemälde im Treppenhaus. Es heißt „Sunrise“ (Sonnenaufgang) und stehe für Zuversicht, erklärt der 86-jährige Kunstexperte. Eine – trotz seiner typisch abstrakten Darstellungsart – eher untypische Reihe des Malers, besonders wegen der hellen Farben und positiven Wirkung: „Da hat mich meine Zeit an der Ostsee inspiriert.“
Seller malt seit seiner Kindheit und hat schon früh von einem Abschluss an der Kunstakademie geträumt: „Das hat mein Vater nicht erlaubt. Er wollte, dass ich etwas Anständiges mache. Also habe ich Medizin studiert.“ Nach seiner Studienzeit habe er seine berufliche Karriere zwar der medizinischen Forschung gewidmet, seine Kunst will er allerdings nicht als Hobby bezeichnen: „Dafür bin ich zu tief in der Malerei. Ich denke, es ist meine Art Bewegendes zu verarbeiten.“ Seine Bilder entstehen aus seinem subjektiven Empfinden heraus und haben meist einen privaten Bezug zu ihm. Mit Abstand am meisten Kunst widmet er daher ökologischen und politischen Krisen oder Ereignissen. „Dieses Triptychon hat keinen Titel. Das ist bei vielen meiner Bilder so, damit die Zuschauer frei assoziieren können, was sie in dem Bild sehen“, erklärt Seller bezogen auf drei zusammengehörige Werke im ersten Stock. Er selbst sehe ein Kreuz oder einen Torso in dem Kunstwerk aus verschieden aufeinandergetragenen Farbschichten.
„Meine Kunst soll aber nicht von mir, sondern von den Betrachtern interpretiert werden. Ich möchte, dass der Mensch in Zwiesprache mit dem Bild tritt und aus seiner Erfahrung heraus etwas erkennt.“ Mit einem andren Bild habe er versucht, ein Ereignis zu verarbeiten, das ihn vor 25 Jahren beschäftigte: „Man kann einen Vogel erkennen, der im Öl ertrunken ist. Das Bild malte ich in Folge des Unglücks mit einem Öltanker, der vor der französischen Westküste zerbrach. Damals starben Unmengen an Seevögeln und Fischen.“
Die Reihe zum Gaza-Konflikt als Highlight der Schwetzinger Ausstellung
Die Bildauswahl und -reihung habe er je nach verfügbarem Raum sortiert. So sei eine seiner Kunstreihen, die ausschließlich abstrakte Fantasiegesichter in Extremsituationen zeigt und unter dem Titel „Visagen“ zusammengefasst wird, nur in einem Nebengang zu finden. „Da habe ich auf farbigem Hintergrund schwarze und weiße Ölfarbe ineinander laufen lassen“, erklärt Seller.
Das Highlight seiner Ausstellung ist seine neuste Reihe. „Ich habe meine Serie zum Gaza-Krieg dem palästinensischem Lyriker Refaat Alareer gewidmet. Sein letztes Gedicht ,If i must die’ ist auch im Beiheft zu dieser Ausstellung zu finden. Er ist eines der vielen Opfer, die der Krieg zwischen Israel und Palästina forderte.“ Auf mitteldichten Faserplatten mit einfarbigem Grundanstrich befestigte der Künstler ein Sand-Leim-Gemisch, in das er leidende Gesichter eingeritzt hat.
„Ob durch die klagenden Gesichter und Totenschädel, die in den sandigen Lineamenten seiner jüngst entstandenen Gaza-Serie auftauchen, oder durch die Torsi und Kreuzigungsspuren seiner zu Triptychen verbundenen Gemälde – stets sieht man sich durch Sellers Bilderfindungen auf die Frage ,Was ist der Mensch?’ verwiesen“, findet der Heidelberger Literaturwissenschaftler und Philosoph Carsten Dutt.
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