Ehrenamt

Ungelöste Probleme und nachlassende Kräfte bei Geflüchtetenhilfe in Schwetzingen

Rita Erny und Raquel Rempp sind für ihr soziales Engagement bekannt, doch bei der Flüchtlingshilfe spüren sie schwindende Unterstützung aus der Bevölkerung.

Von 
Benjamin Jungbluth
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Schwetzingen. Die steigende Zahl an Flüchtlingen hat konkrete Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden in der Region. Denn in den Kommunen muss nach Beendigung der Asylverfahren für entsprechenden Wohnraum gesorgt werden. Und auch wenn gerade Schwetzingen dank der Erstaufnahmeeinrichtung in den Tompkins Barracks inzwischen von der Anschlussunterbringung befreit ist, so gibt es weiterhin den Bedarf für Flüchtlinge aus den Krisenjahren 2015/16 sowie für Menschen, die hier ohne amtliche Zuweisung leben möchten – beispielsweise Ukrainer oder anerkannte Asylsuchende.

Das verschärft den Mangel sowohl für Einheimische als auch für Flüchtlinge. „Der Wohnraum in der Region ist bekanntlich seit Jahren sehr knapp. Dementsprechend leben viele Personen, welche teilweise bereits seit mehreren Jahren einer regulären Vollzeitbeschäftigung nachgehen, dennoch weiterhin in Obdachlosenunterkünften der Stadt, da für sie kein Wohnraum gefunden werden kann“, erklärt Andreas Oswald vom Schwetzinger Bürgerbüro die Konsequenzen.

2015/16 herrschte teils Euphorie

Gleichzeitig hat sich die Betreuung der Flüchtlinge in Schwetzingen und der Region, aber auch in ganz Deutschland, in den letzten Jahren gewandelt. Gab es 2015/16 in Teilen der Bevölkerung noch eine regelrechte Euphorie und viel konkrete Hilfsbereitschaft, ist die ehrenamtliche Unterstützung zuletzt deutlich zurückgegangen. Zwar betont das Regierungspräsidium Karlsruhe zurecht, dass die staatlichen Stellen bei der Aufnahme, Unterbringung und Verteilung der Flüchtlinge inzwischen auf bewährte Strukturen bauen können, die sie in den Jahren seit 2015 entwickelt haben. Doch ist im Gespräch mit engagierten Ehrenamtlichen deutlich zu spüren, dass bei vielen inzwischen die Kräfte und teils auch die Überzeugungen nachgelassen haben.

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Rita Erny, Stadträtin, stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende und Oberbürgermeister-Stellvertreterin, hatte sich ab 2015 stark im Schwetzinger Asylkreis engagiert. Als Sprecherin war sie „quasi fünf Jahre im Dauereinsatz“, wie sie erzählt. „In all den Jahren habe ich kaum Urlaub genommen und mich von morgens bis abends eingebracht, weil faktisch immer irgendwo etwas zu tun war. Das war mir sehr wichtig, um anderen zu helfen, und hat mir auch persönlich viel zurückgegeben. Aber irgendwann habe ich das einfach nicht mehr geschafft“, sagt Rita Erny.

Zwar habe sie viele positive Geschichten erlebt – wie die eines jungen, traumatisierten Mannes aus Gambia, den sie in ihre Familie aufnahm und der inzwischen perfekt Deutsch spricht, gute Schulnoten erreicht hat und derzeit eine Schreinerlehre absolviert. Doch sei die umfangreiche Arbeit für zahlreiche Ehrenamtliche auch an die Substanz gegangen. Entsprechend seien mit der Zeit die Aktivitäten des Schwetzinger Asylkreises weniger geworden. „Die Kleiderstube, die Fahrradwerkstatt und das Café International werden noch fortgeführt, aber insgesamt sind die Aktionen merklich weniger als noch vor ein paar Jahren“, sagt Rita Erny.

Das kann Raquel Rempp bestätigen. Die ehemalige Stadträtin engagiert sich seit Jahren in zahlreichen sozialen Projekten sowohl für Einheimische als auch für Zugewanderte und hat dabei die große Flüchtlingskrise 2015/16 als Ehrenamtliche in Schwetzingen erlebt. „Das öffentliche Interesse ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Das liegt einerseits wohl daran, dass die Flüchtlingssituation von vielen Menschen nicht mehr als so akut wahrgenommen wird, aber sicherlich auch an den vielen anderen Krisen, die mittlerweile weltweit und in Deutschland aufgekommen sind. Da gehen den Menschen verständlicherweise die Kapazitäten aus“, sagt Rempp.

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Sie selbst versucht weiterhin, in ihrer persönlichen Umgebung etwas zu bewirken. „Mich rufen immer wieder fremde Leute an, die von meinem Engagement in der Zeitung gelesen haben, und bitten mich um Rat. Oft geht es um bürokratische Hürden oder ganz praktische Tipps. Trotz aller Erfahrungen und Verbesserungen bei den Behörden hat sich da seit 2015 nichts Grundlegendes geändert“, erzählt Raquel Rempp.

Oft illusorische Vorstellungen

Als Beispiel führt sie den Bruder eines von ihr betreuten Afghanen an, dessen Frau und sechs Töchter noch in dem fernen Land ausharren. Für ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr sei es weiterhin schwer, selbst und erst recht mit Familie nach Deutschland zu fliehen. „Gleichzeitig muss man den Menschen aber auch offen sagen, wie hier in Deutschland die Realität ist – denn viele haben völlig illusorische Vorstellungen von Europa. In diesem Fall habe ich dem Bruder immer wieder klargemacht, dass er in unserer Region für seine achtköpfige Familie kaum eine Wohnung finden wird, weil selbst kleinere einheimische Familien leer ausgehen. Das müsste man viel ehrlicher kommunizieren, bevor sich die Menschen voller Hoffnungen auf eine lebensgefährliche Reise machen und dafür noch ein Vermögen ausgeben. Allein ein Reisepass kostet in Afghanistan derzeit zwei- bis dreitausend Dollar“, sagt Raquel Rempp.

Ohnehin ist die langjährige Ehrenamtliche vielen Details des deutschen Asylsystems gegenüber kritisch eingestellt. „Ich habe über all die Jahre immer wieder erlebt, dass die deutschen Sozialleistungen in die Heimatländer überwiesen und als eine Art Auslandseinkommen für die dortigen Familien angesehen werden. Das ist menschlich verständlich, weil die hier Angekommenen natürlich ihre Angehörigen so gut wie möglich unterstützen möchten. Gleichzeitig ist das Geld aber nicht dafür gedacht und diese Situation völlig kontraproduktiv für die Integration. Durch mehr Sachleistungen und Gutscheinsysteme könnte das Problem recht einfach verhindert werden“, erklärt sie.

Frauen weiter unterdrückt

Und dann spricht Raquel Rempp, die selbst einen spanischen Migrationshintergrund hat, ein brisantes Thema offen an. „Neben all den zu Recht positiven Geschichten über Flüchtlinge werden mir in Deutschland die Probleme zu wenig thematisiert“, sagt sie. Ein nicht geringer Teil der Menschen, die sie selbst seit 2015 begleitet und unterstützt, lebe zu sehr in traditionellen Parallelgesellschaften. Insbesondere muslimische Zuwanderer hätten sich in all den Jahren kaum an die hiesigen offenen und freien Lebensvorstellungen angepasst. „Ich erlebe sogar immer wieder, dass diese Familien mit der Zeit in ihrem Verhalten reaktionärer werden: 2015 kamen viele Frauen noch mit offenen Haaren in Schwetzingen an, jetzt tragen sie streng ein Kopftuch oder sogar komplette Gesichtsschleier. Auch Fälle von Zwangsverheiratung habe ich in den von mir betreuten Familien erlebt. Den Frauen erkläre ich dann, dass auch sie hier selbstbestimmt leben dürfen: den Führerschein machen, arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen. Die traurige Realität ist jedoch, dass viele von ihnen weiter nur daheim sind, um die Hausarbeit und das Kochen zu erledigen. Das wird sie aber nicht zu eigenständigen Persönlichkeiten machen. Schon gar nicht, wenn viele von ihnen nach bald zehn Jahren immer noch kein gutes Deutsch sprechen“, wird Raquel Rempp deutlich.

Asylverfahren und Unterkunft

Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, durchlaufen ein dreistufiges Asylverfahren. Zunächst registrieren sie sich und stellen ihren Asylantrag. Danach folgt ihre Anhörung, bevor das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seine Entscheidung fällt.

Direkt nach der Asylbeantragung bekommen sie einen Platz in einer Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen. Die Verteilung auf die Bundesländer erfolgt nach einer festgelegten Quote.

In Baden-Württemberg ist auch die Unterbringung der Flüchtlinge dreistufig aufgebaut: Erste Station ist in der Regel das Ankunftszentrum in Patrick-Henry-Village in Heidelberg.

Personen, über deren Antrag das BAMF nicht kurzfristig entscheiden kann, werden dann für bis zu 18 Monate in eine Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA, in Karlsruhe, Freiburg, Ellwangen und Sigmaringen) oder in eine kleinere Erstaufnahmeeinrichtung (EA, beispielsweise in der Schwetzinger Tompkins Barracks) verlegt.

Danach werden die Asylsuchenden den Unteren Aufnahmebehörden bei den Landrats- und Bürgermeisterämtern zugeteilt und wechseln damit in die Anschlussunterbringung. Wenn der Flüchtlingsstatus schließlich anerkannt worden ist, können sich die Menschen – zumindest theoretisch – auf dem freien Wohnungsmarkt eine Unterkunft suchen. Flüchtlinge, die nur eine Duldung erhalten, unterstehen zusätzlichen Einschränkungen. beju

Viele Integrationsangebote seien deshalb letztlich nutzlos, befindet sie. „Wenn sich jemand nicht integrieren will, muss man ihm auch keinen Deutschkurs aufzwingen. Denn das bisschen Deutsch, was dort meistens vermittelt wird, gerät sofort wieder in Vergessenheit, wenn es nicht in der Praxis gesprochen wird“, erzählt sie aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Flüchtlingshilfe.

Die Folgen dieser Integrationsprobleme würden mit der Zeit immer dramatischer und folgenreicher – nicht zuletzt für diejenigen Zuwanderer, die sich gut integrieren. „Die Stimmung gegenüber Flüchtlingen wird bei der einheimischen Bevölkerung durch Negativbeispiele immer schlechter. Letztlich wird durch das Ignorieren dieser offensichtlichen Probleme nur die extreme Rechte gestärkt – und das kann doch gerade in Deutschland niemand wollen“, sagt Rempp.

Ihre eigenen Töchter hätten inzwischen tatsächlich Angst, spätabends durch Teile von Schwetzingen zu laufen. „Es kann doch nicht sein, dass man als junge Frau heute aufpassen muss, was man anzieht und wo man langgeht, um nicht anzüglich angesprochen oder gar begrapscht zu werden“, sagt Rempp.

„Das macht mich sprachlos“

„Diese Probleme mit einem Teil der Flüchtlinge gibt es in Schwetzingen ebenso wie in anderen Teilen Deutschlands und Europas. Wenn ich so etwas bei meiner ehrenamtlichen Arbeit mitbekomme, gehe ich da natürlich dazwischen und weise die Personen energisch zurecht. Und darf mir dann regelmäßig von Menschen, die bei uns Schutz suchen, den Spruch anhören: ,Unser Land gehört uns, aber Deutschland gehört der ganzen Welt.‘ Das gefällt mir nicht, ja es macht mich wirklich sprachlos.“

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Für die engagierte ehrenamtliche Flüchtlingshelferin zeigen sich in diesen Vorfällen die komplexen Probleme mit der Zuwanderung in Deutschland. „Ich begleite seit Jahren zahlreiche Flüchtlingsfamilien und diskutiere viel mit den Menschen. Dabei sage ich oft, dass sie ihre ,schlechten‘ Traditionen doch in ihren Ländern zurücklassen sollten. Leider habe ich den Eindruck, dass viele daran überhaupt kein Interesse haben“, sagt Rempp. „Bei den inzwischen wieder stark steigenden Flüchtlingszahlen und der gleichzeitigen Erschöpfung vieler Ehrenamtlicher sehe ich da leider viele Probleme auf uns zukommen.“

Freier Autor Freier Journalist für die Region Heidelberg, Mannheim und Rhein-Neckar. Zuvor Redakteur bei der Schwetzinger Zeitung, davor Volontariat beim Mannheimer Morgen. Neben dem Studium freie Mitarbeit und Praktika u.a. beim Mannheimer Morgen, der Süddeutschen Zeitung, dem SWR und der Heidelberger Studentenzeitung ruprecht.

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