Speyer. Noch einmal werden in diesem Jahr in den Räumen des Kunstvereins im Kulturhof Flachsgasse interessante Geschichten erzählt: „Never stop … telling stories“ ist der vielversprechende Titel der Ausstellung von Hauke Jessen und Martin Scholten, die am Sonntagvormittag um 11 Uhr eröffnet wird.
Beide Künstler kommen aus Hamburg und sie stellen zum ersten Mal gemeinsam aus. Initiiert hat diesen spannenden Dialog das frühere Vorstandsmitglied des Kunstvereins, Angela Jäger, die bei der Vernissage auch in das Werk beider Künstler einführen wird. Dabei ist deren Schaffen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich.
Eine außergewöhnliche Künstlerzusammenarbeit in Speyer
Der eine ist Maler, der andere Bildhauer, der eine setzt auf die Linie, der andere auf skulpturale Arbeiten aus Holz, einer arbeitet abstrakt und bunt, der andere gegenständlich mit klassischen Techniken der Holzbearbeitung. Gemeinsam ist den beiden jedoch die Naturnähe ihrer Materialien. Jessen und Scholten haben in der Vorbereitung dieser Ausstellung keine Mühen gescheut. Viermal haben sie sich getroffen, um das gemeinsame Projekt wachsen zu lassen, zweimal waren sie zur Besichtigung der Räumlichkeiten in Speyer.
Ein maßstabgerechtes Modell der Ausstellungsräume des Kunstvereins wurde gebaut, um mit einem Plan für die Ausstellung in die Domstadt zu kommen und die Räumlichkeiten optimal zu nutzen. Der Aufwand hat sich gelohnt.
Auf den abstrakten Arbeiten von Martin Scholten wandern verschiedenfarbige Linien über die Fläche. Wie Schlangen mäandern diese Strukturen über die weiße Leinwand. Charakteristisch für seine Arbeitsweise ist der direkte Auftrag von der Farbtube auf die Leinwand. So wird die Breite der Farblinie stets durch den Umfang der Tuben- oder Flaschenöffnung vorgegeben. Scholtens Arbeiten entstehen in der Regel spontan „in einem Rutsch“, das heißt in einem sehr konzentrierten, überlegten Moment.
Kunst in Speyer: Räumlichkeit mit einbezogen
Für die große weiße Wand an der Stirnseite des Kunstvereins hat er unter dem Titel „How the Nights can fly“ eigens ein riesiges Acryl-Gemälde geschaffen (2,10 x 4,60 Meter), das sogar die Lüftungsschlitze der Wand in die Komposition mit einbezieht. Scholten nutzt neuerdings fast ausschließlich Naturfarben, die er aus einer kleinen Manufaktur in England bezieht.
Damit werden seine aktuellen Arbeiten organischer und ähneln natürlichen Phänomenen wie atmosphärischen Lichtreflexionen auf Wasseroberflächen oder dem Wehen von Pflanzen im Wind, ohne jedoch die Ebene der Abstraktion zu verlassen. Farben werden bei ihm selten gemischt oder ausgearbeitet, ein Pinsel kommt fast nie zum Einsatz.
Hauke Jessens traditionelle Holzbildhauerkunst neu interpretiert
Hauke Jessen dagegen hat die klassische Arbeitsweise des Holzbildhauers gewählt und das mit erkennbarer Leidenschaft. Mit Stechbeitel, Holzhammer und großem handwerklichem Geschick formt er Skulpturen aus besonderen Hölzern, darunter auch mehrere tausend Jahre altes Mooreichenholz. Er versucht mit seinen Arbeiten das Traditionelle in die Moderne zu retten. Mensch und Maschine sind wichtige Themen für ihn, unsere digitale Welt natürlich auch. Unverhoffte Wendungen und Überraschungen sind bei Jessen keine Seltenheit, etwa ein mit Schmetterlingen verzierter Motorradhelm.
Die Holzbildhauer-Tradition in der christlichen Kunst hat er in Kirchen gründlich studiert, gibt aber diesen traditionellen Techniken immer wieder neue Wendungen. Mit ungewöhnlichen Details überraschen seine Pietà-Darstellungen. Die Darstellung Marias als Mater Dolorosa (Schmerzensmutter) mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus Christus hat ihn zu mehreren Arbeiten inspiriert.
Nur ein Beispiel: Bei der Pietà – Skulptur mit dem Titel „Power Nap“ (Bild links) , die er aus 5000 Jahre altem schwarzem Mooreichenholz herausgearbeitet hat, hält der Leichnam Christi eine Fernbedienung in der Hand. „Ich versuche eine neue Geschichte zu erzählen, aber in einem klassischen Stil“, sagt Hauke Jessen. Philosophische Aspekte verbinden sich mit aktuellen Themen und der Betrachter kommt eigentlich nicht umhin, sich eigene Gedanken zu machen.
„Wir wissen nicht immer eine Antwort auf die großen Themen unserer Zeit“, sagt Jessen. „Wir müssen mit offenen Fragen leben.“ Genau das macht die Ausstellung dieser beiden Hamburger Künstler so spannend. Das Publikum ist aufgefordert, die hier angerissenen Geschichten aufzugreifen und weiterzuspinnen.
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